Verantwortung. Great Growing Up.

Rückzug – ab ins Schneckenhaus

Die Ausgangslage

Wenn sie Gärtner sind, kennen Sie das: Ihre natürlichen Feinde sind – die Schnecken. Und da gibt es zweierlei Sorten. Die einen stören Sie vermutlich gar nicht. Vielleicht freuen Sie sich ja sogar, wenn sie sie im Garten sehen, das sind die Weinbergschnecken mit ihrem schönen, schneckenartigen Schneckenhaus. Die anderen sind die, die die meisten von uns eher als eklig empfinden: das sind die Nacktschnecken. Ja, genau die, die Ihren Salat fressen und die sogar eingefleischte Vegetarier dazu bringen, mit der Schere grausame Rache zu üben und ihren Salat zu verteidigen.

Was hat das jetzt mit Azubis zu tun? Gar nicht mal so wenig. Um die Weinbergschnecken in Ihrem Betrieb geht es heute. Das sind die Azubis, die nicht überall auffallen, überall laut geben, sich permanent zeigen müssen, und von sich reden machen. Das ist zunächst einmal sehr angenehm, weil wir davon ausgehen: Um die, die nicht auffallen, müssen wir uns nicht kümmern. Und tatsächlich gibt es Menschen, die nicht auffallen, um die wir uns nicht kümmern müssen. Zum Beispiel Michael.

Stille Schaffer

Michael ist das, was wir im Südwesten einen stillen Schaffer nennen. Das heißt, Michael kommt so gut wie immer morgens pünktlich, er macht seinen Job, er verursacht keinen Ärger, spricht nicht mit vielen, er zeigt sich auch nicht, er ist auch nicht der erste oder zweite, der sich meldet, wenn es Aufgaben zu verteilen gibt. Michael ist eigentlich

Wer im Schneckenhaus ist, will dort auch bleiben.
Menschen im Schneckenhaus sind nur sehr schwer zu erreichen.

ganz zufrieden, wenn sein Leben so ist, wie es ist und vor allem wenn es so bleibt, wie es ist.

Er zeigt sich nicht, er fällt nicht auf, er macht einfach seinen Job. Zuverlässig, pünktlich, vielleicht ein bisschen langweilig, aber irgendwie auch ohne Probleme.

Jetzt kommt die gute Nachricht für alle Ausbilder: Um einen Michael müssen Sie sich nicht besonders kümmern. Denn Michael macht Ihnen und seinen Kollegen kein Problem. Michael macht seinen Job, und gut. Abgehakt. Wunderbar. Also eine Weinbergschnecke die uns keinen Ärger macht. Jetzt gibt es aber auch andere, wie zum Beispiel die Sabine.

Stille im Schneckenhaus

Sabine ist auch eine Auszubildende, wie immer ein fiktives Beispiel hier im Great Growing Up Podcast, Sabine macht auf den ersten Blick das gleiche wie Michael: Sie macht ihren Job. Sie ist still, und wenn es Aufgaben zu verteilen gibt, ist sie nie die erste und auch nicht die zweite, und manchmal meldet sie sich gar nicht. Sabine macht ihren Job. Wir wissen nicht, wie es ihr geht, denn Sabine teilt sich nicht mit. Und da beginnt auch schon das Problem. Es entsteht eine Lücke, eine Lücke der Ungewissheit. Wir wissen nicht, wie es Sabine geht, und wir haben keine Ahnung, was in ihrem Schneckenhaus vorgeht.

Wer sich ins Schneckenhaus zurückzieht, will schweigen.
Nicht alle, die schweigen, haben nichts zu sagen.

Ein Problem wird das dann, wenn Sie feststellen, dass ihr Umfeld in irgendeiner Form auf Sabine reagiert. Ihr Umfeld sind zunächst einmal die anderen Auszubildenden. Wenn sie als Ausbilder feststellen: Da wird gewaltig gelästert über die Sabine, da gibt es gewaltigen Unmut über sie, da gibt es Beschwerden, spätestens dann werden sie etwas unternehmen müssen. Denn sie kommen an dem Punkt, wo ihr betrieblicher Frieden in Gefahr ist.

Sabine macht Ärger. Witzigerweise macht sie Ärger, in dem sie überhaupt nichts macht. Sie macht ihren Job, o. k., aber: sie verursacht keinen Konflikt. Stimmt das?

Eben.

Der Konflikt

Sabine verursacht auf eine höchst unauffällige Art und Weise einen Konflikt, der uns früher oder später auffällt. Denn Sabine teilt sich nicht mit, und keiner weiß, was in ihrem Schneckenhaus tatsächlich vorgeht. Das sorgt für Unmut bei den Kollegen, das sorgt für Unsicherheit bei den Kollegen, und irgendwie weiß keiner so recht, was er mit Sabine anfangen soll. Vielleicht ist es sogar so, dass Sabine die anderen nervt. Denn so richtig macht sie ihren Job eben doch nicht. Irgendwie bleibt immer etwas liegen. Irgendwie muss man Sabine immer etwas hinterher räumen. Vielleicht sieht ihr Schreibtisch aus wie Sau, und es gibt einfach Grund sich über sie aufzuregen.

Das ist der Punkt, worin sich Sabine von Michael unterscheidet. Den Michael macht seinen Job. Und er macht keinen Ärger. Wir bekommen zwar nichts von ihm mit, aber das ist auch kein Problem. Weder für uns als Ausbilder, noch für die anderen Azubis, noch für die anderen Mitarbeiter. Bei Sabine ist das anders.

Warum Klopfen nichts bringt

Was kann ein ganzheitlicher Ausbilder, der sich dem Begriff ganzheitliche Ausbildung tatsächlich verpflichtet fühlt, tun, um Sabine aus ihrem Schneckenhaus zu locken? Nehmen wir mal die Standard Methode: ohne großes Nachdenken einfach mal tun, was uns logisch erscheint. Wir fordern Sabine auf: Mensch Sabine, mach doch endlich mal den Mund auf, zeige dich, wir sind interessiert daran, zu erfahren, wie es dir geht. Das machen wir möglichst regelmäßig und möglichst oft und am besten mit steigender Intensität. Das heißt: wir hämmern und klopfen an Sabines Schneckenhaus.

Wer aufs Schneckenhaus einhämmert, richtet nur Schaden an.
Ob Nuss oder Schneckenhaus - der Hammmer ist das falsche Werkzeug.

Jetzt wird es Zeit, dass wir uns wieder mal daran erinnern, wie sich so eine handelsübliche Weinbergschnecke verhält, wenn wir an ihr Schneckenhaus klopfen. Richtig, sie zieht sich immer weiter in ihr Schneckenhaus zurück und wird alles tun, nur nicht das, was wir von ihr wollen. Sie wird sich nicht zeigen. Und wissen Sie was? Sabine wird das als geübte Weinbergschnecke genauso tun.

Wenn wir diese Frage in unserem Kopf hören, oder wenn Sie uns vielleicht jemand stellt, ist das ein guter Moment. Denn dann sind wir einen Schritt weiter. Daraus ergibt sich die nächste – wichtiger – Frage. Warum um alles in der Welt will Sabine in ihrem Schneckenhaus bleiben und sich nicht zeigen? Das ist, wie gesagt, die entscheidende Frage, aus der sich alles andere ergibt. Warum wollen bestimmte Menschen sich auf keinen Fall zeigen?

Angst vor der Außenwelt

Die Antwort darauf hat mit etwas zu tun, worüber wir in unserer westlichen Kultur nur sehr ungerne sprechen: Sabine und alle anderen Weinbergschnecken haben Angst, sich zu zeigen. Jetzt ist uns das bei der Weinbergschnecke ja völlig klar: Die hat Angst um ihr Leben. Aber wovor, um alles in der Welt, soll denn, bitteschön, Sabine und jeder andere Azubi, der sich gerne in sein Schneckenhaus zurückzieht, Angst haben? Und warum überhaupt Angst haben? Wir sprechen ja höchst ungern über Angst. Wir können, wenn wir guten Willens sind, eingestehen, dass jemand wie Sabine unsicher ist und sich einfach nicht gerne zeigt. Doch wenn wir das zu Ende denken, ist das auch nichts anderes als Angst.

Sabine hat Angst sich zu zeigen. Warum? Menschen haben Angst davor, sich zu zeigen, wenn sie Angst davor haben, abgelehnt zu werden. Sabine hat nicht wirklich Angst davor, gefressen zu werden, aber sie hat Angst davor, auf Ablehnung zu stoßen. Sie hat Angst davor, sich zu zeigen, weil irgendjemand ihr bestätigen könnte, was sie möglicherweise selbst über sich denkt: Sabine, irgendetwas an dir ist nicht in Ordnung.

Was im Schneckenhaus passiert

Das Schwierige für uns, die wir Menschen ausbilden, ist jetzt, dass sich Sabine dessen möglicherweise überhaupt nicht bewusst ist. Im Gegenteil: Sie wird es abstreiten. Fast niemand, der mit sich selbst nicht im Reinen ist, wird es im Außen einfach zu geben. Das würde ja bedeuten, sich zu zeigen. Und eine Weinbergschnecke zeigt sich nicht, wenn irgendjemand an ihr Häuschen klopft. Was folgert daraus? Als Ausbilder müssen Sie mit Sabine und ähnlich gelagerten Ausbildungskolleginnen und -kollegen äußerst behutsam vorgehen. Klopfen, Hämmern, Zerren, Fordern wird sie nicht ans Ziel führen, denn Sabine will nicht raus aus ihrem Schneckenhaus.

Wie erreichen Sie als Ausbilder jetzt Sabine? Wie gesagt, Sie werden behutsam vorgehen müssen. Und wie machen Sie das? In dem Sie sich erst einmal in voller Bedeutsamkeit der Tatsache bewusst werden, dass Sabine genau das nicht will, was Sie sich so sehr von ihr wünschen: Sie will ihr Schneckenhaus nicht verlassen, denn sie hat Angst, sich zu zeigen. Sabine denkt, dass es viel zu riskant ist, sich zu zeigen. Weil sie eins auf den Deckel kriegt, weil sie ausgelacht wird, weil sie sich blamiert, weil sich selbst bloßstellt, weil sie in irgendeiner Form Ablehnung erfährt.

Wie man Schnecken aus ihrem Haus lockt

Wenn Sie als Ausbilder erreichen wollen, dass Sabine als Mensch in Erscheinung tritt, werden sie genau das tun müssen, was Sie sich von Sabine wünschen. Sie werden vorleben  müssen, was das Gegenteil von Rückzug ist. Und was ist das Gegenteil von Rückzug? Nein, ich meine nicht Angriff. Was ist das Gegenteil von Rückzug in Beziehung? Sich mitteilen.

Wer Beziehung erschafft, lockt Menschen aus ihrem Schneckenhaus.
Hilfreich: Beziehung herstellen in informellem, vertraulichem Rahmen.

Ich würde Ihnen empfehlen, suchen Sie das Gespräch mit Sabine in einem Raum, der ungefährlich ist. Mit Raum meine ich eine für Sabine ungefährliche Umgebung. Das heißt, möglichst wenig, am besten gar kein Publikum. Fangen sie an, Sabine auf Ihre Seite zu ziehen, in dem Sie mit ihr reden, ohne dass andere Azubi Kollegen, andere Mitarbeiter oder gar Chefs mit an Bord sind. Sprechen Sie allein mit Sabine und beginnen Sie, von sich selbst zu sprechen. Dann leben Sie vor, was Sie sich von Sabine so sehr wünschen. Sprechen Sie darüber, wie es Ihnen geht, darüber, was Sie gerade durchmachen. Zeigen Sie so viel von sich selbst, wie nötig oder wie es angemessen erscheint.

Mitteilen wirkt Wunder

Sprechen Sie darüber, wie es Ihnen mit Sabine geht, aber ohne Vorwurf. Sprechen Sie darüber, dass sie sich wünschen, hin und wieder mal ein bisschen mehr von ihr zu erfahren. Und laden Sie sie ein, kleine Schritte zu gehen. Fordern Sie nicht zu viel und geben Sie einfach ein bisschen mehr von sich selbst Preis als sie es ohne diese Herausforderung tun würden. Sie gehen damit kein besonders großes Risiko ein, denn Sabine wird sich anderen Menschen ohnehin nicht mitteilen, solange sie noch in ihrem Schneckenhaus sitzt.

Indem sie vorleben, dass sich ein Ausbilder zeigen kann, ohne Angst vor Blamage oder Ablehnung zu haben, geben Sie Sabine ein Beispiel dafür, dass es sich lohnen kann, sich selbst zu zeigen.

Und ja, es geht nicht nur darum, Sabine mit Samthandschuhen anzufassen. Es geht auch nicht darum, sie zu ignorieren und wieder in ihr Schneckenhaus zurück zu lassen. Es geht darum, sie zu fordern. Aber auch da empfehle ich Ihnen, verzichten Sie auf alles, was irgendwie wie Brechstange wirkt. Sabine wird beim leisesten Anflug von Hämmern und Klopfen wieder zurück in ihr Schneckenhaus kriechen. Und dann können Sie wieder von vorne anfangen.

Schnecken fragen nicht nach Hilfe

Ich empfehle Ihnen, stellen Sie Sabine vor kleine, behutsam ausgewählte Herausforderungen, wo sie sich zeigen muss. Geben Sie Ihre Aufgaben, wo sie sich in kleiner Runde präsentieren muss und übertragen Sie Ihr Verantwortung in überschaubaren Rahmen. Bringen Sie sie dazu, dass sie Führung übernehmen muss. Aber bitte immer in überschaubarem Rahmen. Überfordern Sie sie nicht, denn Überforderung ist genau das, wovor Sabine am meisten Angst hat. Das ist vermutlich auch der Grund, weshalb sich Sabine ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber nicht mitteilt.  Denn Sabine kommt nicht immer zu Ende mit ihren Aufgaben, sie lässt Dinge liegen, wird als unzuverlässig und schlampig wahrgenommen. Warum? Weil Sabine den einen Schritt nicht gehen kann, den es braucht, um Hilfe zu erhalten: nach Hilfe zu fragen.

Weinbergschnecken tun so etwas nicht, denn ich müsste mich ja zeigen mit meinem Unvermögen, mit meiner Unfähigkeit, die Aufgabe allein zum Abschluss zu bringen. Das macht eine Weinbergschnecke nicht, denn das würde bedeuten, sich im Unvermögen zu zeigen. Und glauben Sie mir, das ist das letzte, was Sabine und alle anderen Weinbergschnecken tun wollen.

Der Weg aus dem Schneckenhaus

Sie werden Sabine darin trainieren müssen, den einen Ausweg aus dem Drama, der für Sabine so wichtig ist, zu üben: Frage nach dem, was du brauchst. Oder auf Sabine bezogen: Bitte um Hilfe. Viele Menschen, insbesondere die klassischen Weinbergschneckentypen, haben große Angst davor, um Hilfe zu bitten. Denn um Hilfe bitten bedeutet, ich zeige mich damit, dass ich es nicht alleine schaffe. Aber gerade darin liegt Sabines großes Problem. Denn ihre Umgebung ärgert sich über Sabine und ihre Nachlässigkeit.

Das Training

Also: trainieren Sie Sabine darin, nach Hilfe zu fragen. Wie tun Sie das? Am besten, indem Sie es vorleben. Sie fragen Sabine um Hilfe. Sie fragen Sabine: „Hey, ich habe da eine Gruppe von neuen Auszubildenden, denen müsste ich mal zeigen, wie man dieses oder jenes erledigt, kannst du mich bitte darin unterstützen? Ich habe nicht genügend Kapazität, um diese Aufgabe alleine zu erledigen."

Neue Referenzpunkte schaffen

Das wäre doch mal eine Idee, um Sabine aus dem Schneckenhaus zu locken. Locken ist das Wort, das Sie sich merken sollten. Denn Hämmern, Klopfen und Ziehen nützen nichts. Locken Sie Sabine aus ihrem Schneckenhaus heraus. Verhelfen Sie ihr zu positiven Erfahrungen, damit sie einen Referenzpunkt dafür bekommt, dass es sich lohnen kann und sogar Spaß machen kann, aus dem Schneckenhaus herauszukommen. Weil sie Erfolg erleben wird. Wenn sie Sabine und anderen Weinbergschnecken Erfolgserlebnisse verschaffen, verhelfen sie ihnen zu einem Referenzpunkt, der ihnen erlaubt, dieses Risiko weiterhin einzugehen.

Denn darum geht es letztendlich, wenn sie ganzheitlich ausbilden. Bringen Sie junge Menschen und Weinbergschnecken dazu, ihre Bequemlichkeitszonen zu verlassen. Denn nur außerhalb der Bequemlichkeitszone findet Entwicklung statt. Bequemlichkeitszone ist das vornehme Wort für Schneckenhaus. Und im Schneckenhaus findet kein Wachstum statt.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2016

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Groll – Vielsagendes Schweigen

Auf Unauffällige achten

Haben Sie schon mal erlebt, wie Rettungsdienstmitarbeiter in Katastrophenfällen entscheiden, wem sie zuerst helfen? Sie machen etwas, das vielen Menschen auf den ersten Blick seltsam oder sogar grausam erscheint: Sie kümmern sich zuerst um die stillen und ignorieren jene, die laut schreien. Der Grund dafür ist simpel: Wer schreien kann, hat noch vergleichsweise viel Lebenskraft.  Die Stillen sind möglicherweise nicht mehr bei Bewusstsein und schweben vielleicht sogar in Lebensgefahr. Das ist ungefähr so, als würden wir einen schlafenden Vulkan völlig ignorieren. Dabei kann uns die geballte Ladung in seinem Inneren richtig Ärger machen. Ich spreche von Groll.

Von Rettungskräften lernen

Was das mit Ihren Auszubildenden oder Mitarbeitern zu tun hat, fragen Sie? Mehr als Sie vielleicht glauben.

Groll ist stiller Ärger.
Rettungskräfte schauen grundsätzlich zuerst nach den Stillen.

Zugegeben: Längst nicht jede Abteilung gleicht einem Katastrophen-Gebiet. Aber aus der Vorgehensweise von Rettungskräften können wir dennoch etwas lernen. Denn in der Regel gehen wir genau andersherum vor: Wir teilen unsere Auszubildenden bewusst oder unbewusst in zwei Gruppen ein: die Auffälligen und die Unauffälligen.

