Generation Z will viel und ist schnell weg

Für Matthias Sutter ist der Fall klar: die Zahl der Bewerber um offene Stellen nimmt immer mehr ab, gleichzeitig werden ihre Ansprüche der Bewerber immer höher. Der Verhaltensökonom vom Max-Planck-Institut in Bonn, folgert daraus: Unternehmen, die sich diesen Ansprüchen anpassen, gewinnen den Krieg um Talente. Ich glaube, das ist zu kurz gedacht. Denn was diese Unternehmen gewinnen, sind vor allem Arbeitskräfte, die sich verhalten wie Plankton: Wenn es kritisch wird, sind sie weg. Denn: Generation Z will viel und ist schnell weg.

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Junge Bewerber wirken selbstbewusster als früher

Es tut sich etwas auf dem Arbeitsmarkt. Dass die Zahl der Bewerber insgesamt rückläufig ist, ist ein Problem. Aber es ist eben nicht DAS Problem. Schon seit ein paar Jahren berichten mir Ausbildungsleiter und Personaler, dass sich die jungen Bewerber heute anders verhalten als früher. Selbstbewusster seien sie. Gar nicht selten wirkt es so, als seien die Rollen inzwischen vertauscht. Nicht die Bewerber dienen sich dem Unternehmen an, vielmehr bewerben sich die Unternehmen inzwischen um die Stellensuchenden.

In der Arbeitswelt tobt der Krieg um Talente

In der Arbeitswelt tobt längst der War for Talents, der der Krieg um Talente. „Die Zeit“ hat in ihrer Ausgabe vom 8. Dezember2022 von mehreren Seiten beleuchtet: aus der Sicht von Unternehmen, aber eben auch aus der von jungen Bewerbern. Manche der dort zitierten Aussagen lassen tief blicken – um einiges tiefer als das mitunter nur oberflächliche Selbstbewusstsein junger Menschen vermuten lässt.

Wie Unternehmen junge Talente bei Laune halten

In dem Artikel geht es um einen Schornsteinfeger, der Auszubildenden für jeden Tag, an dem sie pünktlich erscheinen, eine Prämie verspricht. Um Unternehmen, die ihre Belegschaft mit Yoga und Massagen verwöhnen. Um einen Malermeister, der seine Mitarbeiter mit einer Kreuzfahrt bei Laune hält. Und um die beiden Generationen Y und Z, als die Mitte-20- bis Mitte-30-Jährigen sowie die Bis-Mitte-20-Jährigen.

Krieg ums Plankton  - Generation Z ändert die Regeln

Ein Berliner PR-Unternehmer hat für die Generation Z einen Namen, den ich interessant finde: Er nennt sie Generation Plankton. Plankton sind Kleinlebewesen, die im Meer schweben. Sie kommen nahezu ohne eigenen Antrieb voran und betreiben Fotosynthese. Was sie zum Leben brauchen, Wasser und Licht, fällt ihnen buchstäblich in den Schoß.

Ein falsches Wort, und sie sind weg

Der Berliner Unternehmer fasst das so zusammen: Sie „schweben immer oben, müssen niemals angreifen. Aber wehe, es gibt mal ein Nein, ein scharfes Wort, einen scharfen Blick, dann sind sie sofort weg.“ So wie Plankton eben.  Wenn das so stimmt, stellt sich vielen Unternehmen früher oder später die Frage: Wer erledigt dann noch die Arbeit?

Die Ausgangslage

Generation Z will viel und ist schnell weg.
Die Fähigkeit, auch scheinbar negative Gefühle auszuhalten, fehlt vielen jungen Menschen. Foto: pixabay/Alexandra_Koch
  1. Es gibt tatsächlich immer weniger Menschen, die Jobs suchen. Da spielt die Demografie den Bewerbern in die Hände, denn sie wissen längst, dass es ganze Branchen gibt, die beinahe jeden nehmen, der sich bewirbt. Solche Aussagen höre ich unter anderem aus dem Speditions- und aus dem Baugewerbe immer wieder.
  2. Soziale Netzwerke und Recruiter suchen permanent Bewerber und erzählen jedem, der es hören will, wie unglaublich kompetent er sei. Mitunter wohl auch zu oft.
  3. Über soziale Netzwerke wie Linkedin oder Tiktok haben Bewerber deutlich mehr Vergleichsmöglichkeiten als frühere Generationen: Sie wissen um ihren Marktwert und darum, was ihnen in anderen Unternehmen geboten wird.
  4. Das Thema Verdienst steht nicht mehr ganz oben auf der Wunschliste vieler Bewerber. Die meisten legen mehr Wert auf ein „gutes Betriebsklima“. Das ist ein entscheidender Punkt, und es lohnt sich ihn genauer zu betrachten.

