Schluss mit lustig - Wenn es hitzig wird
Ärger hat ja was mit erhitzten Gemütern zutun. Wenn ich ärgerlich werde, dann spüre ich, wie meine Körpertemperatur steigt, wie ich in Wallung gerate. Und genau darum geht’s heute. Wie geht man als Ausbilder denn am besten damit um, wenn man auf seinen Auszubildenden ärgerlich ist, weil der wieder mal nicht tut, was man ihm mehrfach gesagt hat? Weil das für das Betriebsklima unglaublich wichtig ist, trainiert Great Growing Up ganz gezielt den verantwortlichen Umgang mit Ärger.
Umgang mit Ärger früher und heute
Das mit dem Ärger ist so eine Sache in Ausbildungsbetrieben, in Unternehmen generell. Viele Unternehmen, die ich besuche, haben viele Mitarbeiter, die sich unglaublich schwer damit tun, mit diesem Gefühl umzugehen. Umgang mit Ärger steht so am bisschen auf dem Index in vielen Unternehmen, die sich Mühe geben, eine offene, freundliche Kultur im Umgang mit Mitarbeitern zu pflegen. Und das ist auch prima. Ich finde Unternehmen, die sich viele Gedanken machen, die Energie darin investieren, wie man mit Mitarbeitern umgeht, aber auch wie Mitarbeiter untereinander mit sich umgehen, großartig. Prinzipiell finde ich es gut, wenn Menschen sich Gedanken darüber machen, wie sie miteinander umgehen.
Wie Ärger zum No-Go wurde
Wie kommt‘s denn, dass der Ärger auf der No-Go-Liste steht in vielen Unternehmen, die ich erlebe? Vielleicht hat es damit zu tun, dass viele von uns noch einen anderen Umgang mit Ärger während der Ausbildung in Erinnerung haben. Ich will nicht übermäßig schwarzmalen, aber vielleicht erinnert sich mancher an typische Szenen aus dem Ausbilderalltag, vielleicht aus den 50er oder 60er oder 70er oder auch noch aus den 80er Jahren. Azubi macht irgendwas falsch, hat was verbockt, Ausbilder ist elend genervt. Ihm platzt der Kragen, er schreit den Auszubildenden an, bügelt ihn platt, faltet ihn patent und macht ihn schlicht und ergreifend zum Minna. Das will heute niemand mehr. Und das finde ich auch gut so, dass das heute niemand mehr will. Was aber tun mit dem Ärger, der hin und wieder kommt?
Gute Azubis sind Mangelware
Den meisten Unternehmen, mit denen ich zu tun habe, ist längst klar, dass sich solche unschönen Szenen schneller draußen rumsprechen, als manchen von uns lieb ist. Und kein Unternehmen will negative Publicity, schon gar kein Unternehmen hier, in der Hohenlohischen Provinz, wo längst ein erbitterter Kampf um qualifizierte Auszubildende tobt. Das ist nicht nur hier in Hohenlohe so, das gilt für weite Strecken Deutschlands, im Grunde ist es ein europaweiter Trend. Junge, qualifizierte Auszubildende sind Mangelware und werden gesucht. Unternehmen, von denen man weiß, man läuft Gefahr, dass die Ausbilder ausflippen und einen anschreien und patentfalten, sind nicht beliebt. Sie tun sich in der Folge schwer, geeigneten, qualifizierten Nachwuchs zu finden.
Ausbilder muss flexibel sein
Also ist es kaum verwunderlich, dass sich viele Unternehmen Gedanken darüber machen, was ein Ausbilder braucht, um gut ausbilden zu können. Ein solches Unternehmen ist Bürkert Fluid Control Systems, ein Weltmarktführer mit Hauptsitz in Ingelfingen in Hohenlohe. Dort gibt es ein großes Werk namens Kompetenzmanagement, einen Gesamtkatalog, der zusammenfasst, was Mitarbeiter, von der untersten Stufe bis hinauf in die Führungsebene, brauchen, um sinnvoll miteinander arbeiten zu können. Was das für Ausbilder bei Bürkert bedeutet, fasst Christof Schmuck, selbst technischer Ausbilder bei Bürkert, zusammen.