Dabei folgen wir einem unbewussten, beinahe schon mechanischen Auswahlprozess: Was einen Reiz in unserem Gehirn auslöst, fällt uns auf, wird auffällig. Wir reagieren schnell auf optische Reize, etwa auf Azubis, die sich unangemessen oder sogar provokativ kleiden, auf einen ärgerlichen Gesichtsausdruck, auf rollende Augen, auf eine gerümpfte Nase. Wir reagieren auch auf akustische Reize: auf Azubis, die sich beschweren, die jammern, nörgeln, klagen, sich rechtfertigen oder andere beschuldigen. Und wir übersehenen die Stillen.

Das ist typisch Mensch: Was keinen Reiz auslöst, wird unter ungefährlich, unwichtig, unproblematisch eingeordnet. Solange die Stillen brav ihren Job machen, glauben wir: Die funktionieren, mit denen habe ich keinen Ärger, bei denen ist alles in Ordnung.

Das ist bequem, weise ist es nicht. Denn in Wirklichkeit wissen wir nicht, was in den Stillen vorgeht. Aus einem ganz einfachen Grund: Weil sie still sind. Sie teilen sich nicht mit. Sie sind wie getauchte U-Boote. Solange sie sich nicht mitteilen, wissen wir noch nicht einmal, ob sie Freund oder Feind sind, ob wirklich alles in Ordnung ist, oder ob es ein Problem gibt, von dem wir noch gar nichts wissen. Deshalb schauen die Rettungskräfte zuerst nach den Stillen und genau deshalb sollten Ausbilder das auch tun.

In Stille gehütet: der Groll

Die Stillen lassen sich in drei Gruppen einteilen: die Zurückgezogenen, die zu viel Angst haben sich zu zeigen. Die Beleidigten, die nicht wissen, wie sie anders mit ihrem Schmerz umgehen sollen. Und die Groller, die ihren Ärger hüten wie einen kostbaren Schatz.

Um die letzte Gruppe geht es heute: Um Azubis bzw. Mitarbeiter, die einen Groll gegen jemanden hegen. Die Formulierung ist, wie so oft im Deutschen äußerst präzise. Wir hegen Groll gegen jemanden. Das bedeutet, ta

tsächlich, dass wir ihn hüten, uns um seinen Erhalt bemühen. Aber was genau ist Groll?

Groll - eine Definition

Unser aller Internet-Lexikon Wikipedia hat da nur eine kurze Antwort zu bieten: Groll ist langanhaltender Zorn, heißt es da. Aha. Zorn ist eine starke Form von Ärger. Und Groll ist die langanhaltende Version davon. Was uns Wikipedia nicht mitteilt, ist der Grund für lange Dauer, über die wir unseren Groll hegen und manchmal sogar pflegen.

Groll findet seinen Weg.
Groll ist aufgestauter Ärger. Irgendwie und irgendwann muss er raus.

Wenn wir wissen wollen, was der natürliche, angeborene Umgang mit Ärger ist, gibt es keine besseren Lehrmeister als Babys und Kleinkinder. Wenn die ärgerlich sind, teilen sie sich mit: lautstark und direkt. Zumindest solange man sie lässt und ihnen nicht verbietet, sich mitzuteilen.

Warum wir Groll hegen

Die meisten Menschen, die ich kenne, haben genau das erfahren: irgendwann wurde uns beigebracht, dass es sich nicht schickt, Ärger zu äußern. Denn Ärger ist laut, stört die angebliche Harmonie, Ärger erschrickt andere Menschen, ist intensiv, wirkt nicht selten aggressiv und macht deshalb vielen Menschen Angst. Ärger kann verletzen, ärgerliche Menschen werden als hässlich wahrgenommen, Ärger ist einfach bäh. Schluss mit ärgerlich.

Das ist – pardon – nur auf den ersten Blick ärgerlich. In Wirklichkeit ist es tieftraurig. Denn es erschafft eine Illusion, von der wir uns gerne täuschen lassen: wer schweigt, macht uns keinen Ärger, denken wir. Und das ist ein Irrtum.

Wenn Menschen laut schweigen

Denn Schweigen kann ganz schön laut sein. Unheilvoll. So wie Donner oder das dumpfe Beben vor einem Vulkanausbruch. Die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Wenn ein Auszubildender ihnen oder jemandem anderen grollt, merken sie das. Er wird die Nähe des Menschen, gegen den er seinen Groll hegt, meiden. Wenn überhaupt, dann wird er sich nur auf einen eher oberflächlichen Umgang mit ihm einlassen.

Groll entlädt sich oft wie ein Unwetter.
Groll ist wie die Stille vor dem Sturm.

Gehen wir mal davon aus, dass unser fiktiver Azubi Jan einen Groll gegen seinen Ausbilder Bernd hegt. Jan ist verärgert, weil Bernd andere Azubis bevorzugt. Zumindest sieht Jan das so. Wenn es darum geht, Anerkennung zu verteilen, scheint Bernd ihn zu übersehen. Anfangs hat Jan sich noch bemüht, Bernd durch besondere Leistung zu beeindrucken, aber spätestens seit seiner gemeinsamen Projektpräsentation mit seiner Azubikollegin Tatjana ist für ihn klar: Bernd lobt lieber andere. Denn über Jans Beitrag hat Bernd kaum ein Wort verloren, während er von Tatjanas Auftritt hörbar begeistert war.

Für Jan ist der Ofen jetzt aus. Bernd scheint ihn weder zu mögen noch bereit zu sein, seine Fähigkeiten zu würden. Er fasst das in vier knappen Worten zusammen: Der kann mich mal. Das sind Worte, die Jan natürlich nicht ausspricht. Schon gar nicht gegenüber seinem Ausbilder. Aber es sind Worte, die sich tief in Jans Unterbewusstsein eingraben und sein alltägliches Verhalten prägen. Künftig hat Jan für Bernd kein gutes Wort mehr übrig – in seiner Abwesenheit nicht und wenn er vor ihm steht, schon gar nicht. Jan beschränkt seinen Kontakt zu Bernd auf das absolut unvermeidbare Minimum. Er geht ihm aus dem Weg, wo er nur kann. Und allenfalls dann, wenn Bernd außer Hör- und Sichtweite ist, spricht Jan über ihn. Nichts Gutes natürlich. Nur zu gerne würde Jan seine Azubikollegen davon überzeugen, dass Bernd kein guter Ausbilder ist. Das sehe man doch auf den ersten Blick, meint Jan.

Groll als Strafe

Wenn Bernd in den Raum tritt, macht sich Jan so unsichtbar, wie er nur kann. Wenn Bernd Projekte anbietet und Aufgaben verteilt, lässt Jan ihn abblitzen. Soll Bernd doch selbst sehen, an wen er die Arbeit abdrücken kann. Von Jan jedenfalls kann er keine Begeisterung, kein Lächeln, keine Zustimmung und schon gar keinen Beifall mehr erwarten.

Bernd hingegen müsste eigentlich bemerken, dass mit Jan etwas nicht stimmt. Tatsächlich nimmt der Ausbilder sogar wahr, dass Jan anders agiert als früher. Was Bernd nicht erkennt, ist, dass Jan nicht agiert, sondern reagiert – auf sein, also auf Bernds Verhalten. Es braucht Mut, sich dieser Erkenntnis und vor allem den daraus folgenden Anforderungen zu stellen. Denn Bernd müsste sich der Tatsache stellen, dass er möglicherweise einen Teil der Antwort darstellt auf die Frage: Warum verhält sich denn der Jan so seltsam? Diesen Prozess nennt man Verantwortung übernehmen, was tatsächlich nichts andere bedeutet als die Antwort bei sich selbst suchen.

Um diesen Schritt zu wagen, braucht Bernd Mut. Das Dumme ist, dass Jans Verhalten ganz und gar nicht ermutigend oder gar einladend auf ihn wirkt. Der Azubi wirkt abweisend, genervt, verdreht die Augen, wenn Bernd einen Scherz macht, und geht ihm aus dem Weg. Weil wir Menschen ja kreative Wesen sind, haben wir eine spezielle Form des Umgangs mit unangenehmen Zeitgenossen entwickelt: Wir ignorieren sie und blenden alles aus, was stört.

Groll und Ignoranz schaukeln sich auf

Bernd sieht also so gut er nur kann über Jans Verhalten hinweg. Und Jan? Der nimmt sehr wohl wahr, dass ihn sein Ausbilder ignoriert und fühlt sich bestätigt: Bernd hat nur Augen für die anderen, insbesondere für die blöde Tatjana. Jan hat kein Verständnis für Bernds Agieren und übersieht, dass Bernd nur reagiert – auf sein, auf Jans abweisendes Verhalten. In der Mittagspause spricht Jan mit zwei Azubikollegen darüber, wie unfähig Bernd sei und erlebt eine Überraschung. Lukas und Tim sind anderer Meinung. Mit solchen Hohlköpfen, die wie blökende Schafe einfach nur ihrem Ausbilder hinterherlaufen, will Jan künftig nichts mehr zu tun haben. Fortan sehen auch Lukas und Tim auf seiner Deppen-Liste.

Jan treibt sich selbst immer weiter in die Isolation. Es gibt Menschen, die das bis auf die Spitze treiben. Irgendwann sind alle Azubikollegen doof, alle Ausbilder auch, die Freude, die Eltern, die ganze Welt. Wer seinen Groll konsequent hegt und pflegt, wird einsam und bitter. Ich bin immer wieder verblüfft darüber, wie Menschen reagieren, wenn sich herausstellt, dass ihr Nachbar Amok gelaufen ist und wahllos 25 unschuldige Menschen erschossen hat. „Da war so ein ruhiger Mensch, der ist nie unangenehm aufgefallen“, heißt es dann und: „Der hat ganz zurückgezogen und allein gelebt. Wir wussten gar nicht, was der macht.“  Hallo!

Die Unauffälligen sind die, die unsere Aufmerksamkeit brauchen. Natürlich wird nicht aus jedem grollenden Azubi gleich ein Amokläufer. Manche bekommen auch nur Magengeschwüre oder Krebs - das war zynisch, ich weiß - oder sie vergiften einfach nur die Atmosphäre um sich herum. Wenn sie mich fragen, reicht das schon, um das zu tun, was Rettungskräfte im Einsatz tun: Schauen Sie nach den Stillen!

Groll im Drama-Dreieck

Ehe wir dazu kommen, was Sie mit ihrem grollenden Azubi tun können, sollten wir uns einer anderen Frage stellen: Warum um alles in der Welt treiben sich Menschen in die Groll-Isolation?  Das ist eine wichtige Frage. Denn für Außenstehende, die keinen Groll hegen, scheint es keinen sinnvollen Grund dafür zu geben, sich selbst aus der Gemeinschaft wohlwollender Menschen zu schießen. Das aber ist eine Sichtweise. Denn grollende Menschen nehmen Menschen, gegen die sie ihren Groll hegen, ganz und gar nicht als ihnen wohlgesonnen wahr. Im Gegenteil.

Verfolger, Opfer, Retter im Drama
Ohne Lösung: das Drama-Dreieck nach S. Karpman.

Groll ist ein Verhalten, das zu den interessantesten im Drama-Dreieck gehört. Infos zum Drama-Dreieck, dem Konflikt-Modell von Steven Karpman, gibt es in Episode 2 – der Azubi hüpft im Dreieck – Umgang mit Konflikten.

Gehütet wie ein Schatz

Der grollende Jan ist zunächst einmal ein Verfolger. Denn auch wenn er es zumindest Bernd gegenüber nicht ausspricht, ist für ihn klar: Bernd ist schuld. Denn Bernd übersieht ihn und macht damit einen Fehler, den ein guter Ausbilder nicht machen darf. Davon ist Jan überzeugt. Und an dieser Überzeugung hält er fest. So sehr, dass er sie schützen muss. Denn diese Überzeugung ist in der Tat ein wertvoller Schatz für ihn. Der Beleg dafür, dass nur Bernd alleine die Verantwortung dafür trägt, dass die Situation so ist, wie sie ist.

Würde Jan das Problem offen ansprechen, müsste er riskieren, diesen Schatz zu verlieren. Denn Bernd könnte sich erklären oder noch schlimmer sein Bedauern dafür äußern, Jans Arbeit nicht angemessen gewürdigt zu haben. Dann wäre der Wind aus den Segeln und Jans Groll hätte keinen Antrieb mehr. Er müsste anerkennen, dass Bernd ein Mensch ist, der wie alle Menschen Fehler macht, und viel schlimmer: Er müsste anerkennen, dass er sich selbst in die Isolation eines Rechthabers getrieben hat, indem er allen aus dem Weg ging, die nicht bereit waren, mit ihm über Bernd zu lästern. Viel zu gefährlich!

Verfolger, Opfer, Retter

Also hegt Jan lieber weiterhin seinen Groll und tut, so gut er kann, so, als wäre nichts. Vor allem wenn Bernd tatsächlich wagt, sich für Jan und sein Problem zu interessieren, macht der grollende Azubi gute Miene zum bösen Spiel und versichert: „Alles in Ordnung. Kein Problem.“ Es kann sogar sein, dass er Bernd Recht gibt: „Ja, ich bin heute schräg drauf.“ Aber das macht er nur, um ein anderes Ziel zu erreichen. Es heißt: Du hast Recht und ich meine Ruhe. Manchmal macht er das so gut, dass Bernd fast erleichtert ist. Ein bisschen wird Jan damit zum Retter und hat damit munter alle Positionen im Drama-Dreieck durchlaufen.

Das ist interessant und fühlt sich sogar lebendig an, eine Lösung entsteht dabei allerdings nicht.

Das Fünf-Schritte-Programm gegen Groll

Eine Lösung herbeizuführen ist Bernds Aufgabe. Das anzuerkennen ist der erste Schritt. Denn Ausbilder bilden Auszubildende aus – nicht umgekehrt. Um ein Drama aufzulösen, braucht es einen, der bereit ist die Verantwortung dafür zu übernehmen. Völlig in Ordnung, wenn das ein Auszubildender macht. Einen Menschen ganzheitlich auszubilden bedeutet aber auch, nicht bis in alle Ewigkeit darauf zu warten, dass er es endlich tut. Groller können sehr ausdauernd sein. Manche platzen irgendwann, andere nie. In jedem Fall aber vergiften sie die Atmosphäre.

Wenn wir das bemerken, sind wir in der Regel genervt, also ärgerlich. Die herkömmliche Vorgehensweise sieht dann so aus: Bernd knüpft sich Jan vor, konfrontiert ihn damit, wie er seiner Umgebung und vor allem seinem Ausbilder auf die Nerven geht und macht ihm klar, dass das so nicht weitergeht. Damit erreicht Bernd zwei Dinge.

  1. Jan fühlt sich darin bestätigt, dass Bernd ihn nicht mag.
  2. Er treibt ihn noch weiter in die Isolation und in den Groll.

Wir ziehen Bilanz: Bernd nimmt seinen ganzen Mut zusammen, redet Tacheles mit Jan und erschafft so eine Situation, die schlimmer ist als die zuvor. Herzlichen Glückwunsch!

Verantwortung übernehmen

Ein verantwortungsvoller Ausbilder, der sich bewusst ist, was ganzheitlich Ausbilden bedeutet, macht genau das, wovor Jan am meisten Angst hat: Er übernimmt Verantwortung dafür, dass die Situation so ist, wie sie ist. Das ist zunächst einmal nicht mehr als eine Haltung, die allerdings voraussetzt, dass Bernd seinen Ärger nicht dafür nutzt, um Jan schlecht zu machen, sondern dafür, sich für die eigene Verantwortlichkeit zu entscheiden. Die Frage, die er sich dafür stellen muss, lautet: Was habe ich dazu beigetragen, dass die Situation so ist, wie sie ist? Zugegeben: Es wäre viel bequemer, die Schuld einfach Jan zuzuschieben. Mit ganzheitlich Ausbilden hätte das aber nichts zu tun.

Vertraulichkeit sichern

Bernd bitte Jan zum Gespräch. Ich würde das so informell wie möglich machen. „Lass uns mal reden, Jan.“ Am besten in neutraler, aber geschützter Umgebung -  ohne Publikum. Das ist extrem wichtig, denn Bernd muss darauf achten, dass Jan nicht Angst bekommt, sein Gesicht zu verlieren. Heranwachsende Menschen haben davor oft viel mehr Angst als gereifte Erwachsene, die wissen, dass ein Gesicht in aller Regel eh nur eine Maske über der nächsten ist.

Fragen stellen

Bernd stellt Fragen. Glauben Sie mir: Antworten werden überschätzt. Wenn Bernd wissen will, und das sollte er, was in Jan tatsächlich vorgeht, muss er ihn fragen. Behutsam und mitfühlend, aber eben auch verantwortlich und klar: „Hej, ich habe den Eindruck, dass wir beide uns aus dem Weg gehen. Wie siehst du das - habe ich irgendetwas falsch gemacht?“

Geduldig und beharrlich sein

Jan wird seinen Groll-Schatz nicht gleich beim ersten Versuch preisgeben. Bernd muss geduldig und beharrlich dranbleiben und mit gutem Beispiel vorangehen: „Du, wenn ich dich verletzt oder verärgert habe, tut es mir leid. Dann habe ich wohl tatsächlich etwas falsch gemacht.“

Das Gegenmittel: Verzeihen

Egal, ob Jan sich öffnet oder seinen Groll weiter hegen will – Bernd wird vorleben, was er sich von Jan wünscht: Verzeihen. Bernd wird tun, was Rettungskräfte tun: dem Stillen, Unauffälligen seine besondere Aufmerksamkeit widmen, ihm grundsätzlich wohlwollend und positiv begegnen, aber auch mit Klarheit und Offenheit. Die Zeit des Schweigens endet, wenn einer spricht. Wenn beide darauf warten, dass der andere beginnt, dauert es ewig. Und ewig ist zu lange.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2016

Verantwortung. Great Growing Up.

Jammerlappen – Wenn einer ständig klagt

Einer jammert immer

Sie kennen das: Für die einen ist das Glas halb voll, für die anderen halb leer. Ansichtssache eben. Da kann man nichts machen. Ein Azubi, der ständig nur jammert und klagt, der nie zufrieden ist, mit dem, was er darf und dem alles zu viel ist, was er muss oder soll. Da kann man nichts machen, sagen Sie? Na, dann viel Spaß mit Ihrem Jammerlappen.

Ich weiß ja nicht, wie es ihnen geht, aber ich kann Jammerlappen und Nörgler auf Dauer nur sehr schwer ertragen. Das war schon immer so, seit ich gelernt habe,

Verantwortung zu übernehmen und Menschen zu führen. Dummerweise gibt es in fast jeder Gruppe so einen Jammer-Menschen. Sie gehören quasi zur Standardausstattung menschlicher Ansammlungen.

Jammerlappen in der Freizeit

Mit 15 Jahren fing ich an, Pfadfindergruppen zu leiten, hab mir jede Woche überlegt, mit welchen interessanten Inhalten ich die Gruppenstunden fülle. Heimnachmittage hießen die bei uns, weil sie im Pfadi-Heim stattfanden. Nicht immer, aber hin und

wieder gab es dann einen, der gar keine Lust auf mein Programm hatte und das immer wieder zum Ausdruck brachte – in Worten, die nervten und in Taten, die ausblieben.

Jedes Team hat seinen Jammerlappen.
Alle zu begeistern gelingt nur selten. Fast jede Gruppe hat einen Jammerlappen.

Mit 17 Jahren führte ich zum ersten Mal eine Gruppe Gleichaltriger durch Griechenland. Auch das ist lange her, aber ich erinnere mich noch gut daran, dass es nicht nur Begeisterung war, die unsere Reise prägte. Es gab auch Reiseteilnehmer, die Grund zum Jammern fanden: So früh aufstehen, bloß wegen der blöden Inselfähre? Heute ist es schon wieder so heiß! Müssen wir uns wirklich Olympia anschauen? Etcetera.

Jammerlappen im Beruf

Später, als Leiter einer Zeitungsredaktion, durfte ich erfahren, dass es Jammerlappen und Nörgler auch in der Arbeitswelt gibt. Allerdings war mir da schon längst klar, dass mich diese Menschen immer nur dann störten, wenn ich zuvor einen ganz bestimmten Schritt gegangen war: den hin zur Verantwortung. Ich habe – mit mal mehr, mal weniger Mühe – etwas vorbereitet, aber nicht alle ziehen mit, der eine oder die andere jammert und nörgelt. Es ist ein Geschenk, wenn tatsächlich alle mitziehen. Manchmal glaube ich, es ist ein sehr seltenes Geschenk, aber das ist schon wieder gefährlich nahe am Jammern. Ironie aus!

Verantwortung braucht Mut

Im Ernst: Menschen, die Verantwortung übernehmen, werden sichtbar. Manche

Menschen mögen das nicht, weil sie instinktiv wissen: Sichtbar werden bedeutet, verletzbar werden. Sie bereiten etwas vor, stellen etwas zur Verfügung, präsentieren etwa es vor Ihren Azubis. Genau in dem Moment verlassen sie die sichere Deckung – Sie tauchen auf. Ihre Zuhörer sind zu dem Zeitpunkt noch auf Tauchstation. Einige Mutige folgen Ihrem Beispiel, äußern Bereitschaft oder sogar Begeisterung für Ihr Vorhaben. Ab hier sind Sie nicht mehr allein, denn Ihre Fürsprecher sind Ihrem Beispiel gefolgt und ebenfalls aufgetaucht. In dem Moment, in dem sie Stellung beziehen, übernehmen Sie ebenfalls Verantwortung für Ihr Vorhaben. Sie machen es zu Ihrem.

Was Mutige riskieren

Jammerlappen können nerven.
Der Umgang mit ständig nörgelnden Menschen kann sehr anstrengend sein.

Damit gehen sie gehen das gleiche Risiko ein wie Sie, der das Vorhaben vorbereitet und präsentiert hat: Sie verlassen ihre sichere Deckung und werden verletzbar, denn jeder der jetzt noch das Vorhaben kritisiert, nimmt zumindest ein wenig auch die aufs Korn, die sich dazu bekannt haben.

Schließlich sind ja noch nicht alle U-Boote aufgetaucht. Die Flotte der Schweigenden kreuzt nach wie vor unter der Oberfläche, und manche von ihnen sind auf Beute aus. Wie richtige U-Boote werden sie den Teufel tun und ihre Deckung verlassen. Maximal ihr Periskop werden sie ausfahren, um ganz vorsichtig auszuspähen, wen sie aufs Korn nehmen können. Ideale Ziele sind Boote, die so weit wie möglich aufgetaucht sind: in unserem Fall Menschen, die sich zeigen mit ihrer Idee, ihrer Begeisterung und ihrer Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Sie zu treffen ist leicht.

Ideale Ziele sind auch Schiffe mit hohen Aufbauten, die großen Pötte. Also Vorgesetzte, Personaler, Geschäftsführer etc.  Allerdings sind die auch gefährlich, weil sie U-Boote versenken können - mit Wasserbomben oder indem sie knapp unter der Wasseroberfläche fahrende U-Boote rammen, wenn die mit Jammer- und Nörgel-Torpedos nerven.

Die Ursachen

Wenn Sie Ausbilder sind, werden Sie Erfahrung haben mit jammernden und nörgelnden Azubis, die jede schöne Idee torpedieren. Die entscheidende Frage ist, wie gehen Sie mit diesen U-Booten um? Ehe Sie sich diese Frage selbst beantworten, empfehle ich Ihnen, sich zunächst eine andere Frage zu stellen:

Was bringt Menschen dazu, an allem herumzunörgeln und zu jammern? Da wird es schon schwieriger. Gute Antworten finden Sie womöglich, wenn Sie selbst ein wenig auf Tauchstation gehen. In die Tiefe Ihres selbst und sich fragen: Jammere und nörgle ich manchmal auch?

Nabelschau

Ja, ich weiß, das nervt. Schließlich ist ja unser nörgelnder Azubi das Problem und nicht wir selbst. Immer dieses nervtötende Sich-selbst-infrage-Stellen. Es steht Ihnen natürlich frei, ihren Azubi-Jammerlappen mit Wasserbomben zu bewerfen oder ihn zu rammen. Möglicherweise werden Sie ihn damit sogar los. Problem gelöst.

Jammerlappen sind wie auffgetauchte U-Boote.
Jammernde Menschen sind wie aufgetauchte U-Boote: nur noch halb so gefährlich.

Wirklich? Es gibt Fälle, die wir nicht anders lösen können. Das stimmt ohne Zweifel. Als gute Ausbilder aber kommen wir nicht an der Frage vorbei, ob wir nicht eher unser Problem gelöst haben, als das unseres nervenden, weil jammernden Azubis.

Wenn wir unseren Job ernst nehmen, und junge Menschen ganzheitlich ausbilden wollen, ihnen helfen wollen, erwachsen zu werden, können wir unbequemen Fragen nicht einfach ausweichen. Man nennt das „Als Vorbild vorangehen“, und nur wenig ist so wirksam wie ein gutes Vorbild.

Also: Wann jammere und nörgle ich? Meine persönlichen Lieblingssituationen sind: wenn es darum geht, mich auf Neues einzulassen, ein neues Spiel zu lernen, mich mit neuer Software anzufreunden, wenn ich Improvisationstheater spielen soll und damit riskiere, mich auf der Bühne zu blamieren, wenn meine To-do-Liste so voll ist, dass ich den Überblick verliere, wenn mir alles zu viel wird.

Das alles sind Situationen, in denen ich keine Lust habe, zu tun, was gefordert ist und ich gebe dem Ausdruck, indem ich jammere und nörgle. Das bringt uns zur nächsten Frage: Warum habe ich keine Lust? Die ehrliche Antwort darauf, finden wir in der Gemeinsamkeit, die all diese Lieblingssituationen miteinander verbindet:

Neue Spielregeln lernen, neue Software beherrschen, Theater spielen, den Überblick verlieren – auf solche Anforderungen reagieren wir mit ein und dem gleichen Gefühl: Es heißt Angst. Manche haben in solchen Situationen mehr, andere weniger davon.  Ich gehöre zu denen, die mehr davon haben.

Ständig unzufrieden

Andere jammern und nörgeln, weil sie grundsätzlich mit irgendetwas unzufrieden sind. Das muss gar nichts mit dem aktuellen Vorhaben zu tun haben, das sie ausgiebig bejammern. Es kann sein, dass ihr Jammerlappen-Azubi in Wirklichkeit tieftraurig ist oder sich über etwas, vielleicht sogar über etwas, das Sie getan haben, ärgert.

Ob es nun aber Angst, Trauer oder Ärger ist, in allen Fällen gibt es eine weitere Gemeinsamkeit: Wer jammert und nörgelt, macht sich zwar bemerkbar, aber er spricht nicht über das, worum es ihm wirklich geht. Sie dürfen sogar davon ausgehen, dass ihrem Azubi das gar nicht bewusst ist: Er weiß in der Regel nicht, dass er ein Thema verdrängt. Wie könnte er da wissen, um welches Thema es sich handelt?

Eben.

Opfer jammern gerne

Menschen, die gerne jammern und nörgeln sind im Psychodrama dem sognannten Opfer zugeordnet. Alles ist ihnen zu viel, keiner kümmert sich um sie, und sie sind überzeugt, dass niemand auf der ganzen Welt so schlecht behandelt wird wie sie. Erkannt? Jeder von uns hat diesen Jammerer oder Nörgler in irgendeiner Form in sich. Kein Grund, sich aufzuregen, das ist völlig normal. Die entscheidende Frage ist, wie Sie mit diesem Teil in Ihnen umgehen.

Nörgeln und Jammern können auf Dauer sehr zermürben, egal, von welcher Seite sie kommen. Sie erschaffen eine schwere und drückende Stimmung.

Was Jammern bringt

Für das Opfer selbst hingegen kann sich Nörgeln durchaus toll anfühlen. Und Jammern erst. Beides verschafft uns Luft, befreit uns von Frust, Leid und Ungerechtigkeit. Oder? Wenn das wahr wäre, gäbe es kein dauerhaftes Nörgeln und kein dauerhaftes Jammern. Gibt es aber. Warum? Weil das, was wir tatsächlich als befreiend empfinden, nicht das Verschwinden von Frust, Leid oder Ungerechtigkeit ist. Stattdessen empfinden wir Erleichterung, wenn die Verantwortung wegfällt. Andere sind verantwortlich für unser Elend, und das auszusprechen, befreit uns. Es wirkt. Nur eben nicht sehr lange. Und dagegen hilft nur eines: ständiges Wiederholen.

Warum Jammern nicht sexy ist

Jammern sieht auf den ersten Blick besser aus als Nörgeln. Wer jammert, muss nur mit einem leicht beschädigten Image leben, denn Jammerlappen gelten als schwach. Richtig guten Jammerlappen macht das nichts aus, weil sie auch darüber nach Herzenslust jammern können. Im Gegenzug sind Jammerer keine Nörgler, die mit dem Finger auf andere, zeigen. Sie sind somit gesellschaftlich akzeptiert, weil sie arme Opfer sind, und unsere Gesellschaft hat viel Verständnis für arme Opfer. Jetzt die schlechte Nachricht: Jammern ist nichts anderes als mehr oder weniger gut getarntes Nörgeln. Und weil wir schon bei schlechten Nachrichten sind: Jammerlappen sind nicht sexy. Punkt.

Was Jammerlappen vermeiden

Was Jammern und Nörgeln verbindet, ist etwas anderes. Jammerer und Nörgler sind sich deshalb so nahe, weil sie eines nicht tun: Verantwortung für sich und ihr Leben übernehmen. Deshalb wird ein richtiger Jammer- oder Nörgel-Profi auch nie einen konstruktiven Veränderungsvorschlag machen. Das würde ja bedeuten, Verantwortung zu übernehmen und kommt somit nicht in den Lappen - pardon – nicht in die Tüte.

Das klingt hart und ist auch hart. Die Wahrheit ist, dass wir nie jammern, ohne mit dem Finger auf jemanden zu zeigen (auch wenn wir das nicht aussprechen).

Wir wissen jetzt also: Ihr jammernder und nörgelnder Azubi fühlt entweder Angst, Ärger oder Trauer, aber er will nicht darüber reden. Damit sind wir einen Schritt weiter.

Die Ursachen

Einen wichtigen Schritt, denn jetzt, wird es Zeit, eine Unterscheidung zu treffen. Ihr jammernder Azubi ist nicht das einzige Boot im Wasser. Außer Ihnen selbst, aufgetaucht und unter der Flagge der Mutigen, gibt es noch die Bereitwilligen, die mit Ihnen auf große Fahrt gehen wollen.

Aber übersehen Sie um Poseidons Willen nicht die anderen. Die Stillen, die noch gar nichts gesagt haben, die Sie im Unklaren lassen, ob Sie auf ihr Engagement zählen können oder nicht. Das sind die U-Boote, die noch nicht mal ihr Periskop zeigen. Die Abgetauchten. Wenn Sie mich fragen, sind die das größere Problem. Deshalb widmen wir den vollständigen U-Booten eine separate Podcast-Episode. Versprochen.

Was Jammerlappen fühlen

Heute bleiben wir beim U-Boot unter der Jammer- und Nörgel-Flagge.
Wenn Sie wissen wollen, welches Gefühl den Alltag auf einem U-Boot prägt, empfehle ich Ihnen den Film „Das Boot“ von Wolfgang Petersen. Spätestens während der Kampfeinsätze werden Sie es selbst spüren: nackte Angst.

Egal ob ihr Jammerlappen-Azubi ärgerlich ist oder traurig, er hat vor allem eines: Angst sich vollständig zu zeigen. Von seinen völlig abgetauchten, schweigenden Kollegen unterscheidet er sich in einem wesentlichen Punkt: Er zeigt sich zumindest ein wenig. Und das ist die gute Nachricht, auch wenn er Ihnen schrecklich auf die Nerven geht.

Jammerlappen machen sich bemerkbar.
Immer gut, wenn man weiß, wer einen gerade torpediert.

Ich weiß, es fällt schwer, das anzuerkennen: Aber ein jammernder, nörgelnder Auszubildender ist mutiger als seine Kollegen, die sich nicht trauen, den Mund aufzumachen.

Natürlich ist er dadurch auch unbequemer, er fällt uns auf die Nerven. Er fordert uns.

Wie Sie Jammerlappen begeistern

Ich betrachte solche Azubis und übrigens auch anderen jammernden Menschen in meinem Umfeld als Sparringspartner. Die wahrhaft Begeisterten habe ich bereits gewonnen, die Jammerer und Nörgler muss ich erst noch gewinnen.  Sie sind eine Herausforderung, an ihnen kann ich wachsen. Ich muss nur mutig genug sein, auch Scheitern in Kauf zu nehmen. Der Prozess auf den ich mich damit einlasse, ist unter dem Begriff Wachstum bekannt. Wer nur Wege mit Erfolgsgarantie beschreitet, wird daran nicht wachsen.

Das Fünf-Schritte-Programm

Fünf Schritte werden Ihnen den Umgang mit Jammerlappen und Nörglern erleichtern. Und ganz nebenbei eröffnen Sie ihnen den Weg zu einer langfristigen positiven Entwicklung.  Also: was tun, bei Jammerlappen-Alarm?

  1. Hören Sie zu.
  2. Atmen Sie ruhig ein und aus.
  3. Gehen Sie davon aus, dass das Jammern einen tieferen Grund hat.
  4. Nehmen Sie sein Jammern und Nörgeln nicht persönlich.
  5. Holen Sie ihn zu sich an Bord.

Alle, die in Alarmbereitschaft leben, wissen, dass es sinnvolleres zu tun gibt als nur von Alarm zu Alarm zu warten. Die Fachwelt nennt das Prävention, Vorbeugung. Mal ganz unter uns: Sie kennen doch Ihre Pappenheimer, sie wissen ganz genau, welches U-Boot ihr nächstes Vorhaben, ihr nächstes Projekt wieder torpedieren wird.

Ein Kapitän, der unvorbereitet in so ein U-Boot-Rudel steuert, programmiert schon fast die eigene Versenkung. Sie wissen, wer Sie aufs Korn nehmen wird. Also handeln Sie, bevor der Torpedo auf sie zu rauscht.

Der Trick: Jammerlappen einbinden

Dafür empfehle ich folgenden Trick: machen Sie Punkt 5 zu Punkt 1.

Der Tipp: Jammerlappen an der Verantwortung beteiligen.
Machen Sie den Jammerlapppen zu Ihrem Vebündeten.

Wenn Sie ohnehin wissen oder zumindest ahnen, wer am lautesten jammern oder nörgeln wird, holen Sie ihn oder sie zu sich an Bord. Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, mir die Hochleistungsnörgler zu Verbündeten zu machen. Das geht ganz einfach: Ehe Sie Ihr Projekt ihrem Team vorstellen und es damit womöglich vor vollendete Tatsachen stellen, besprechen Sie das, was Sie präsentieren wollen, mit Frau und Herrn Jammerlappen.

Das Wundermitttel: Zuhören

Alles, worauf Sie dabei achten müssen, ist, dass Sie den übrigen 4 Punkten weiter folgen: Hören Sie zu. Atmen sie ruhig ein und aus. Gehen Sie davon aus, dass das Jammern einen tieferen Grund hat. Nehmen Sie nichts persönlich.

Wenn Sie das befolgen, passiert etwas Erstaunliches: Ihr jammernder und nörgelnder Azubi erfährt etwas, das man Teilhabe nennt. Er gehört damit nicht mehr zu den Leichtmatrosen, die vor vollendete Tatsachen gestellt werden, er ist vielmehr an der Festlegung des neuen Kurses aktiv beteiligt. Er wird gehört und erfährt dadurch etwas, wonach sich alle Menschen sehnen: Wertschätzung. Möglicherweise haben Sie ihn damit schon auf ihrer Seite, denn Wertschätzung ist etwas, das im Leben vieler junger Menschen viel zu kurz kommt. Die meisten hungern danach, ohne es zu wissen.

Darüber hinaus aber beinhaltet das Fünf-Schritte-Programm zum Auswringen eines Jammerlappens einen ganz abgefeimten Trick: Der vormals jammernde und nörgelnde Azubi ist nicht mehr ihr Feind. Er sitzt mit Ihnen im Boot, wenn Sie idealerweise gemeinsam präsentieren, was sie gemeinsam erarbeitet haben. Er trägt einen Teil der Verantwortung und kann damit kaum das Projekt torpedieren, weil er sich damit selbst beschädigen oder gar versenken würde.