Christof Schmuck: „Der (Ausbilder) muss sehr flexibel sein, er muss sich auf die Bedürfnisse von den Jugendlichen, die sich ständig wandeln, einstellen können. Ja, ich denke, das ist eigentlich das Wichtigste, das er mitbringen muss.“
Was Flexibilität bedeutet
Bürkert fordert von seinen Ausbildern Flexibilität. Das ist eine wichtige, wenn gleich auch manchmal schwierige Tugend, im Umgang mit jungen Menschen. Vor allem, wenn man tatsächlich feststellt, dass sich deren Profil, deren Art und Weise im Umgang mit Arbeit, im Umgang mit anderen Menschen um sie herum, fortlaufend ändert. Flexibilität bedeutet aber nicht notwendigerweise Toleranz. Flexibilität bedeutet: Ich bin offen dafür, den jungen Menschen dort abzuholen, wo er gerade steht.
Was erwartet wird
Dass ich ihn dorthin führen muss, wo ich ihn haben möchte, ist damit
nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil, bei Bürkert merkt man sehr genau, woran es hapert, was man sich heute von den jungen Menschen wünscht. Christoph Schmuck sieht das so:
Christof Schmuck: „Wir wünschen uns, dass die jungen Menschen, die zu uns zur Ausbildung kommen, einfach mit einer besseren Qualität in Ihrer Sozialkompetenz auftreten. Dass sie sich schon artikulieren können, Leute grüßen, auf die Leute zugehen. Einfach, dass sie so grundsätzliche Sachen, die man selber im Leben eigentlich von den Kinderschuhen her lernt, dass sie die in der Ausbildung auch anwenden. Das konnten die meisten bestimmt schon im Kindesalter, aber wenn man dann langsam erwachsen wird, dann verkommt das halt wieder. Dann wird das vielleicht peinlich, wenn man jemanden grüßt, oder wenn man jemanden was fragt, oder einfach etwas hinterfragt. Das machen die meisten nicht, und wir wünschen uns, dass dies besser ausgeprägt ist. Und daran arbeiten wir auch, dass es sich wieder verbessert.“
Elementare Qualitäten
Ein Mindestmaß an Umgangsformen wünscht sich Christof Schmuck, Ausbilder bei Bürkert in Ingelfingen, von seinen Auszubildenden. Damit sind elementare Qualitäten der sozialen Kompetenz gemeint. Freundlich grüßen, „Bitte“ und „Danke“ sagen und nachfragen, wenn ich etwas nicht verstanden habe. Wer Christof Schmuck genau und aufmerksam zuhört, wird auch hören, dass er diese Qualifikationen, dieses Mindestmaß an sozialer Kompetenz eigentlich für selbstverständlich hält. Aber eben nur „eigentlich“, eines der verräterischsten Wörter in der deutschen Sprache überhaupt. „Eigentlich selbstverständlich“ bedeutet so viel wie „heute offensichtlich nicht mehr selbstverständlich“.
Umgang mit Ärger trainieren
Wenn also ein Ausbilder mit Auszubildenden zu tun hat, die noch nicht einmal das Mindestmaß an Umgangsformen, mit sich bringen, dann kann es sein, dass er mit dem Gefühl reagiert, um das es heute geht: um den Ärger. Die Frage ist: Was macht ein Technischer Ausbilder bei Bürkert, wie Christof Schmuck, wenn er sich mal so richtig über einen Auszubildenden ärgert? Äußert er seinen Ärger. Und wenn ja, wie?
Sagen, was man denkt - und fühlt
Christof Schmuck: „Puh (lacht), dann muss er (der Ausbilder) sich zunächst zurück nehmen, und dann geht er erst mal in sein Büro und sortiert seine Gedanken noch einmal. Und dann überlegt er sich, wie die weitere Vorgehensweise aussieht. Wir sprechen dann mit den Leuten oder erklären denen noch einmal, was man gerne hätte. Bei der Firma Bürkert haben wir eine offene Kultur, bei uns kann man sagen was man denkt. Unser Azubi kann uns auch sagen: ´Hör zu, so passt es mir nicht´, oder: ´So sehe ich das aber nicht´. Wir gehen offen miteinander um und vertragen auch Kritik. Aber manche Sachen, wenn die halt gar nicht gehen, und ich mich brutal ärgern muss, dann sortiere ich zuerst meine Gedanken und schaue, wie ich weitermache.“
Ich kenne viele Ausbilder, die sich ihren Job zur Herzenssache gemacht haben. Denen ihre Azubis am Herzen liegen. Die würden so wie Christof Schmuck auch, auf keinen Fall ihren Ärger unkontrolliert über dem armen Azubi oder der armen Auszubildenden ausschütten.