Raus aus dem Drama

Ich behaupte, wenn Sie sich darauf einlassen, sind Sie bereits dabei, das Problem langfristig anzugehen. Denn eines wird gerne übersehen: Menschen, die jeder neuen Herausforderung mit Jammern und Nörgeln begegnen, sind in der Regel nicht über-, sondern unterfordert. Sie sind keine Befehlsempfänger, sie sehen sich danach bedeutsam zu sein, Verantwortung zu übernehmen, gesehen zu werden. Übertragen Sie Verantwortung und Sie lösen das Problem, denn Menschen, die Verantwortung an- und übernehmen, sind keine Opfer und damit raus aus dem Drama des ewigen Jammerns und Nörgelns.

Jammern ist ansteckend

Wissen Sie eigentlich, dass Jammern und Nörgeln hochansteckend sind? Spätestens, wenn Sie sich nicht auf die erwähnte Jammer-Prävention einlassen, werden Sie es am eigenen Körper erleben.

Mir ging es genauso. Jedes Mal wenn ich neue Aufgaben verteilte, Ideen präsentierte, Projekte oder Neuerungen vorstellte, nahm mich eine ganz bestimmte Mitarbeiterin unter Torpedo-Beschuss. Aus Erfahrung wusste ich jedes Mal schon vorab, dass genau das passieren würde. Und es passierte. Auf Dauer hat mich das ganz schön frustriert. Und was habe ich getan mit diesem Frust: abends meiner Frau vorgejammert, wie schlimm das wieder war mit ihr. Willkommen im Club!

Erfahrungen machen und aus Erfahrungen lernen ist eben nicht dasselbe.

Nochmal Nabelschau

Wenn Sie Zuhause über jammernde und nörgelnde Auszubildende herziehen, ist das völlig in Ordnung. Wenn Sie einen Partner haben, der Ihnen dabei zuhört, sollten Sie ihm dankbar dafür sein. Wenn sie oder er ungeduldig wird, weil das Thema langsam langweilig wird, dürfen Sie sich glücklich schätzen. Spätestens dann ist es Zeit anzuerkennen, dass sie selbst jammern. Das ist zwar eine schmerzhafte, aber dafür auch sehr wertvolle Erkenntnis.

Jammerlappen sind unglücklich.
Jammern ist nicht sexy. Auch nicht am Smartphone.

Übernehmen Sie Verantwortung dafür, dass die Situation so ist, wie sie ist - inklusive ihres jammernden Azubis. Dann beginnen Sie, die Situation so zu verändern, dass sie Ihnen gefällt, und sie verlassen das Drama. Ich empfehle Ihnen, beginnen Sie mit Schritt fünf. Holen Sie den Jammerlappen zu sich an Bord.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2016

Konflikte im Team lösen – Drama verhindern

Keiner will Konflikte im Team

Ich beginne radikal ehrlich – radikal ehrlich. Im Grunde mag ich keine Konflikte. Und ich bin überzeugt, dass ich damit nicht alleine bin. Ob in Familien- oder Paarbeziehungen, ob in der Freizeit oder bei der Arbeit – im Grunde wollen wir doch vor allem eines: in Ruhe unsere Arbeit machen. Und am besten geht das ohne Konflikte. Dumm nur, dass wir nicht alleine sind, und unsere Mitmenschen immer wieder mit Konflikten stören. Und ebenfalls dumm, dass es unseren Mitmenschen genauso geht. Mit uns. Da hilft nur eines: gut trainierte Konfliktfähigkeit. Nur wer bereit ist, Konflikte im Team anzusprechen kann sie lösen.

Die Fähigkeit, verantwortungsvoll zu streiten, kann man tatsächlich üben. Sie ist gerade auch im Berufsleben von großer Relevanz, denn Mitarbeiter, die Konflikte verdrängen tun weder sich selbst noch ihren Kollegen einen Gefallen. Auf lange Sicht vergiften sie das Klima.

Alle wollen Harmonie

Eine der häufigsten Urachen für Konflikte im Team ist der Wunsch, Harmonie zu erleben. Daran ist nichts falsch. Harmonie ist  schön. Wenn sie echt ist. Je mehr Konflikte wir verdrängen, desto falscher wird die angebliche Harmonie. Wir Menschen sind nur in begrenztem Umfang dazu in der Lage, unseren Mitmenschen etwas vorzumachen. Wenn wir nicht direkt ansprechen, was uns stört, tun wir's früher oder später indirekt: wir werden zickig, schnippisch, ablehenend oder schweigen vielsagend.

Schweigen ist nicht Silber

Viele von uns wünschen sich vor allem bei der Arbeit Harmonie. Denn die stört nicht und ist in der Regel leise. Tatsächlich glauben viele Menschen, dass Schweigen Konflikte im Team verhindert. Das ist ein Irrtum, denn es führt nur dazu, dass wir anderen Ausdrucksformen benutzen, um unsere Konflikte auszutragen:

Mit dem red‘ ich doch gar nicht! Warum schaut denn die schon wieder so komisch zu mir rüber? Der hat doch irgendwas, aber das beachte ich gar nicht. Die lade ich nicht zu meiner Geburtstagsfeier ein. Menschen, die so argumentieren, ziehen sich schnell in ihr Schneckenhaus zurück und bleiben dort.

Great Growing Up bietet wirksame Strategien gegen Konflikte im Team.
Verdrängte Konflikte belasten beides: Arbeitsklima und Mitarbeiter.

Die harte Wahrheit ist: Wo Menschen zusammen sind, gibt es Konflikte. Ob sie laut oder leise ausgetragen werden, ist nicht so wichtig. Tatsache ist: Sie sind da. Wer das nicht anerkennen will, sollte sich nach einer einsamen Insel umschauen und wird dort möglicherweise lernen, dass es auch dort Konflikte gibt: mit dem Wetter, das nicht so ist, wie ich es gerne hätte. Mit dem Fisch, der sich partout nicht fangen lassen will, oder noch schlimmer mit dem inneren Schweinehund und den eigenen Glaubenssätzen.

Wenn Sie mich fragen, ich bleibe da lieber in der Gesellschaft von Menschen und trage meine Konflikte mit ihnen aus als mit meinem inneren Schweinehund oder den nicht so netten Glaubenssätzen über mich selbst. Deshalb trainiere ich Konfliktfähigkeit. Meine eigene sowie die meiner Klienten bzw. Trainingsteilnehmer. Konfliktfähigkeit ist ein wesentliches Element von Beziehungskompetenz, und die braucht jeder, der mit Menschen zusammenarbeitet. Vor allem jene, die andere Menschen führen.

Konflikte im Team folgen festen Regeln

Und da sind wir auch schon mitten drin im Thema. Ob Sie es glauben oder nicht: Fast jedes Mal, wenn Sie

Menschen im Konflikt beobachten, können Sie davon ausgehen, dass es nicht um das geht, worum es zu gehen scheint. Egal, wie heftig sich beide streiten oder vielmehr gerade wenn es heftig zugeht, ist das Thema an der Oberfläche nicht das, was für Heftigkeit sorgt. Es geht um Tieferes. Und auch wenn Sie es nicht gerne hören: Das ist auch so, wenn Sie sich selbst beim Streiten beobachten.

Ehe ich jetzt verrate, worum es tatsächlich geht, lassen Sie uns zunächst anschauen, wie wir uns im Konflikt verhalten.

Konflikte im Team: Stinkefinger spricht nicht für Konfliktfähigkeit.
Zeichensprache ist kein Zeichen von trainierter Konfliktfähigkeit.

Nahezu jeder Konflikt folgt bestimmten Regeln.

Zum Beispiel so:

Jan, Ihr Azubi, kommt zu spät zur Arbeit.

Sein Ausbilder Bernd stellt ihn zur Rede:

„Du bist schon wieder zu spät. So geht das nicht weiter.“

Jan entgegnet:

„Ich kann doch nichts dafür, mein Wecker hat nicht geklingelt und der Bus kam zu spät.“

Bernd grummelt, „Dir fällt auch immer eine Ausrede ein“, und wendet sich ab. Den restlichen Tag über sprechen die beiden kein Wort mehr miteinander.

Schön, könnte man sagen. Endlich Ruhe, und die beiden machen ihren Job. Aber ist diese Ruhe Harmonie?

Eben.

Möglicherweise bemerken Jans Azubikollegen, dass irgendetwas nicht stimmt und versuchen, Jan aufzuheitern.

Willkommen im Drama

So weit so gut. In diesem rein fiktiven, aber sicher sehr realistischen Konfliktbeispiel gibt es drei Rollen, die der amerikanische Psychoanalytiker Steven Karpman beschrieben hat einen Verfolger, ein Opfer, einen Retter. Alle drei bilden ein Dreieck, das Drama-Dreieck frei nach Steven Karpman.

Dieses psychologische Modell lässt sich auf Konflikte im Team anwenden. Jede der drei Rollen erfüllt einen bestimmten Zweck.

Der Verfolger

Bernd ist der Verfolger. Was waren seine Worte:

„Du bist schon wieder zu spät. So geht das nicht weiter.“

Das ist eine klassische Verfolger-Aussage. Ihre wichtigsten Bestandteile sind die Worte „Du“ und „schon wieder“. Im Kern drückt sie folgendes aus: Du hast etwas falsch gemacht. Du bist nicht okay.“

Bernd sagt das nicht in Worten, aber wir können sicher sein, das die Botschaft bei Jan ankommt. Zumindest sein Unterbewusstsein hat beide Lauscher aufgestellt und hört alles.

Das Opfer

Was entgegnet Jan?

„Ich kann doch nichts dafür, mein Wecker hat nicht geklingelt und der Bus kam zu spät.“

Daran ist nichts falsch, wir könne sogar davon ausgehen, dass Jan die Wahrheit sagt. Für den tatsächlichen Konflikt ist das aber unerheblich.

Interessant ist, was Jan zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringt. Zunächst mal begründet er sein Zuspätkommen. Das haben wir alle gelernt. Jeder, der die Schule besucht hat, weiß, dass ein guter Grund die Chance erhöhte, ungeschoren davon zu kommen. Wer beispielsweise eine behinderte Mutter hat, darf sich über ein kaum schlagbares Ausreden-Abo freuen. Je besser und einleuchtender unser Grund, desto größer die Chance auf Freispruch.

Das Gegenteil von Konfliktfähigkeit: Verfolger, Opfer, Retter im Drama
Lösung nicht inbegriffen: das Drama-Dreieck nach S. Karpman.

Jan weiß das und begründet sein Zuspätkommen. Die wichtigsten und entlarvenden Worte seiner Entgegnung sind: „Ich kann doch gar nichts dafür.“ Das ist klassische Opferkommunikation. Jan verfolgt ein Ziel: Er will das, was wir alle wollen: okay sein.

Wie das Opfer Verantwortung meidet

Daran ist nichts falsch. Jan will nicht bestraft werden, auch nicht mit Gegrummel, mit bösen Blicken. Er will auch nicht, dass sein Ausbilder schlecht über ihn denkt. Niemand will das.

Also macht Jan, was er, was wir alle, gelernt haben: Er gibt die Verantwortung für sein Handeln ab: an den defekten Wecker, an den Busfahrer, an den Straßenverkehr.

Zumindest teilweise kommt er damit durch. Bernd, sein Ausbilder, gibt auf. Er grummelt zwar etwas in seinen Bart, aber zumindest vordergründig ist Jan aus der Nummer raus.

Warum im Drama keiner glücklich wird

Tatsächlich aber ist keiner so richtig glücklich damit, wie die Sache gelaufen ist. Bernd ist genervt, weil er bei Jan nichts erreicht. Jan fühlt sich unwohl, weil irgendetwas nicht okay ist. Etwas ganz Wichtiges nämlich: er selbst. Denn seine Opferkommunikation hat eine zwischen den Zeilen versteckte Geheimbotschaft transportiert:

„Ich kann doch gar nichts dafür“ bedeutet „Ich bin nicht verantwortlich für mein Handeln.“ Und „Ich bin nicht verantwortlich für mein Handeln“ bedeutet nichts anderes als „Ich bin nicht okay.“ Möglicherweise wälzt Jan gerade einen gar nicht so abwegigen Gedanken: „Immer hackt der Bernd auf mir herum.“ Solche und ähnliche „Immer-krieg-ich-auf-die-Mütze“-Aussagen sind Hochleistungsopfer-Sprüche. Die anderen sind verantwortlich. Ich kann nichts dafür. Da scheint ein Vorwurf an „die anderen“, also beispielsweise an unseren Ausbilder Bernd mitzuklingen: Der hackt auf mir herum – ist gleich -  der ist nicht okay. Unser Unterbewusstsein hört aber auch den Vorwurf an uns selbst: Ich bin nicht okay, weil ich keine Verantwortung übernehme. Und weil ich dauernd Vorwürfe bekomme.

In diesem Teufelskreis können gute Opfer ganze Leben verbringen. Das Schöne daran ist: Es gibt keine unliebsamen Überraschungen mehr. Jeder Konflikt endet unweigerlich im Drama. Und Opfer kontrollieren das Drama. Ohne sie gibt es gar kein Drama. Richtig geübte Opfer suchen geradezu nach Verfolgern, mit denen sie ein Drama beginnen können. Und wenn gerade keine Menschen zur Verfügung stehen? Egal! Profi-Opfer fühlen sich von allem verfolgt: vom Wetter, der Politik, dem eigenen Unvermögen, dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Wer jammern will, findet bejammernswerte Umstände.

Der Retter

Welche Rolle spielen eigentlich Jans Azubikollegen in unserem Drama? Die, von der viele glauben, sie sei die gute: den Retter. Retter sind beliebt. Sie stehen für den Ritter in schimmernder Rüstung, der auf seinem edlen Ross herangaloppiert, sein klingendes Schwert aus der Scheide zieht und uns von allem Übel erlöst. Was bitte soll daran schlecht sein?

Ehrliche Antwort?

Gerne: nichts.

Jans Ausbildungskollegen wollten ihn aufheitern, vielleicht indem sie ihn ablenken.  Das ist lieb gemeint und kann auch funktionieren, aber die Rettungsaktion hat eine unschöne Nebenwirkung: der Retter stellt sich immer über das Opfer. Denn seine unterschwellige Kommunikation ist: „Ich rette dich, denn du alleine kannst es nicht.“  Sprich: „Ich bin okay, aber du nicht.“ Und Opfer-Ohren hören das. Das kann ich Ihnen versichern.

Warum Retten nicht besser ist

Es macht übrigens einen großen Unterschied, ob Jan danach fragt, aufgeheitert zu werden oder nicht. Wenn er fragt, übernimmt er Verantwortung für sich selbst. Ein Profi-Retter wird darauf nicht warten. Er rettet, nicht weil er Jan etwas Gutes tun will, sondern sich selbst: Als toller Retter dazustehen, oder vielleicht auch nur, weil er Jans Traurigkeit nicht aushalten kann. Retter retten ungefragt.

Am Retter ist nichts schlecht. Genauso wenig wie am Verfolger und am Opfer. Es sind nur Rollen, die eine ganz bestimmte Entwicklung beschleunigen: Wir werden älter.

Im Drama gibt es keine Lösung

Wirklich: Im Drama passiert sonst gar nichts. Kein Drama löst sich von selbst auf, keiner wird glücklicher oder unglücklicher als er es ohnehin schon ist und keiner wird schlauer oder weiser als er es ohnehin schon war. Im Drama gibt es weder Erlösung noch Wachstum und folglich auch nie eine Lösung für Konflikte im Team.

Wenn Sie daran zweifeln, beobachten Sie mal, wie oft sie Konflikte im Team austragen, die immer dem gleichen Muster folgen. Einer weint, der andere verlässt verärgert den Raum. Oder einer schweigt, und der andere fühlt die schale Freude darüber, das letzte Wort zu haben. In der Regel sind das Konflikte, nach denen später keiner mehr weiß, was eigentlich der Auslöser war. Wissen Sie warum? Weil das Thema an der Oberfläche komplett irrelevant ist.

Und nur um nochmal an den Konflikt zwischen Jan und seinem Ausbilder Bernd zu erinnern: Der bleibt ungelöst.

Der Blick auf die eigene Konfliktfähigkeit

Wenn Sie diesen Podcast optimal nutzen wollen, gönnen Sie sich den Spaß und überlegen Sie sich, welche der drei Rollen im Drama Ihr Favorit ist. Sind Sie am liebsten Verfolger, Opfer oder Retter? Wir haben alle unsere Lieblingsrolle. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch in die anderen beiden schlüpfen können. Das tun wir mitunter auch mehrmals in ein und demselben Drama und hüpfen munter im Dreieck umher. Das macht ja den Reiz der Sache aus, den Dramen fühlen sich lebendig an. Wir fühlen etwas, können andere oder uns selbst beschuldigen oder retten. Genau deshalb lästern wir gerne über andere, jammern wir gerne über das Wetter oder die Politik oder fordern andere auf, jetzt wieder lieb zueinander zu sein.

Und am folgenden Tag geht alles wieder von vorne los: In der Paarbeziehung, in der Familie, mit den Freunden, im Unternehmen.

Schönes Leben noch.

Konflikte im Team: Konfliktfähigkeit geht anders.
Auch ein Weg, mit Meinungsverschiedenheiten umzugehen.

Das Modell des Drama-Dreiecks kann uns helfen, uns besser kennenzulernen. Aber nur, wenn wir achtsam sind und nicht Opfer des Modells werden. Das passiert schneller als manchem lieb sein dürfte. Wenn wir erkennen, dass wir uns gerade mitten in einem Drama befinden, kann die Versuchung, uns selbst dafür zu verurteilen, übermächtig werden. „Ich bin im Drama, also bin ich nicht o.k.“, sagen wir dann und erkennen erst einmal nicht, dass wir uns selbst zum Opfer machen. Willkommen im nächsten Drama.

Wie Sie Dramen verhindern

Wenn Sie das nicht wollen, wird Sie die Frage interessieren, wie Sie Drama verhindern.

Dazu müssen Sie Schritt für Schritt vorgehen.

  • Schritt eins - Erkennen, ich bin im Drama.
  • Schritt zwei - Fragen Sie sich: Welche Rolle spiele ich gerade?
  • Schritt drei - Akzeptieren Sie, dass Sie im Drama sind.

Kurze Zwischenfrage: Akzeptieren, wie macht man das?

Indem Sie darauf verzichten, sich zu verurteilen.

  • Für Schritt vier haben Sie sechs Möglichkeiten zur Auswahl:
  1. Hören Sie zu.
  2. Verzeihen Sie.
  3. Teilen Sie sich mit.
  4. Setzen Sie Grenzen.
  5. Schenken Sie Anerkennung.
  6. Nehmen Sie an, was ist.

Je nach Situation ist mal das eine, mal das andere angemessen. Der Fachbegriff für diese Aktionen lautet Verantwortliches Handeln. Für welche Sie sich auch entscheiden, Sie belassen die Verantwortung für ihr Handeln dort, wo sie hingehört: bei Ihnen.

Konflikte im Team in der Praxis

Auf unser Beispiel mit Jan angewandt kann das so aussehen. Vor ein paar Wochen kam ein realer Azubi zu spät zum zweiten Tag meines Trainings. Er hieß nicht Jan, aber belassen wir es bei unserem Beispielnamen.

Jan stürzt in den Seminarraum und erklärt: „‘Tschuldigung, dass ich zu spät komm‘, der Bus hatte Verspätung.“

Ich bitte ihn, den Raum wieder zu verlassen, die Türe zu schließen, sie wieder zu öffnen und wieder einzutreten mit den Worten: „Hallo, tut mir leid, dass ich zu spät komme.“

Sonst nichts.

Verantwortung fühlt sich erwachsen an

Ich frage Jan, ob er sich in dieser Situation kleiner oder größer fühle als zuvor. Er stutzt und meint: „Größer, irgendwie erwachsener.“

Und darum geht es. Jan hat mitgeteilt, wie es ihm geht: Es tut mir leid. Und hat damit Verantwortung für sein Zuspätkommen übernommen.

Hätte ich wissen wollen, wie es dazu gekommen war, hätte ich ihn gefragt.

Seine ungefragt hervorgebrachten Begründungen hatten nur einen Zweck: Verantwortung abgeben, okay sein wollen. Ein Schuss, der immer nach hinten losgeht.

Also: Wann immer sie etwas verbockt haben, beantworten sie keine ungestellten Fragen. Die stärken Ihre Position nicht. Wer Gründe braucht, ist nicht erwachsen. Das ist nur der, der Verantwortung übernimmt. Tun Sie’s auch und leben Sie es vor in Ihrem Betrieb.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2016

Ganzheitlich Ausbilden – Worauf es ankommt

Die Ausgangslage

Ausbildung in Deutschland genießt einen guten Ruf. Gerade auch international. Sie ist bekannt für ihr fachlich hohes Niveau und kann sich mit allem messen, was ausbildungsmäßig draußen unterwegs ist. Und dennoch gibt es Unzufriedenheit. Viele Unternehmen haben erkannt, es braucht mehr. Von sozialer Kompetenz ist die Rede, manche sprechen auch von emotionaler Intelligenz. Das sind vornehme Vokabeln, die in Zusammenhang stehen mit einem Mangel, der sich in meist weniger vornehmem Verhalten manifestiert. Was es braucht: Ganzheitliche Ausbildung und ein Verständnis dafür, was Ganzheitlich Ausbilden bedeutet.

Die Klagen

Ganzheitlich Ausbilden ist ein emotional fordernder Job.
Lustlos und unmotiviert? Mancher Ausbilder fragt sich, warum seine Auszubildenden durchhängen.

Ich komme viel herum. Dabei spreche ich mit Lehrern, Ausbildern, mit Personalern, mit Unternehmern und Inhabern von Ausbildungsbetrieben, die zwischen 20 und 60.000 Mitarbeiter haben. Dabei fällt mir beim Thema Auszubildende eines auf: Die Klagen ähneln sich.

Was vermisst wird

Es geht um Unzufriedenheit über mangelhafte schulische Leistungen. Verlässlichkeit und Verbindlichkeit werden vermisst. Die jungen Leute, so heißt es, haben keine Selbstdisziplin, ihnen fehlt es an Präsenz. Gedankenlos sind sie und haben keinen Mut, dafür einzustehen, was sie brauchen. Sie sind nicht begeisterungsfähig, können nicht klar Ja und nicht klar Nein sagen. Es fehlt Ihnen an Wertschätzung und Dankbarkeit gegenüber dem, was der Ausbildungsbetrieb ihnen zu Verfügung stellt. Sie haben keinen Respekt, sind nicht loyal, und lassen Umgangsformen vermissen. Vor ein paar Wochen war ich mit einem älteren Hohenloher Unternehmer unterwegs, der mir folgendes erzählt hat:

„Wissen Sie, Herr Stolla, manchmal wenn ich so durch den Betrieb gehe, komme ich zu so einem jungen Kerl, der dasteht mit den Händen in der Hosentasche. Und alles, was der zu mir sagt ist: Hi.“

Das haben auch schon ganz andere beobachtet. Ein Zitat:

„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus: Sie hat schlechte Manieren, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn ältere das Zimmer betreten, sie widersprechen ihren Eltern schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“

Vielleicht haben Sie das ja schon mal gehört. Sokrates hat es gesagt, der griechische Philosoph vor mehr als 2400 Jahren. Es scheint also, als hätte sich unsere Wahrnehmung der jeweiligen Jugend nicht allzu sehr verändert.

Die Wünsche

Aber die Anforderungen in den Ausbildungsbetrieben sind nicht mehr die von früher. Unternehmen wollen Auszubildende, die in der Lage sind, ihre emotionalen Befindlichkeiten wahrzunehmen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Sie wollen Auszubildende, die ihre Bedürfnisse proaktiv äußern können, also bevor sie gefragt worden sind. Und sie wollen Auszubildende, die wissen, dass sie für ihre Entscheidungen selbst verantwortlich sind. Denn nur so werden sie zu Mitarbeitern, die ihre emotionalen Befindlichkeiten äußern und damit aus dem Weg und zudem Raum für die Sachebene, also für die Arbeit, schaffen können. Und sie werden zu Mitarbeitern, die ihr privates Umfeld so gestalten, dass es funktioniert, und genau deshalb gerne und dankbar in Unternehmen präsent sind. Was es dazu braucht? Betriebe, die ganzheitlich ausbilden.

Die Abgeklärten

Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, dass es auch Unternehmen gibt, die genau das nicht wollen. Denn hin und wieder, wenn ich unterwegs bin und

Ganzheitlich Ausbilden hat mit der Wahrnehmung von Gefühlen zu tun.
Kann man sehen, muss man aber nicht: den Frust von Mitarbeitern.

Gespräche führe mit Personalern und Ausbildern, finde ich mich in Situationen wieder, in denen mir ein Personaler bei jedem dritten Satz erklärt: „Ja, das wissen wir schon. Das machen wir schon. Damit haben wir kein Problem.“ Manchmal glaube ich das auch, weil meine Wahrnehmung im jeweiligen Unternehmen dem entspricht.

Mitunter sitzt neben diesen Personaler aber ein Ausbilder, der sich überhaupt nicht am Gespräch beteiligt und am liebsten ganz woanders wäre. Wenn ich ihn anspreche, erschrickt er, schaut zunächst den Personaler an und gibt mir dann - vielleicht - eine Antwort. Spätestens dann weiß ich auch, warum ich beim Gang durch die Lehrwerkstatt oder durch die Ausbildungsabteilung so niedergedrückt war. Weil dort Auszubildende saßen, die sich genau so verhalten haben, wie ihr Ausbilder: so, als wären sie am liebsten woanders.

Unbequeme Wahrheiten

Die Eltern

Manche werden jetzt sagen: Ja, Beziehungsfähigkeit, Schlüsselqualifikationen wie Verlässlichkeit, Selbstdisziplin etc. - das ist doch, bitteschön, Job der Eltern oder der Schule. Warum sollen wir den Job machen als Unternehmen, den Eltern und Schulen offensichtlich nicht mehr erledigen?

Die Frage ist berechtigt, die Antwort darauf allerdings auch. Sie ist so simpel wie ernüchternd: Weil ihn sonst keiner macht. Unternehmen sind nun mal die letzten in der Kette, die damit klar kommen müssen, was Schulen und Familien zu Verfügung stellen. Sie können lange klagen, sich ärgern oder jammern, ändern wird sich daran nichts. Seit Sokrates ist das so.

Die Aufgabe der Ausbilder

Ändern wird sich allerdings dann etwas, wenn Unternehmen bereit sind, anzuerkennen, dass es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt.

Zuerst die schlechte:

Nur Sie als Ausbildungsbetrieb sind in der Lage, die Situation zu verbessern.

Jetzt die gute:

Nur sie als Ausbildungsbetrieb sind in der Lage, die Situation zu verbessern.

Der Grund ist einfach: Nirgendwo sonst als bei Ihnen verbringen die Auszubildenden so viel Zeit ihres wachen Daseins. Wo sonst, wenn nicht dort, können Sie lernen, was es bedeutet, wirklich erwachsen zu sein? In Ausbildungsbetrieben, die ganzheitlich ausbilden.

Erwachsen sein für Anfänger

Was uns zu einer wichtigen Frage bringt: Was bedeutet denn wirklich erwachsen sein? Ich kann Ihnen versichern, mit dem Führerschein oder mit der gesetzlichen

Ganzheitlich Ausbilden fördert das Erwachsen werden.
Tun, was ansteht - eine Definition von Erwachsen sein.

Volljährigkeit oder mit dem Wahlrecht hat das alles rein gar nichts zu tun. Erwachsen sein bedeutet, ganz kurz zusammengefasst: Ich bin in der Lage, zu tun, was ansteht. Jetzt glaube ich, dass viele Ausbilder und Unternehmer das gerne hören: Der Auszubildende soll tun, was ansteht. Er soll machen, was man ihm sagt. Das ist ein berechtigter Wunsch, aber er lässt sich gar nicht so leicht umsetzen, wie er gesagt ist. Was bringt uns Menschen dazu, dass wir in der Lage sind, das zu tun, was ansteht, die Aufgabe zu lösen, die jetzt vor uns steht?

Definition 1

Wir müssen präsent im Hier und Jetzt sein mit unseren Gedanken, mit unseren Gefühlen, mit unserem Dasein.

Definition 2

Ich bin in der Lage, die emotionalen Hindernisse, die diesem Prozess im Weg stehen, aus dem Weg zu schaffen. Dafür gibt es einen im Grunde ganz einfachen Weg: Irgendetwas ärgert mich - ich spreche darüber. Irgendetwas hat mich verletzt - ich spreche darüber. Irgendetwas macht mir Angst - ich spreche darüber.

Erst wenn Auszubildende und übrigens auch Mitarbeiter und übrigens auch Unternehmer in der Lage sind, über das, was sie emotional bewegt, zu sprechen, schaffen sie wieder Raum für die Sachebene,. In Unternehmen geht's dabei in der Regel um Wertschöpfung. Wenn ein Unternehmen erkennt, dass vor der Wertschöpfung die Wertschätzung steht - für den jeweiligen Menschen mit allem, was in ihm gerade vorgeht - erst dann öffnet es sich für Beziehungsfähigkeit, für ganzheitliche Ausbildung.

Ganzheitlich Ausbilden - Ihr Profit

Was aber bringt Ihnen Beziehungsfähigkeit im Unternehmen? Was haben Sie davon, wenn Sie ganzheitlich ausbilden?

Verlässlichkeit

Was bringt Ihnen ein verlässlicher Azubi?
Jetzt mal abgesehen von der Freude darüber, beschert Ihnen ein Azubi, der sich an Absprachen hält, jede Menge Freiraum, beispielsweise weil sie sich jede Menge Kontrolle sparen können.

Verbindlichkeit

Was bringt Ihnen ein verbindlicher Azubi?
Abgesehen von der Freude, noch mehr Freiraum, weil Sie nicht mehr so lange warten müssen, bis sie eine klare Antwort von ihm bekommen.

Selbstdisziplin

Was bringt Ihnen ein Azubi mit Selbstdisziplin?
Abgesehen von der Freude, wahrscheinlich bessere Leistungen in der Schule.

Präsenz

Was bringt Ihnen ein Azubi mit Präsenz?
Bessere Performance und jede Menge Freude.

Mut

Was bringt Ihnen ein mutiger Azubi?
Mut ist ein essenzieller Punkt für Azubis, denn jeder Azubi durchlebt Zustände der Angst. Wir erwarten von unseren Auszubildenden, dass sie über die Grenzen ihrer Bequemlichkeitszone gehen, über das, was sie sich selbst zutrauen. Ohne den Mut, über diese Angst zu gehen, findet schlicht und ergreifend keine Entwicklung statt, weil sie es nicht kann. Es gibt kein Wachstum ohne Angst. Es gibt auch keinen Mut ohne Angst. Jeder Auszubildende durchlebt diese Phasen der Angst, beispielsweise vor der Prüfung. Und jeder Auszubildende braucht Mut, um zu wachsen, um montags größer zu sein als ich sonntags war.

Sagen, was ich bauche

Was bringt Ihnen ein Azubi, der sagen kann, was er braucht?
Das bringt Ihnen eine ganze Menge Klarheit und vermutlich auch jede Menge Zeitgewinn.

Begeisterung

Was bringt Ihnen ein begeisterungsfähiger Azubi?
Mehr Loyalität zum Unternehmen.

Nein sagen

Was bringt Ihnen ein Azubi, der Nein sagen kann?
Ich geb’s zu: Vermutlich zunächst mal keine allzu große Freude, denn wir sind nicht darauf trainiert, uns über Neins zu freuen. Aber ein Nein bringt Ihnen Klarheit. Und es bringt Ihnen noch etwas: Ein Auszubildender, der es wagt, Nein zu sagen, der die Erlaubnis hat, Nein zu sagen, wird Ihnen und sich selbst mehr vertrauen als einer, der Ja sagt, obwohl er eigentlich Nein meint.

Wertschätzung

Was bringt Ihnen ein Azubi, der Sie und ihren Betrieb und alles, was das Ausbildungsunternehmen zur Verfügung stellt, wertschätzt?
Ich würde sagen, dieser Auszubildende empfindet tiefe Dankbarkeit und Verbundenheit zu seinem Ausbildungsbetrieb

Respekt

Was bringt Ihnen ein Azubi mit Respekt?
Vermutlich die erwünschten Umgangsformen

Loyalität

Was bringt Ihnen Loyalität?
Loyalität führt in der Regel zu Leistung, die über das gewöhnliche Maß  hinausgeht.

Emotionale Intelligenz

Und was, bitteschön, hat ein Unternehmen von emotional intelligenten Auszubildenden? Die Antwort liegt nahe: weniger emotionale Störungen, mehr Raum für die Sachebene und damit für die Wertschöpfung. Und vor allem: mehr Miteinander und weniger Gegeneinander.

Elf Punkte, die alles einfacher machen

Zusammengefasst bescheren Ihnen Beziehungsfähigkeit und ganzheitliche Ausbildung:

  1. mehr Freiraum
  2. bessere Leistungen
  3. höhere Performance
  4. schnellere Entwicklung
  5. Klarheit
  6. Loyalität
  7. Vertrauen
  8. Verbundenheit
  9. Bessere Umgangsformen
  10. Mehr Raum für die Sachebene
  11. Mehr Miteinander

 Ganzheitlich Ausbilden macht attraktiv

Unternehmen, die in die Beziehungsfähigkeit ihrer Auszubildenden investieren, gewinnen. Zum Beispiel auch an Attraktivität. Sie werden als ganzheitliche Ausbildungsbetriebe geschätzt und anerkannt. Dort lernen Azubis fürs Leben. Das steigert die Verbundenheit zum Unternehmen. Jeder Azubi, der das erlebt, weiß: Dort, im Betrieb, wird mein Potenzial gesehen, dort wird an mich geglaubt, dort wird in mich investiert. Das sind Dinge, die Jugendliche nicht mehr selbstverständlich zu Hause oder in der Schule erleben.

Den Mangel nutzen

Ausbildung umfasst heute auch das Thema Beziehungskompetenz.

Ärgern Sie sich nicht über diesen Mangel, der Ihnen so viel Unbill beschert, nutzen Sie ihn zum Vorteil ihres Unternehmens. Inzwischen weiß doch beinahe jeder, dass gelebte Wertschätzung lang anhaltender motiviert als jede Gehaltserhöhung. Gerade im ländlichen Raum, wo der Fachkräftemangel geradezu greifbar ist, können Sie sich künftig viele Anstrengungen auf dem bald wöchentlich stattfindenden Berufsinfotagen oder Ausbildungsmessen schenken oder zumindest entspannter damit umgehen, wenn sich draußen herumspricht: Geh zum Unternehmen XY, dort lernst du was fürs Leben. Das spricht sich herum. Da brauchen Sie weniger Banner, weniger T-Shirts.

Beziehungsfähigkeit sichert Zukunft

Unternehmen, die in die Beziehungsfähigkeit ihrer Auszubildenden investieren, bekommen langfristig Führungskräfte, die Beziehungsfähigkeit vorleben, die als Vorbild führen, die Menschen lesen können, die Chancen als Potenzial für Unternehmenserfolg nutzen. So erschaffen Sie ein Unternehmen, das als Ort des persönlichen Wachstums geschätzt wird, ein Unternehmen, das Entwicklung nicht nur fordert, sondern auch fördert, das Innovation vorlebt und damit erfolgreich ist.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2016

Beziehungskompetenz. Interview mit Wolfgang Neumann.

Beziehung ist alles, sagt Herr Neumann

Beziehungskompetenz ist unverzichtbar. Great Growing Up trainiert Ihre Mitarbeiter.
Hier geht’s zum Interview. Einfach klicken.

Das hat mich dann doch überrascht, und zwar äußerst positiv: Die Heilbronner Stimme, eine der großen Tageszeitungen in Baden-Württemberg, veröffentlicht eine ganze Seite zum Thema Beziehungskompetenz. Wolfgang Neumann erklärt in dem lesenswerten Interview, warum Beziehung

1. alles ist
und
2. immer in einem selbst beginnt.

Der langjährige Lehrer und pensionierte Schulleiter bringt das Thema so gut auf den Punkt, dass ich das Interview hier gerne weiterverbreite. Schließlich geht es gerade auch in Unternehmen darum, dass Menschen begreifen: Konflikte sind zum einen unvermeidlich, und zum anderen lassen sie sich nur miteinander lösen, nicht gegeneinander.