Umgang mit Ärger vorleben
Mir gefällt was Christof Schmuck sagt. Dass er sich zunächst mal Gedanken macht und dann überlegt, wie bringe ich es an den armen Tropf von Azubi, der wieder mal etwas falsch gemacht hat, ran? Ich kenne aber auch Ausbilder in Betrieben, die sich sehr schwer tun, ihren eigenen Ärger zu akzeptieren, weil er nämlich entweder im Unternehmen auf dem Index steht, oder weil sie es sich selber nicht erlauben. Und ich glaube, daraus erwächst ein großes Problem. Denn zum einen muss sich der Ausbilder verbiegen und lebt etwas vor, das im Sinne Ganzheitlicher Ausbildung nicht viel Sinn ergibt. Nämlich, dass ich mich als Ausbilder verbiegen muss. Das lernt dann auch der Auszubildende.
Ärger klar äußern
Ich empfehle meinen Klienten erstens, ihren Ärger als solchen zu akzeptieren und ihn zweitens zu äußern. Das kann man auf eine sehr unspektakuläre und undramatische, aber nichtsdestotrotz, sehr klare Art und Weise, tun. Ich kann nämlich meinem Auszubildenden, der zum dritten Mal alles falsch gemacht hat, einfach sagen: „Jan, mich ärgert das, ich hab dir das drei Mal erklärt, und ich habe den Eindruck, du hast es immer noch nicht verstanden. Punkt.“ Das ist eine klare Aussage über meine Wahrnehmung, aber auch über mein Gefühl, das ich in mir wahrnehme: meinen Ärger. Mein Azubi darf hören, dass ich ärgerlich bin. Auf eine ganz verantwortliche, erwachsene Art und Weise.
Hintergrundkonversation stört
Mir persönlich ist es nämlich lieber, mein Gegenüber teilt mir mit, was er fühlt, als dass ich es irgendwie erahnen muss. Oder ich durch irgendwelche Spitzen so eine Hintergrundkonversation hören muss von wegen: „Warum ist den jetzt mein Ausbilder oder mein Gesprächspartner plötzlich so zickig oder so barsch zu mir?“ Mir ist es lieber, die Hintergrundkonversation kommt nach vorne. Deshalb benenne ich, was ich fühle und sage: „Hey Azubi, ich fühle mich ärgerlich, weil…“. Denn ich bin davon überzeugt, dass wenn die Hintergrundkonversation ausgesprochen ist, der Weg frei ist für Sachlichkeit. „Hör zu, ich bin ärgerlich, ich hab‘s dir gesagt. Du weißt es, jetzt lass uns mal drüber sprechen, was es braucht, damit du deine Aufgabe zur Zufriedenheit aller erfühlen kannst.“ Denn genau das wünschen sich junge Menschen, wie Simon Junker, Auszubildender, ebenfalls bei Bürkert.
Simon Junker: „Ja, ich denke, dass ist der Sinn von der Ausbildung, dass die Ausbilder einem beibringen, wie es funktioniert, worauf man achten muss.“
Warum Vorbilder wichtig sind
Grundsätzlich wollen junge Menschen lernen. Das gilt aber nicht nur für die technische oder sachliche Ebene, das gilt gerade auch für das, was Christoph Schmuck anfangs von dieser Episode angesprochen hat, für die soziale Kompetenz und sogar für die emotionale Intelligenz. Junge Menschen wollen grundsätzlich lernen. Sie wollen von uns erfahren, wie sie die Teile zusammen montieren müssen, damit der Ventilaufbau funktioniert. Sie wollen aber auch lernen: Wie gehe ich mit anderen Menschen und mit mir selbst so um, dass wir auf der Sachebene zum Ziel, zum Erfolg kommen? Das wollen junge Menschen lernen, und sie wollen es vorgelebt bekommen. Denn durch nichts lernen junge Menschen so schnell und so effizient wie durch gute Vorbilder. Deshalb ist ein guter Ausbilder nicht nur in der Lage, technische Zusammenhänge, kaufmännische Zusammenhänge, sachlich gut zu vermitteln. Er ist auch in der Lage, ein Vorbild als Mensch zu sein. Mit seiner sozialen Kompetenz, mit seinen Umgangsformen, aber auch mit seiner emotionalen Intelligenz.