Alle Artikel zum Thema Beziehungskompetenz gibt es hier.

 

Ausfallursache psychische Probleme

Psychische Probleme am Arbeitsplatz. Great Growing Up macht Mitarbeiter resistent.

Die Zahl der Ausfälle nimmt zu

Die AOK schlägt Alarm. Unternehmen stehen vor einer Herausforderung: die Zahl der Arbeitsausfälle wegen der Diagnose  „psychische Probleme“ ist in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen. Vor gerademal drei Monaten hatte die Techniker Krankenkasse (TKK) eine Studie mit dem gleichen Ergebnis veröffentlicht. Damals standen vor allem junge Mitarbeiter im Fokus. Die AOK sieht den höchsten Zuwachs dagegen bei ihren älteren Kollegen, heißt es am 15. September 2017 in einem Bericht der dpa.

Erschreckende Zahlen

Die nackten Zahlen sind in der Tat erschreckend: Allein in den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Arbeitsausfälle wegen der Ursache psychische Probleme in allen Altersgruppen um 79,3 Prozent gestiegen, meldet die AOK.  Die TKK kam im Sommer auf einen Gesamtanstieg von 88 Prozent seit dem Jahr 2000. In der jetzt vorgestellten Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO) heißt es: Der Anteil der 50- bis 65-Jährigen mache dabei beinahe zwei Drittel aus.

Psychische Probleme – Die Ursachen

Psychische Probleme. Great Growing Up trainiert Mitarbeiter im Umgang mit Krisen.
Psychische Probleme machen sich früher oder später am Arbeitsplatz bemerkbar.

Die Ursachen der psychisch bedingten Arbeitsausfälle laut WidO sind besonders aufschlussreich: Auf Platz eins rangieren Konflikte im privaten Umfeld mit 16 Prozent. Schwerkranke Angehörige folgen mit zwölf Prozent, danach finanzielle Probleme mit elf Prozent.

Die AOK erkennt an, dass es in vielen Betrieben durchaus Angebote für Menschen in persönlichen Krisensituationen gibt:  Gespräche mit Vorgesetzten etwa, flexible Arbeitszeiten oder Sonderfreistellungen im Bedarfsfall. Als Beispiel wird die Deutsche Bahn genannt. Die bietet ihren Lokführern ein Betreuungsprogramm, wenn diese beispielsweise einen Selbstmörder überfahren haben.

Probleme im privaten Bereich

Weil die Zahlen aber dennoch steigen, fordert der AOK-Bundesverband Unternehmen auf, „ihr Gesundheitsmanagement für Mitarbeiter in Lebenskrisen zu verbessern“, heißt es heute in der Heilbronner Stimme/Hohenloher Zeitung. Wie das geschehen soll, verrät der Artikel nicht. Er deutet es nur ganz zart an: „Prävention“ heißt es in einer Zwischenüberschrift.  Wie sie konkret aussehen kann, verrät der Text nicht. Und das ist bedauerlich.

Krisen sind Teil des Lebens

Prävention bedeutet Vorbeugung. Es liegt auf der Hand, dass es bei betrieblicher Prävention nicht darum gehen kann, Mitarbeiter vor Lebenskrisen im privaten Umfeld zu bewahren. Das kann sie gar nicht leisten. Vielmehr geht es darum, anzuerkennen, dass Krisen fester Bestandteil menschlicher Lebensläufe sind. Genauso wie Konflikte und psychische Probleme.

Privat oder beruflich spielt keine Rolle

Das gilt sowohl fürs private wie auch fürs berufliche Leben. Deshalb tun Unternehmen gut daran, ihre Mitarbeiter auf den Umgang mit dem vorzubereiten, was unvermeidlich ist: Früher oder später wird jeder Mensch mit Herausforderungen konfrontiert. Ob es sich dabei um private oder berufliche Krisen, Konflikte oder Probleme handelt, ist irrelevant. Denn dass die AOK-Studie die Ursachen ausschließlich im privaten Bereich verortet, macht für Unternehmen keinen Unterschied: ob private oder berufliche Probleme – beides führt immer mehr dazu, dass Mitarbeiter ausfallen.

Lösungsansätze

Wie so eine Vorbeugung aussehen kann, zeigen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter in sogenannten weichen Kompetenzen schulen. Der Begriff ist irreführend, denn in der Realität geht es darum, Mitarbeitern zu vermitteln, was zu tun ist, wenn es hart auf hart kommt. Was mache ich, wenn mein Vorgesetzter mich ungerecht behandelt? Wie gehe ich mit dem Ärger um, der sich in mir aufstaut? Was mache ich mit dieser großen Trauer darüber, dass mein Vater gestorben ist? Wie gehe ich damit um, dass mein Azubi für alles eine Ausrede findet? Wie komme ich damit klar, dass mein Kollege völlig anderer Meinung ist als ich?

Beziehungsfähig = krisenfest

Der konstruktive Umgang mit Krisen, Konflikten und Problemen gelingt in der Regel nur über den Umgang mit Menschen. Ich muss mich mit meinem Kontrahenten auseinandersetzen oder mit jemanden, der mir helfen kann. Und vor allem mir selbst. Dazu brauche ich eine ganz spezifische Qualität: emotionale Intelligenz. Ich muss in der Lage sein, meine Emotionalität wahrzunehmen und zu benennen. Ich muss sie akzeptieren.

Emotionalität wahrnehmen

Psychische Probleme am Arbeitsplatz. Great Growing Up trainiert den Umgang mit Krisen.
Lebenskrisen sind oft Ursachen für psychische Probleme am Arbeitsplatz.

Solange ich beispielsweise meinen Ärger über den ungerechten Chef verdränge, wird er meinen Umgang mit ihm beeinflussen – und zwar störend. Erst wenn Mitarbeiter lernen, ihre eigene Emotionalität wahrzunehmen, sind sie in der Lage, zwischen gefühlter und sachlicher Wahrnehmung zu unterscheiden. Dass sie zudem lernen, sowohl die Emotionalität ihres Gegenübers wahrzunehmen als auch verantwortlich zu kommunizieren, macht sie letztlich beziehungsfähig.

Akzeptieren, was zu akzeptieren ist

Beziehungsfähigkeit, also das Vermögen, selbst wahrhaftig und unverstellt aufzutreten, ermöglicht es Menschen, mit Krisen, Konflikten und Problemen verantwortlich umzugehen. Was nichts anderes bedeutet, als sie als Teil des Lebens zu akzeptieren und Antworten auf eine simple Frage zu suchen: Was tue ich, damit es mir, den Menschen um mich herum und dem Unternehmen besser geht? Diese Frage spiegelt Verantwortlichkeit wider. Ich kenne nichts das besser gegen psychische Probleme wirksamer ist.

Verdrängen macht krank

Mitarbeiter, die nicht darin trainiert sind, den Umgang mit Krisen, Konflikten und Problemen als Teil ihrer persönlichen Entwicklung zu betrachten, tun sich schwer damit, konstruktive Lösungen zu entwickeln. Sie fressen Ärger in sich hinein, verdrängen ihre Trauer, gehen Konflikten aus dem Weg, lassen sich mobben – und werden psychisch krank. Sie haben dann psychische Probleme, früher oder später fallen sie aus.

Mangel schafft Notwendigkeit

Wer den Fachkräftemangel betrachtet, wird kaum nachvollziehen können, warum es immer noch Unternehmen gibt, die psychische Erkrankungen verharmlosen, so wie in der Karikatur der Heilbronner Stimme/Hohenloher Zeitung. „Ist es was Anständiges oder bloß so ein Psychogedöns!?“, fragt der Personalchef, als er von der Krankmeldung eines Mitarbeiters erfährt. Die Unterscheidung muss man sich leisten können.

Training zahlt sich aus

Wer sich das nicht leisten will und seine Mitarbeiter stattdessen gezielt im Umgang mit Konflikten, Krisen und Herausforderungen trainieren will, findet bei Great Growing Up das passende Angebot. So vermeiden Sie und Ihre Mitarbeiter psychische Probleme. Am besten einfach hier Kontakt aufnehmen: Mitarbeiter trainieren.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

Matthias Stolla © 2017

Die Verantwortung bleibt uns erhalten

Post von einer Podcast-Hörerin

Vor einigen Tagen bekam ich elektronische Post von einer jungen Frau, die gerne meine Podcast-Episoden zum Thema Ganzheitlich Ausbilden hört. Mal abgesehen davon, dass ich mich grundsätzlich über Resonanz auf mein Programm freue, haben mich ihre Zeilen berührt. Sie hat sehr offen und selbstkritisch geschrieben, wie es ihr als junge Mitarbeiterin in einem großen Unternehmen geht. Ihren richtigen Namen halte ich geheim, damit ihre Vertraulichkeit gewahrt bleibt. Ich werde sie Marina nennen. Marina trieb vor allem eine Frage um: Wer trägt die Verantwortung für die Situation, in der ich bin – ich selbst oder die Umstände?

Wege aus dem Schneckenhaus

Marina ging es um die „Schneckenhaus“-Episode, also um den Umgang mit Azubis, die sich zurückziehen, sich nicht zeigen und damit quasi unter dem Radar ihrer Vorgesetzten durchfliegen.

Die Episode „Azubis im Schneckenhaus“ fand Marina sehr spannend, und sie bekannte:

Marina: „Sie sprechen mir damit ein wenig aus der Seele.“

Ich stelle in der Episode dar, was Menschen, die sich gerne zurückziehen, tun können, um wieder präsent zu sein, um wahrgenommen zu werden. Marina fand das interessant, wollte aber auch Antworten auf die Frage, „ob es neben einer möglichen Unzufriedenheit mit sich selbst noch weitere Gründe fürs Zurückziehen gibt bzw. ob die Azubis sich schon immer zurückgezogen haben oder seit wann das stattfindet“.

Jeder trägt für seinen Part Verantwortung

Damit ist die Frage angesprochen, ob die Menschen „im Außen“, beispielsweise Ausbilder, Betreuer oder Vorgesetzte nicht auch Verantwortung dafür tragen, wenn sich ihre „Schutzbefohlenen“ – Azubis, Studenten oder Mitarbeiter – zurückziehen.
Marina hat dazu eine klare Haltung:

Marina: „Ich persönlich finde es wichtig, dass Ausbilder den Azubis nicht nur gezielt Verantwortung übertragen, sondern unbedingt darauf achten, dass sie konstruktive Kritik üben und Beiträge der Azubis wertschätzen. Sobald man das Gefühl bekommt, „überhört“ zu werden oder der Vorgesetzte die Vorschläge des Azubis immer nur in der Luft zerreißt, rückt das Schneckenhaus sehr schnell in Reichweite. Das Gleiche gilt übrigens auch, wenn man sich als Azubi von Azubi-Kollegen ungerecht behandelt oder sogar ausgegrenzt fühlt. Wirklich keine leichte Aufgabe, mit dem Schneckenhaus fertig zu werden, aber für keine Seite!“

Potenzial zur Entfaltung bringen

Da kann und will ich Marina nicht widersprechen. Im Gegenteil: Gerade das Thema Feedback ist von großer Bedeutung. Eben deshalb gibt es auch darüber eine Episode. Ausbilder, Betreuer und Vorgesetzte sind verantwortlich dafür, dass sie ihre Schützlinge so behandeln, dass sie ihr Potenzial entfalten können, dass sie sich entwickeln können. Wann immer ich Ausbilder trainiere, geht es in der einen oder anderen Form genau um diesen Part.

Wie man Opfer seiner Erwartungen wird

Es gibt einen Film, in dem ich die Hauptrolle spiele: mein Leben.

Mir ist allerdings auch wichtig, dass sowohl Ausbilder als auch Auszubildende eines erkennen: Jeder ist für seinen Part verantwortlich. Ein Ausbilder, der seinen Azubi unangemessen behandelt, ihn ignoriert oder gar mobbt, handelt verantwortungslos. Er erwartet, dass der Azubi sein Verhalten ändert und macht sich damit abhängig von seinen Erwartungen an den Azubi. Im Dramadreieck wird er damit zum Opfer seiner Erwartungen. Enttäuschung ist somit programmiert. Der Ausbilder hält den Azubi für einen Versager und trägt –  bewusst oder unbewusst – dazu bei, dass diese Sichtweise immer wieder Bestätigung erfährt. Es fällt uns Menschen schwer, andere Menschen aus der Schublade zu nehmen, in die wir sie gesteckt haben. Unser Gehirn funktioniert anders: Es will die bestehende Ordnung möglichst erhalten.

Schneckenhaus ist keine Lösung

So viel zum Ausbilder. Auf der anderen Seite sieht es kaum anders aus. Wann immer ich Auszubildende trainiere, mache ich ihnen klar, dass es nur einen Menschen gibt, dessen Verhalten sie ändern können: sie selbst. Das bedeutet, es hilft ihnen rein gar nichts, wenn Sie andere dafür verantwortlich machen, dass sie sich in ihr Schneckenhaus zurückziehen.

Was hat Verantwortung mit mir zu tun?

In meiner Antwort schrieb ich Marina: Es gibt unzählige Menschen, Verhaltensweisen und Situationen, die uns dazu bringen, dass wir uns verstecken wollen. Daran habe ich keinen Zweifel, schließlich geht es mir hin und wieder genauso. Und doch bin ich überzeugt, dass nicht alle Menschen auf eine Situation x (etwa einen mobbenden Ausbilder) mit Reaktion y (etwa dem Rückzug ins Schneckenhaus) reagieren. Manche tun das, andere tun anderes; sie kämpfen dagegen an, werden übellaunig oder zickig oder irgendetwas anderes. Die Frage, die ich mir oft stelle, ist: Woher kommen diese Unterschiede? Veranlagung? Charakter? Prägung? Ganz sicher spielt all das eine Rolle.

Die entscheidende Frage

Ich habe gelernt (und manchmal lerne ich es immer noch), dass ich mir die Frage „Woher kommt das?“ in veränderter Form stellen muss, wenn ich einen Gewinn daraus haben möchte.

Sie lautet dann: Was hat das mit mir zu tun?

Die Antwort in mir selbst

Der Unterschied ist, dass ich die Antwort so nicht im Außen, also bei anderen Menschen bzw. bei den Umständen, sondern in mir selbst suche. Es gibt Menschen, die sich schnell ins Schneckenhaus zurückziehen, andere tun anderes. Ich werte das nicht. Ich trainiere mich und meine Klienten bzw. Teilnehmer darin, die Frage so zu stellen, dass sich daraus konkrete Handlungsmöglichkeiten ergeben. Und die finden wir nur in uns selbst. Wir können andere nicht verändern, aber wir können unsere Reaktionen, unsere Haltung verändern.

Sicher im Schneckenhaus

Verantwortung zu übernehmen fällt oft schwer. Deshalb ziehen sich viele Menschen lieber in ihr Versteck zurück.
Der Rückzug ins sichere Versteck macht Menschen machtlos.

Nach meiner Erfahrung haben Menschen, die sich immer wieder zurückziehen, irgendwann die Entscheidung getroffen, dass das Schneckenhaus sicherer ist. Daran ist nichts falsch. Im Gegenteil. Solange ich im Schneckenhaus bin, mich nicht zeige bzw. mitteile, werde ich von vielen gar nicht bemerkt und bin damit relativ sicher. Mein Risiko, verletzt, gemobbt oder zurückgewiesen zu werden ist geringer. Allerdings bezahle ich für diese Sicherheit einen hohen Preis. Im Schneckenhaus werde ich kaum lernen, mich mitzuteilen, etwa indem ich sage, dass mich etwas verletzt oder indem ich anderen eine Grenze setze: „Ich möchte nicht, dass Du so mit mir umgehst.“

Grenzen setzen

Gar nicht selten wird daraus ein richtiger Teufelskreis, denn Menschen, die andere gerne mobben, erkennen sehr schnell, wer Grenzen setzen kann und wer sich stattdessen lieber zurückzieht. Letztere sind die leichteren Opfer. Es macht erst einmal keinen Spaß, das für sich zu erkennen: Ich mache mich zum Opfer. Es fällt uns leichter, die anderen dafür verantwortlich zu machen. Nur daraus ergibt sich keine Möglichkeit, etwas zu ändern. Wenn ich aber Verantwortung dafür übernehme, dass ich mich gerne ins Schneckenhaus zurückziehe, kann ich eine andere Entscheidung treffen. Etwa, dass ich künftig Grenzen setzen werde.

Was das Leben will

Das Leben will vor allem eines: Entwicklung

Auf diesem Weg wird es Rückschläge geben, keine Frage. Auf dem anderen Weg, sofern der Verbleib im Schneckenhaus überhaupt ein Weg ist, bleiben sie mir erspart. Aber verändern werde ich dort nichts. Fazit: Verantwortung zu übernehmen macht nicht immer Spaß, aber sie führt uns weiter. Und daran bin ich interessiert.

Meine Antwort schien bei Marina etwas zu bewirken. Sie schrieb:

Marina: „Das hat mir viel Klarheit gebracht, und ich betrachte das Schneckenhaus jetzt auch aus einer etwas anderen Perspektive.“

Pespektivenwechsel

Sie habe „einen tollen Job mit spannenden Aufgaben gefunden – leider aber auch in einer bekanntermaßen kompetitiven Branche, in der man sich seine Daseinsberechtigung erst erkämpfen muss“. Tatsächlich habe ihr Perspektivenwechsel bereits Wirkung gezeigt. Marina schilderte einen – zunächst befremdlichen – Aha-Effekt:

Marina: „Das Thema ,Verantwortung übernehmen gegen das Schneckenhaus‘ war für mich gestern schon ein bisschen eine Erleuchtung – ganz praktisch, als mir mein Chef einen eigenen, aktiven Teil in der Kundenpräsentation heute gegeben hat. Ich habe mich darüber gefreut und mich bestens vorbereitet. Die Präsentation heute lief etwas anders als geplant, und wir mussten die Präsentation spontan stark kürzen, um im Zeitrahmen zu bleiben. Meine etwas dienstältere Kollegin, deren Teil kurzfristig gestrichen werden musste, hat sich dann kurzerhand meinen Part geschnappt und mir so wieder die Gelegenheit genommen, Verantwortung zu übernehmen und mich vom Schneckenhaus zu distanzieren. Das nur so als kleine Anekdote – das Prinzip ist mir jetzt klar!“

Feedback und Herausforderung

Das von Marina beschriebene Phänomen ist mir gut vertraut: Kaum habe ich etwas begriffen, bzw. für mich erkannt, scheint mich das Leben prüfen zu wollen, indem es mir die nächstgrößere Herausforderung beschert. Das passiert mir sehr oft. Ich glaube inzwischen, dass Wachstum und Entwicklung so etwas wie der Sinn des Lebens sind. Das Leben will, dass wir uns entwickeln. Was braucht es dafür: Feedback und Herausforderung. Daher kommt das. Und die eiserne Regel dafür lautet: Nicht aufgeben!

Überraschende Erkenntnis

Am Ende unserer Korrespondenz überraschte mich Marina mit einer Feststellung, die an Klarheit kaum zu überbieten sein dürfte:

Marina: „Lehrjahre sind keine Herrenjahre, aber man kann ja zumindest das Beste draus machen, oder?“

Ja, das können wir.

Auszubildende und Ausbilder, die das begreifen, wissen, was Verantwortung bedeutet und leisten wertvolle Arbeit.
Mehr dazu im Great Growing Up Podcast und auf iTunes.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2017

Medienecho – Great Growing Up in der Presse

Great Growing Up findet in diesen Wochen Beachtung in der regionale Presse. Hohenlohe Trends, das Freizeitmagazin des Haller Taglatts, bietet in der aktuelllen März-2017-Ausgabe auf den Seiten 66 und 67 eine Geschichte über den „Azubi-Coach“ Matthias Stolla. Das freut mich natürlich unbändig, zumal diese Geschichte nur der Anreißer für die größere Story über Great Growing Up im aktuellen „Kickstart“ (Seite 64/65) ist. Beide Magazine gibt es kostenlos in der Region Hohenlohe-Franken und hier zum Anschauen:

Kickstart-02-2017

Hohenlohe Trends-03-2017

Das Debakel: Bildung in Baden-Württemberg

Macht Schluss mit dem Bildungsfaschismus

Dass Baden-Württemberg im Bildungsvergleich schlecht abschneidet ist nicht halb so schlimm wie die reflexartigen Vorwürfe und Vorschläge, mit denen Politiker darauf reagieren. Ich schätze meine Tageszeitung. Manchmal liebe ich sie sogar. Und mitunter ärgert mich, was ich in ihr lese. Heute zum Beispiel. Heute also meldet die gute, alte Hohenloher Zeitung, dass der Südwesten, einst Musterschüler in Sachen Bildung, eine Schlappe erlitten hat. Die Neuntklässler schnitten bei bundesweiten Deutsch- und Englischtests viel schlechter ab als noch vor sieben Jahren. Das ist nicht schön für den erfolgsverwöhnten Südwesten, der sich gerne damit gebrüstet hat, dass er alles kann außer Hochdeutsch. Jetzt kommt wohl auch noch Englisch auf die Mängelliste. Gar nicht gut für das Ansehen der Bildung in Baden-Württemberg.

Bildung in Baden-Württemberg. Kein Thema, das Freude bereitet.
Lernen soll Spaß machen? Das haben viele von uns verlernt

Reflexartige Debatte

Viel schlimmer als das Ergebnis an sich erscheint mir aber die geradezu reflexartig losgetretene Debatte, in der jetzt Bildungsexperten und Politiker genau das tun, was sie immer tun, wenn irgendetwas nicht so schön ist, wie es sein sollte: einen Sündenbock suchen, den man die Schuld am Debakel um die Bildung in Baden-Württemberg anhängen kann. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke beschuldigt die frühere grün-rote Landesregierung und ihre „links-ideologische Schulpolitik“, CDU-Landesvize Winfried Mack stößt – erwartungsgemäß -  ins gleiche Horn, ebenso Heinz-Peter Meindinger, Bundesvorsitzender des Philologenverbands. Der frühere SPD-Kultusminister Peter Schoch weist die Vorwürfe zurück, die  Lehrergewerkschaft GEW greift Grüne, CDU und SPD an und verweist auf Bayern und Sachsen, wo die Kinder mehr Unterricht haben.

Nichts gelernt: Bildung in Baden-Württemberg

Aus all dem kann man zumindest eines lernen: dass die Verantwortlichen für die Bildung in Baden-Württemberg in den vergangen 40 Jahren nichts von denen gelernt haben, die es besser machen. Sie bewerfen sich lieber gegenseitig mit Vorwürfen, anstatt sich um die zu kümmern, die sie immer wieder vollmundig als Zukunft des Landes bezeichnen: die Kinder. Auf Dauer ist das nicht nur ineffektiv, sondern auch zunehmend peinlich und nervtötend.

Langweilige Rezepte

Ebenso reflexartig wie die gegenseitigen Schuldzuweisungen sind die immer gleichen Vorschläge und Rezepte, mit denen Politiker und Bildungsverantwortliche dem Bildungsschwund im Südwesten begegnen wollen:  früher betreuen, früher beschulen, länger unterrichten, mehr Hausaufgaben, mehr normierte Leistungsvorgaben. Als ob auch nur einer dieser Ansätze in den vergangenen 40 Jahren die gewünschte Wirkung gezeigt hätte. Die stete Abfolge immer gleicher Reflexe ist ebenso wirkungslos wie langweilig.

Von anderen lernen

Es wird Zeit, dass Politiker und Bildungsverantwortliche ihre geschundenen Häupter erheben und endlich mal nach oben schauen. Ganz oben im hohen Norden gibt es ein kleines Land mit einer seltsamen Sprache, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Top-Platzierungen in den internationalen Bildungsvergleichen erzielt hat: Finnland hat uns abgehängt. Möglicherweise sind wir uns ja zu fein, uns an diesem kleinen Volk zu orientieren, geschweige denn seine Experten um Rat zu fragen. Vielleicht haben wir auch Angst vor ihren Antworten, weil diese so gar nicht in unsere festgefahrene Denkweise über Bildung in Baden-Württemberg passen, mit der wir uns seit Jahrzehnten immer wieder im Kreis bewegen. Und ja, die Antworten aus Finnland passen ganz und gar nicht zu dem, was bei uns als schick und angemessen gilt:

Spielend lernen? In Finnland gehört das zum system.
Spielend lernen gehört in  Finnland zum System.

Beispiel Finnland

Viele finnische Eltern schulen ihre Kinder erst im Alter von sieben Jahren ein, die gemeinsame Grundschule dauert neun Jahre, der Unterricht ist kürzer, es gibt kaum Hausaufgaben, aber viele Pausen, und Spielen ist fester Betandteil des Lehrplns, erklärte Pasi Sahlberg, ehemaliger Generaldirektor des finnischen Bildungs- und Kulturministeriums, im  Beitrag in der Wirtschaftswoche schon vor zwei Jahren.

Die Mär vom Mehr, das besser ist

Möglicherweise lässt sich das nicht alles eins zu eins auf deutsche Schulen übertragen. In Ordnung. Die Frage aber, warum wir immer noch glauben, mehr Unterricht und mehr Hausaufgaben wären besser, obwohl die Hirnforschung längst das Gegenteil bewiesen hat, muss nicht nur erlaubt, sie muss auch endlich mal diskutiert werden. Laut und öffentlich.

Unterschiede akzeptieren

Mindestens genauso wichtig erscheint mir die Frage: Was wollen wir eigentlich heranbilden? Schüler, die uns um jeden Preis Top-Platzierungen im internationalen Vergleich bescheren? Wäre das wirklich das Beste für die vielgerühmte „Zukunft unseres Landes“? Wäre das im Sinne unserer Kinder? Ich habe da Zweifel. Mir wäre es lieber, wir überließen diesen Anspruch den Chinesen, die viele ihrer Kinder mit diesem überhöhten Anspruch zugrunde richten. Ich wünsche mir ein Bildungssystem, das Leistung nicht fördert, indem es alle Kinder über einen Kamm schert, sondern das berücksichtigt, was natürlich ist: unterschiedliche Neigungen, Begabungen und Entwicklungsgeschwindigkeiten.

Der Wunsch zu lernen

Es geht darum, den ganz natürlichen Wunsch des Kindes zu fördern: den Wunsch zu lernen und zu wachsen. Und nicht darum, ihn zu kanalisieren und letztendlich abzutöten.  Genau das tun wir aber, wenn wir von allen zur gleichen Zeit das gleiche Interesse, die gleiche Neugier und Bereitschaft fordern. Dieser Bildungsfaschismus ist alt, aber in vielen Köpfen immer noch so fest verankert, dass ihn – ob Politiker, Lehrer oder Journalist -  kaum jemand ernsthaft in Frage stellt, wenn es um Bildung in Baden-Württemberg geht.

Ungenutztes Potenzial

Ich trainiere Auszubildende namhafter Unternehmen und bin immer wieder verblüfft, wie viel Lernwille, Kreativität und Antrieb gerade in vermeintlich leistungsschwachen Azubis steckt, wenn man ihnen das gibt, was ihnen in der Schule offensichtlich verwehrt geblieben ist: den Raum, sich so zu zeigen, wie sie sind – mit ihren Gefühlen, ihrer Spontaneität ihren Ideen, die nicht in gängige Raster passen, und ihrer oft überraschend hohen emotionalen Intelligenz. Manchmal wundert es mich, dass ausgerechnet der als besonders sparsam geltende Südwesten, dieses Potenzial verschwendet.  

Was wir ausbilden

Eine Antwort auf die Frage, was wir heran- bzw. ausbilden, liefert meine geschätzte Tageszeitung heute nur wenige Seiten weiter hinten unter „Blick in die Welt“: In einer Bank in Essen kippt ein 80 Jahre alter Mann um und stirbt, während ihn Bankkunden ignorieren und zum Teil über ihn steigen, um ihre Bankgeschäfte tätigen zu können. Erst der fünfte Kunde ruft Hilfe. Die anderen waren leistungsorientiert.

Quelle: Hohenloher Zeitung und Wirtschaftswoche 

Beziehungskompetenz. Great Growing Up.

Beziehungskompetenz macht sympathisch

Wir haben in der Hand, wie wir ankommen

Im Grunde wollen wir alle wissen, wie das geht: geliebt werden. Nicht unbedingt von jedem auf eine romantische oder gar körperliche Art; gemocht werden trifft es schon eher. Vielleicht auch das nicht von jedem, aber so grundsätzlich eben doch. Sympathisch wirken wäre schon mal schön. Wertschätzung und Anerkennung gehören zu den Grundbedürfnissen von Menschen. Man kann das durchaus so nennen: geliebt werden. Dr. Travis Bradbury beschäftigt sich schon lange mit dem Thema. Der Co-Autor des Bestsellers „Emotionale Intelligenz 2.0“ hat eine Liste erstellt, die zeigt, worin sich Normalos von Sympathieträgern unterscheiden. Sie mündet in einer These, die für die einen wie frohe Kunde klingen mag, für andere wie eine Hiobsbotschaft: Wir haben es selbst in der Hand, ob und wie sympathisch wir auf unsere Mitmenschen wirken.

Forschungsdaten gesammelt 

Bradburys Unternehmen Talent Smart hat Forschungsdaten gesammelt, aus denen hervorgeht, dass Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz leichter sympathisch wirken als andere. Und nicht nur das: Bradbury behauptet, emotional intelligente Menschen sind auch erfolgreicher.     

Bradbury schreibt in der Huffington Post: „Es unterliegt deiner Kontrolle, sympathisch zu wirken und es hat mit emotionaler Intelligenz zu tun. Anders als angeborene, festgelegte Eigenschaften wie deine Intelligenz (IQ), ist der EQ eine flexible Fähigkeit, die mit ein wenig Anstrengung verbessert werden kann.“

Sympathisch wirken in 10 Punkten

Das sollten sich alle, die gerne erfolgreich sein wollen, langsam auf der Zunge zergehen lassen: Anders a

Sympathisch wirken kann man lernen und trainieren
Sympathisch wirken ist gar nicht so schwer, wenn Sie ein paar Punkte im Blick behalten.

ls der IQ ist der Emotionale Intelligenzquotient nicht angeboren und damit festgelegt, sondern vielmehr eine Fähigkeit, die erlernt und trainiert werden kann. Das eröffnet Möglichkeiten auf der Karriereleiter. Zumindest für Menschen, die sich darüber im Klaren sind, dass sie für sich und ihre Außenwirkung selbst verantwortlich sind. Also auch dafür, ob sie sympathisch wirken oder nicht. Klassischen Opfertypen hingegen wird die These wenig helfen. Denn wer partout davon ausgehen will, dass sympathische oder erfolgreiche Menschen einfach nur vom Schicksal gesegnet sind, wird das auch weiterhin tun und entsprechend nach außen wirken – meistens eher weniger sympathisch, versteht sich.

Bradbury listet zehn Verhaltensweisen auf, die sich – theoretisch – jeder Mensch aneignen kann. Sie lauten:

Ehrlich sein

Sympathisch wirken. Zum Beispiel durch Ehrlichkeit.
Ehrlichkeit kommt gut an und ist Teil so mancher Unternehmenskultur.

Der Grund liegt auf der Hand: Wer die Unwahrheit sagt, wird früher oder später entlarvt. Menschen haben ein feines Gespür dafür, wer es ehrlich mit ihnen meint und wer nicht.  Und: verlorenes Vertrauen ist nur sehr schwer wiederzugewinnen. Menschen, die bei der Wahrheit bleiben und zudem authentisch sind, werden als angenehm empfunden: Sie sind es, die sympathisch wirken.

Interesse zeigen

Wer sympathisch wirken will, sollte ein weiteres menschliches Grundbedürfnis klar vor Augen haben, das im Ranking sogar noch über dem Geliebt werden steht: Gesehen werden. Menschen mögen es, wenn sie die Aufmerksamkeit anderer haben. Dazu muss man keine Rampensau sein, die sich in den Vordergrund drängt. Das wirkt eher kontraproduktiv (siehe Punkt 5). Es genügt schon, wenn uns jemand aufmerksam zuhört. Diese Form des Interesses wirkt sympathisch. Vor allem dann, wenn Sie Fragen stellen. Die sind sogar viel wichtiger als schlaue Kommentare. Mit Letzteren streicheln sie allenfalls ihr eigenes Ego, mit aufmerksamen Fragen aber erschaffen sie Beziehung, was in diesem Kontext so viel bedeutet wie: Es geht ihnen nicht um sich, sondern um ihr Gegenüber. Ihr Gesprächspartner nimmt dann wahr, dass er im Fokus ihres Interesses steht und nicht sie selbst. Das wirkt sympathisch.

Aufs Smartphone verzichten

Sympathisch wirken. Verzicht aufs Smartphone ist essentiell.
Wer sich seinem Smartphone zuwendet, wendet sich ab von seinem Gegenüber.

Beobachten Sie sich selbst: Ob sie auf den Bus oder Zug warten, im Wartezimmer Ihres Arztes sitzen oder wenn der Fernsehfilm öde wird - greifen Sie zum Handy? Wenn dem so sein sollte, seien sie achtsam, dass Sie diesem Reflex nicht folgen, wenn jemand mit ihnen spricht. Sie können getrost davon ausgehen, dass er das Signal genau so versteht, wie es gemeint ist: Mein Smartphone ist mir gerade wichtiger als Du. Die Botschaft mag unterschwellig sein und möglicherweise nur im Unterbewusstsein Ihres Gesprächspartners ankommen. Sie dürfen dennoch sicher sein, dass sie genau dort ihre volle Wirkung entfalten wird: Sie werden als unsympathisch wahrgenommen.

Andere nicht verurteilen

Sympathisch wirken geht leichter ohne Urteile über andere.
Wer über andere urteilt, kommt nicht sympathisch rüber.

Wir leben in einer Welt, die viel Wert auf Wissen legt. Wer viel weiß, gilt als kompetent. Wer kompetent erscheinen will, wird gerne zeigen, dass er viel weiß und sich schnell ein Urteil bilden kann. Die Schattenseite diese Tugend ist, dass Menschen Wissen auch missbrauchen können, um sich Neuem zu verschließen. Wer sich nur auf sein Wissen verlässt, wird kaum offen sein für Veränderung. Die aber ist Teil des Lebens, und in unserer globalisierten Wirtschafts- und Berufswelt wird das immer offensichtlicher. Es gibt sogar schon Personalabteilungen, die von der „Arroganz des Wissens“ sprechen. Menschen, die um keinen Preis von ihrem Wissen bzw. von ihrer Meinung abrücken, sind keine beliebten Gesprächspartner. Menschen, die andere verurteilen, schon zweimal nicht. Sie gelten als unsympathisch. Die Aufgeschlossenen, die sich auf Neues einlassen, anstatt es unbesehen abzulehnen, sind deutlich beliebter.

Nicht in den Mittelpunkt drängen

Rampensäue haben es – wie oben unter Punkt 2 erwähnt - schwer. Wer ständig in den Mittelpunkt drängt, nervt. Die meisten Menschen nehmen bewusst oder unbewusst wahr, dass irgendetwas nicht stimmt. Wer ständig Aufmerksamkeit will, hat offensichtlich zu wenig davon: Die Reaktion darauf: Mitleid oder Ablehnung. Oder beides.

Konsequent sein

Konsequenz ist ein Wort, das vielen Menschen unheimlich ist. Die Konsequenzen tragen – das macht in der Regel keinen Spaß. Tatsächlich aber, sind Menschen, die umsetzen, was sie angekündigt haben, berechenbar und vermitteln anderen Sicherheit. Auf ihr Wort ist Verlass. Menschen wissen gerne, woran sie sind und mit wem sie es zu tun haben. Verlässlichkeit wirkt deshalb sympathisch.

Positive Körpersprache

Sympathisch wirken ist leicht, wenn Sie Ihre Körpersprache im Blick behalten.
Körpersprache sagt mehr als 1000 Worte und bestimmt unsere Außenwirkung.

Worte – und das schreibt ein gelernter Journalist(!) – werden überschätzt. Vor allem im direkten Gespräch ist es wichtig, darauf zu achten, welche nonverbalen Signale wir aussenden. Das tun wir ständig. Unsre Mimik und Gestik, unsere Körperhaltung sagt mehr als 1000 Worte. Wenn Sie sich von Ihrem Gesprächspartner weg neigen, drücken sie Abneigung aus. Wenn sie Arme und Beine verschränken, nimmt ihr Gegenüber Abwehr wahr. Ob Sie das tatsächlich meinen oder darauf beharren, dass Sie immer so sitzen, weil es eben bequem ist, spielt dabei keine Rolle. Wenn Sie wissen wollen, wie sie ankommen, sollten sie anerkennen, dass Ihre Außenwirkung nicht von Ihnen, sondern von Ihrem Gegenüber definiert wird. Ihre Wirkung ist entscheidend, nicht Ihre Meinung. Genau deshalb heißt es ja auch Wirklichkeit und nicht Meinlichkeit.