Den Ärger nutzen
Das heißt, mit der Art und Weise, wie er die Emotion, die Gefühlslage seines Gegenübers wahrnehmen und berücksichtigen kann, aber auch, wie er mit seiner eigenen emotionalen Gemengelage verantwortlich und erwachsen umgehen kann. Ich bin überzeugt, von einem Ausbilder, der sich verbiegt und seinen Ärger um keinen Preis zeigen will, lernt ein Auszubildender das Falsche: dass er sich verbiegen muss. Von einem Ausbilder aber, der klar und verantwortlich zu seinem Gefühl Ärger steht und es auch benennen kann, lernt ein Auszubildender, dass es ok ist auszurücken, was in ihm vorgeht. Und was mindestens genauso wichtig ist: Er lernt, die Qualitäten dieses Gefühls zu nutzen.
Die Qualitäten des Ärgers
Qualitäten des Ärgers? Das mag für manche, die mit diesem Gefühl auf Kriegsfuß stehen, wunderlich klingen. Tatsächlich aber, ist es relativ simpel. Ärger ist das Gefühl, das mir hilft, einen Unterschied zu machen. Es hilft mir zu unterscheiden zwischen Dingen, die ich nicht möchte, und Dingen, die ich möchte. In der Folge hilft mir Ärger auch, eine Grenze zu setzen. Zu anderen Menschen zu sagen: „Stopp! Ich möchte das nicht!“
Mit Ärger Grenzen setzen
Ärger ist das Gefühl, das mich befähigt, anderen Menschen, oder auch mir selbst, eine Grenze zu setzen. Zum Beispiel, wenn ich mir die Frage stelle: „Hach, bleibe ich jetzt noch länger im Bett liegen und mache heute vielleicht blau?“ In dem Fall kann ich meinen Ärger nutzen und meinem inneren Schweinehund eine Grenze setzen: „Stopp! Ich habe mich verpflichtet, pünktlich und zuverlässig zur Arbeit zu gehen. Das mache ich jetzt!“ Dazu brauche ich eine kleine Menge dieses Gefühls Ärger. Ärger hilft mir auch, Dinge klar zu benennen. Klartext zu reden. Und genau das ist es, was sich viele Auszubildende von Ausbildern, die um den heißen Brei herumreden, wünschen.
Simon Junker: „Er soll schon sagen, klipp und klar, was man falsch gemacht hat. Aber auch wie man es das nächste Mal richtig machen kann, besser machen kann. Was man verändern muss.“
Klartext reden
Simon Junker, Azubi bei Bürkert in Ingelfingen, wünscht sich von seinem Ausbilder zweierlei. Erstens: Die Klarheit darüber, was er falsch gemacht hat. Und zweitens: Die gleiche Klarheit darüber, wie er es künftig richtig machen kann. Ein Ausbilder, der sich seinen Ärger verkneift, der sich verbiegt und drum herumredet, wird sich damit schwertun. Denn wer um den heißen Brei herumredet, findet nicht zur Klarheit. Und wer seinen Ärger vermeidet, ignoriert, unterdrückt, wird sich unglaublich schwertun, seinem Azubi Sachinformation zu liefern, die nicht von unterdrücktem Ärger gestört wird. Unterdrückter Ärger ist wie ein Störsignal im Funkverkehr, die Menschen nehmen ihn wahr. Möglicherweise unbewusst, aber sie nehmen ihn wahr. Und diese Wahrnehmung lenkt von der Sachinformation ab.
Entwicklung fördern
Ich behaupte, ein Ausbilder, der Klartext redet, seinen Ärger benennt, erreicht bei seinem Auszubildenden mehr. Denn Ausbildung bedeutet nicht nur Sachinformation liefern, sondern junge Menschen auch dazu anleiten, erwachsen zu werden. Erwachsen zu werden bedeutet, mit dem, was in einem vorgeht, verantwortlich umgehen zu können und Gefühle, wie den vielerorts ungeliebten Ärger, zum Positiven nutzen zu können. Für Klarheit, für Entscheidungen, für Selbstdisziplin und um Grenzen zu setzen. Unternehmen, die das berücksichtigen, praktizieren Ganzheitliche Ausbildung und sind, davon bin ich auch überzeugt, nebenbei deutlich attraktiver, wenn es für junge Leute darum geht, einen Ort zu suchen, der sie darin anleitet, erwachsen zu werden.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
Mehr dazu finden sie auf meiner Website www.greatgrowingup.com.
© Matthias Stolla, 2017