Andere mit Namen begrüßen

Siehe Punkt 2: Menschen wollen gesehen werden. Aus dem gleichen Grund mögen wir es, wenn wir mit unserem Namen angesprochen werden. Das vermittelt Interesse und Aufmerksamkeit und wirkt sympathisch. Allerdings nur, wenn der Name stimmt.

Lächeln

Lächeln gewinnt; auch die Sympathie des Gegenübers. Probieren Sie es aus. Es wirkt garantiert. Und ja: Man kann lächeln und lächeln. Je authentischer Sie Freundlichkeit, gute Laune oder Sympathie ausdrücken, desto deutlicher wird sie ihnen widergespiegelt. Sie machen den Tag Ihres Gesprächspartners ein wenig schöner, und der empfindet Sie – ganz natürlich – als sympathisch. So einfach geht sympathisch wirken.

Berührungen sagen mehr 

Der letzte Punkt ist nicht ohne. Seien Sie achtsam damit, wenn, wie und wann Sie jemanden berühren. Ob Umarmung oder Handschlag, das Gehirn unseres Gegenübers reagiert darauf, indem es Oxytocin ausschütte. Dieser Neurotransmitter hat eine verblüffende Wirkung: Er sorgt dafür, dass wir mit Vertrauen und anderen positiven Haltungen in Verbindung gebracht werden. Dann werden wir sympathisch wirken. Wenn wir es allerdings vermasseln, und die Berührung als unangemessen empfunden wird, dann sorgt das Oxytocin für die gegenteilige Wirkung: wir werden als unsympathisch wahrgenommen, etwa weil wir die gewünschte Distanz nicht wahren.

EQ ersetzt nicht Leistung

Dass diese zehn Punkte entscheidend dazu beitragen, ob und wie sympathisch wir wahrgenommen werden, liegt auf der Hand. Wie sie sich aber auf unseren beruflichen Erfolg auswirken, erschließt sich erst auf den zweiten Blick. Tatsache ist, dass im Job Leistung verlangt wird. Auf Dauer können Sie die nicht durch Sympathie ersetzen. Emotionale Intelligenz entbindet Sie demnach nicht von Ihren beruflichen Pflichten und den Erwartungen Ihres Chefs oder Ihres Kunden. Schade? Vielleicht. Aber es gibt einen Trost.

Leistung ersetzt nicht EQ

Tatsache ist ebenso, dass die Formel auch umgekehrt stimmt: Auch mit noch so viel Leistung haben Sie es ohne emotionale Intelligenz schwer auf dem Weg nach oben. Es gibt kaum noch Unternehmen, die der Philosophie anhängen, dass unzufriedene Mitarbeiter fleißiger sind als gut gelaunte. Zumindest kaum erfolgreiche Unternehmen. Die Art und Weise, wie ein Mensch von seinen Kollegen wahrgenommen wird, ob er ins Team passt, ob er das Team positiv oder negativ beeinflusst, ist längst zu einem entscheidenden Kriterium in der Bewertung von Mitarbeitern geworden. Und ganz unter uns: Wer hat beim Gespräch über eine mögliche Beförderung oder Gehaltserhöhung mehr Aussicht auf Erfolg: der sozial intelligente Schaffer oder sein unsympathisches Pendant? Eben.

Vor dem Verkauf kommt das Vertrauen

Vor allem, wenn Sie mit Kunden zu tun haben, ist das Maß Ihrer emotionalen Intelligenz ein entscheidender Faktor für Ihren Erfolg. Übrigens vollkommen unabhängig davon, ob Sie als Angestellter oder als Selbständiger verkaufen. Wer dauerhaft erfolgreich verkaufen will, braucht das Vertrauen seiner Kunden. Er muss ehrlich, verlässlich und konsequent sein. Dass Freundlichkeit und Aufmerksamkeit dazugehören, dürfte auf der Hand liegen. "Verkaufsentscheidungen werden zwar rational begründet, aber emotional getroffen", sagt die Kölner Sales-Trainerin Barbara Lampl.

Beziehung ist entscheidend

Das Vertrauen gewinnt ein Verkäufer nur auf einem Weg: Er muss mit seinem potenziellen Kunden in Beziehung sein, sich für ihn interessieren, mehr Fragen stellen als Antworten geben und vor allem: zuhören. Dazu braucht es ein hohes und in der Regel gut geschultes Maß an emotionaler Intelligenz, denn die Verkaufsabsicht muss hinter dem Ziel, eine Beziehung - und ihm zweiten Schritt Vertrauen – aufzubauen, zurücktreten. Wer dabei nur an sich selbst denkt, wird über sich selbst stolpern.  

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla, 2016

Quelle: http://www.mz-web.de/24966390 ©2016

Wer geeignete Auszubildende will, muss ganzheitlich ausbilden.

Azubimangel – Lehrlinge gesucht

Wie Sie gute Azubis finden

Erstens gibt es immer weniger Lehrlinge und zweitens kaum noch qualifizierte – Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe müssen den Azubimangel als Chance begreifen und ihre Methoden überdenken. In diesem Artikel erfahren sie, wie sie dauerhaft gute Azubis finden. 

Wer die späten 70er und die frühen 80er Jahre erlebt hat, erinnert sich sicher an ruppige Punks mit Sicherheitsnadeln im Ohr und ohne Perspektive vor Augen: „No Future“. So betitelt Deutschlands große Wochenzeitung „Die Zeit“ ihren Artikel vom 6. Oktober 2016 über Herausforderungen im Berufsschulwesen. Wobei „Herausforderungen“ geprahlt ist; die 2700 Berufsschulen zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen leiden große Not, schreibt das Blatt. Ihnen geht schlicht und ergreifend die Kundschaft aus.

Rückläufige Zahlen 

Die Zahl der Schüler in Lehrberufen ist seit Mitte der 80er Jahre rückläufig: Sie ist seither um ein Viertel gesunken. Die Folgen sind kaum zu übersehen: Im Osten Deutschlands haben demnach stattliche 250 Berufsschulen in den vergangenen zehn Jahren dichtgemacht. 

Von der Heldenschmiede zum Paria

Geeignete Azubis finden. Würth in Künzelsau durchlaufen die Azubis Trainings, die ihre emotionale Intelligenz stärken.
Bei Würth durchlaufen die Azubis Trainings, die ihre emotionale Intelligenz stärken. (Foto: Würth)

Die Gründe für den Niedergang haben viel mit dem veränderten Blick der Öffentlichkeit auf die verschiedenen Angebote im deutschen Bildungswesen zu tun. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg hatten die Berufsschulen kein Imageproblem: In ihnen wurden die Helden des Wirtschaftswunders ausgebildet: die Facharbeiter. Und nicht nur die. Gerade im Südwesten der Republik gab und gibt es nach wie vor prosperierende Familienunternehmen, deren Gründer und Inhaber weder Studium noch Abitur absolviert haben. Prominentestes Beispiel ist der „Schraubenkönig“ Reinhold Würth, dessen 60.000-Mitarbeiter-Betrieb Nummer eins im Weltmarkt für Befestigungstechnik ist.

Versteckte Weltmeister

Die Nummer zwei residiert ebenfalls im Hohenloher Kreisstädtchen Künzelsau im beschaulichen Kochertal. Ihr Gründer Albert Berner hat zusammen mit Würth die Berufsschulbank gedrückt. Im benachbarten Jagsttal hat ebm-Papst seinen Sitz, ein Elektro-Weltmarkt-Champion, dessen Gründer Gerhard Sturm mit Würth und Berner in ein und derselben Klasse gesessen ist.

Legendäre Vorbilder

Solche Karrieren – ohne Abi und Studium zum Welterfolg – gelten nicht nur in Hohenlohe, wo besagte Unternehmer heute noch leben, als Legende.  Vielleicht sogar zu sehr als Legende. Denn dass dergleichen auch heute noch möglich ist, glauben offensichtlich nur wenige Eltern und Schüler. Berufsschulen sind out, sie gelten als die Parias unter den Schulen, schreibt „Die Zeit“. Und selbst in Hohenlohe, der Region der Weltmarktführer, kämpfen große Unternehmen im gleichen Wettbewerb: gute Azubis finden. 

Je höher, desto schicker

Geeignete Azubis finden. Ganzheitlich Ausbilden mit Great Growing Up hilft dabei.
Auf Berufsinfotagen buhlen Unternehmen um geeigenete Azubis.

2016 machten 60 Prozent aller Schulabgänger das Abitur. Je höher der Bildungsabschluss, desto schicker. Dass das Abi damit langsam aber sicher inflationär wird, dass die Standards sinken, stört dabei offensichtlich niemanden. Ein guter Real- oder gar Hauptschüler zu sein, scheint heute nicht mehr genug. Das setzt eine Kettenreaktion in Gang: Den Berufsschulen fehlen die leistungsstarken Zugpferde. Viele ihrer Schüler sind desorientiert, lustlos, leistungsgehemmt. Ihnen fehlt der Aufstiegswille, sie sehen in der Tat keine Zukunft für sich und strapazieren die Nerven ihrer Lehrer.

Lehrstellenmangel

Hinzu kommt, dass es 2016 nur 500.000 Lehrstellen gab, so wenig wie seit Mitte der 70er nicht mehr. Die bekommen in der Regel die qualifizierteren unter den Bewerbern. Der abgelehnte Rest steckt in Warteschleifen und Kursen fest, weitgehend ohne Perspektive.

Resignierte Ausbildungsbetriebe

Für die Partner der Berufsschulen, die Ausbildungsbetriebe ist das fatal. Wer mit Unternehmern und Ausbildungsleitern etwa in Hohenlohe spricht, hört immer wieder die gleichen Klagen: viele junge Leute seien unzuverlässig, machten beim geringsten Unwohlsein krank, übernähmen keinerlei Verantwortung für ihr Handeln und hätten eine äußerst geringe Frustrationstoleranz. Gar nicht wenige Betriebe haben sich mittlerweile damit abgefunden, dass sie sich mit weniger qualifizierten Bewerbern begnügen müssen. Sie gehen nicht mehr davon aus, dass sie geeignete Azubis finden.

Alarmierende Entwicklung

Aber selbst mit Genügsamkeit ist das Problem nicht zu lösen. Erst kürzlich hat „Die Welt“ über die steigende Zahl der Ausbildungsabbrüche berichtet: Ein Viertel aller Lehrlinge beendet seine Ausbildung vorzeitig. Das klingt in der Tat alarmierend.

Kleinere Betriebe haben daraus bereits Konsequenzen gezogen: „Pflichtbewusstsein, Pünktlichkeit und Loyalität, waren in meiner Generation noch selbstverständlich! Es ist schade, dass dem anscheinend nicht mehr so ist“, schrieb ein Unternehmer dieser Tage dem Autor und stellte klar: „Das ist es ja, warum ich nie und nimmer einen Azubi einstellen würde!“ Der Schreiber ist Jahrgang 1975 und steht damit kaum im Verdacht, altersbedingt nostalgisch zu sein.

Warum Azubis abbrechen

Azubis finden ist das eine, sie zu behalten ist mitunter kaum leichter. Für Ausbildungsbetriebe aber, die auf qualifizierten Nachwuchs angewiesen sind, ist das keine Option und ein Abbruch bitter: Sie investieren viel Zeit, Geld und Energie in ihre Lehrlinge. Und sie tun viel, damit sie geeignete Azubis finden.

„Die Welt“ nannte kürzlich eine Studie, aus der die Gründe für die zunehmenden Lehrabbrüche hervorgehen: harte Arbeit, wenig Anerkennung und wenig Erklärung. Kurz: Die Ausbilder in den Unternehmen reden zu wenig mit den Lehrlingen. Und die wiederum seien durch Facebook Dauerbestätigung gewohnt und orientierten sich zudem an kurzlebigen Youtube-Stars, die vor allem eine Botschaft transportierten: Du kannst auch ohne Anstrengung reich werden. Ein Ansatz, dem Würth, Berner und Sturm sicher von Herzen widersprechen würden.

Berufschulen in der Kritik

Den Berufschullehrern hilft das nichts. Sie stehen in der Kritik, weil sie ihren „Kunden“, den Unternehmen, nicht mehr die Qualität liefern, die gefragt ist. Wer aber trägt Verantwortung für die Misere? Eltern, Schüler, Lehrer, Kultusminister? So gestellt bringt die Frage niemanden weiter, weil niemand gerne schuldig ist. Interessanter ist die Frage, wer bereit ist, Verantwortung dafür zu übernehmen, dass sich die Entwicklung umkehrt. Das größte Interesse daran dürften wohl Berufsschulen und Ausbildungsbetriebe haben, die sich mit unqualifiziertem, unmotiviertem Nachwuchs herumschlagen müssen.

Qualitäten, die gefragt sind

Was also tun? Inzwischen dürfte allgemein bekannt sein, dass weder die allgemeine Hochschulreife noch ein abgeschlossenes Studium hinreichend Auskunft darüber geben, wie qualifiziert ein Mensch tatsächlich ist.  Das deutsche Bildungssystem ist im Wesentlichen immer noch so gestaltet, dass Noten nur zeigen, ob jemand in der Lage war, zur rechten Zeit die richtigen Antworten zu geben.  Im zunehmend globaleren Wettbewerb sind andere Qualitäten gefragt: Kreativität, flexible Kompetenz, emotionale Intelligenz, also die Fähigkeit, eigene emotionale Befindlichkeiten und die anderer wahrzunehmen, zu benennen und verantwortlich damit umzugehen. Letzteres wird in zunehmendem Maße die Richtschnur, entlang der sich erfolgreiche Verkäufer, aber eben auch Führungskräfte von ihren weniger erfolgreichen Kollegen trennen. Emotionale Intelligenz ist die Voraussetzung für das, worauf es in der Zusammenarbeit mit Menschen ankommt: Beziehungskompetenz.

Den Vorteil nutzen

Berufsschulen und Unternehmen, die erkennen, dass sie ihrer Klientel, den Lehrlingen, etwas bieten können, das die oberen Bildungsgänge nicht im Portfolio haben, erarbeiten sich einen Wettbewerbsvorteil: bodenständige und gerade deshalb praktisch anwendbare Lebensfähigkeit, die dem Leben Sinn verleiht. Sie zeichnet sich durch Kernkompetenzen aus, die leider immer noch viel zu oft als im Zweifelsfall verzichtbare Soft Skills abgetan werden:

  • Mut zum und Freude am Lernen, also frischer Anfängergeist statt träger Wissensbewahrung.
  • Verantwortlichkeit für das eigene Handeln, also Erwachsen sein statt Opfer-Dasein.
  • Emotionaler Intelligenz – Konfliktfähigkeit und Sachlichkeit statt Drama.

Leistung ist nicht alles 

In einem Punkt haben die jungen Leute Recht: Leistung allein ist heute weniger denn je ein Garant für erfolgreiche Karrieren. Es braucht soziale und vor allem emotionale Kompetenzen, die bislang viel zu oft unter genau den Tisch fallen, an dem zu viel über Margen und Taktzahlen gesprochen wird. Es gibt Berufsschullehrer und Ausbilder, die das erkannt haben. Immer mehr. Zudem gibt es Unternehmen, die mehr und mehr auf ganzheitliche Ausbildung und gerade deshalb gute Azubis finden.

Strukturen fehlen

Junge Menschen brauchen heute mehr Führung als früher, weil familiäre Strukturen nicht mehr in dem Maße vorhanden sind. Dass haben wir Erwachsenen so gestaltet, weil wir den mobilen Arbeitnehmer, die arbeitende Mutter und nicht zuletzt die fremdbetreuten Kinder wollen. Erwachsen zu werden ist heute schwerer als früher, weil es die Vorbilder, an denen sich junge Leute orientieren könnten, nicht mehr in ihrer unmittelbaren Nähe gibt. Mit der Bindung an die natürlichen Vorbilder, Väter und Mütter, haben wir gleichzeitig das abgeschafft, was wir jetzt mühsam in der Ausbildung vermitteln müssen: das Wissen darüber, was Erwachsen sein bedeutet.

Brachliegendes Potenzial nutzen

Ländliche Regionen wie das oben erwähnte Hohenlohe, das ohne zentralen Ballungsraum auskommen muss, sind auf Berufsschulen in der Nähe von Firmenstandorten angewiesen. Sonst droht ihnen langfristig das Ausbluten, weil der potenzielle Nachwuchs dorthin abwandert, wo Ausbildung und Chancen nicht in weiter Ferne liegen. In Hohenlohe, wo es demografisch bedingt immer weniger junge Menschen geben wird, gibt es Unternehmen und Berufsschulen, die erkannt haben, dass sie die Sache selbst in die Hand nehmen müssen. Im viel beklagten wenig qualifizierten Nachwuchs steckt zu viel Potenzial brach, als das sie darauf verzichten könnten. Wer sich nur über die jungen Leute beklagt, bekommt keine besseren. Wer seine Ausbildung ganzheitlich ausrichtet, tut sich selbst den größten gefallen und wird geeignete Azubis finden.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla, 2017

Matthias Stolla (Jahrgang 1968) war 21 Jahre lang Redakteur der Heilbronner Stimme/Hohenloher Zeitung. Er arbeitet zudem seit vielen Jahren als ausgebildeter Trainer & Dozent.  Seine Spezialität sind Trainings für Auszubildende und Ausbilder in Unternehmen mit den Schwerpunkten emotionale Intelligenz und Beziehungsfähigkeit in der Arbeitswelt.

Jammerlappen – Der Azubi nörgelt ständig

003: Ihr Unternehmen stellt den Auszubildenden alles auch nur Denkbare zur Verfügung, um sie bei Laune zu halten, aber bei einigen bewirken Sie exakt das Gegenteil. Sie jammern und nörgeln in einem fort. Und das Schlimmste: Dieses Phänomen ist hochansteckend. Was dagegen hilft? Fünf simple Schritte.

Episode 3 zum Lesen