Was die Unternehmer sagen

Claudia Triskatis, Personalchefin beim Pharmakonzern Johnson & Johnson, stellt fest: „Alle paar Tage kommt ein Recruiter um die Ecke und erzählt einem, wie großartig man sei. Das höre ich in meinem Umfeld ständig. Es wird einem gespiegelt: Du könntest überall anfangen, du bist begehrt, du musst dir gar nichts bieten lassen.“

Ständige Anerkennung sorgt für hohe Ansprüche

Die ständige Versorgung mit Anerkennung, egal ob gerechtfertigt oder nicht, hat zur Folge, dass viele junge Arbeitnehmer heute sehr selbstbewusst auftreten. Mit wirklichem Selbstbewusstsein hat das nur wenig zu tun. Eher schon mit einer kaum gerechtfertigten Anspruchshaltung. Doch dazu später mehr.

Keine Angst vor Arbeitslosigkeit

Markus Heinen vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen EY sagt: „Die Angst, als junger Mensch keinen Job zu bekommen, arbeitslos zu sein – die beobachten wir bei denjenigen, die sich uns vorstellen, gar nicht mehr.“ Für die Bewerber mag das angenehm und vorteilhaft sein. Für ihr Verhalten nicht immer: die Motivation, sich anzustrengen, sich von seiner besten Seite zu zeigen, ist nicht mehr vorhanden.

Vorne herum so, hintenrum so

Klaus Hansen, Partner bei der Personalberatungsagentur Odgers Berndtson, hat bemerkt, dass das Thema unterschiedlich bewertet wird: „Auf LinkedIn tun

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Manchmal nervt das Gerede von der Work-Life-Balance einfach. Foto: pixabay/wal_172619

alle so, als ob sie den Wandel toll finden, das selbstbewusste Auftreten der Jüngeren, das Gerede von der Work-Life-Balance. Insgesamt aber hört man: Ich kann das Gerede nicht mehr hören. Wir mussten doch auch leiden, und die sollen jetzt alles geschenkt bekommen?“ Das sagen mir vor allem ältere Mitarbeiter.

Die Kluft zwischen Alt und Jung wird größer

Die Äußerung von Klaus Hansen ist in zweifacher Hinsicht bemerkenswert: Zum einen deutet sie die sich auftuende Kluft zwischen älteren Mitarbeitern und Vertretern der Generation Plankton an. Zum anderen zeigt sich darin aber auch, dass Unternehmen oft das nötige Selbstbewusstsein fehlt, um angemessen auf den Wandel zu reagieren: Nach außen gibt man sich aufgeschlossen und begrüßt die Veränderung, tatsächlich aber sind viele Unternehmen angesichts der Anspruchshaltung von jungen Mitarbeitern einfach nur genervt.

Die Schattenseiten des Wandels

Schade nur, dass sich nur wenige Unternehmer dieses Genervt-Sein auch zugestehen. Denn tatsächlich hat der Wandel auch seine Schattenseiten, und wer die ignoriert, wird mit ihren Auswirkungen leben müssen. Deshalb mag es zwar stimmen, was Matthias Sutter, Verhaltensökonom am Max-Planck-Institut in Bonn, sagt: „Wer sich schneller anpasst, wird den Kampf um die raren Arbeitskräfte gewinnen.“

Wer nie kämpfen musste, wird einfach gehen

Wer sich den Ansprüchen anpasst, wird allerdings auch mit ihrer Anspruchshaltung leben müssen. Und mit etwas, das sich auf Dauer mindestens ebenso nachteilig auswirken wird: einer gering ausgeprägten Resilienz gegenüber Herausforderung auf allen Ebenen – fachlich ebenso wie emotional. Wer nie kämpfen musste, wird, wenn es hart wird, einfach gehen. Einfach weil es genug Möglichkeiten und wenig Wettbewerber gibt.

Die Zahl der Arbeitnehmer sinkt

Und genau diese Situation wird sich weiter zuspitzen. Im Sommer 2022 gaben bei einer Umfrage des IFO-Instituts 47,9 Prozent der Unternehmen an, sie könnten nur eingeschränkt arbeiten, weil sie zu wenig Fachkräfte fänden. Längst nicht alle Menschen, die demnächst in Rente gehen, werden durch Nachwuchs ersetzt. Die Zahl der Arbeitnehmer in Deutschland wird in den nächsten zehn Jahren von 47 auf 42 Millionen sinken, sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Für Arbeitnehmer ist das eine günstige   Ausgangslage, sagt Enzo Weber vom IAB. Ich würde sagen: Sie ist vor allem bequem.

Was Arbeitgeber so alles erleben

Im Artikel in der „Zeit“ schildern Personaler und Arbeitgeber Situationen, die in vielen Unternehmen inzwischen zum Erfahrungsschatz gehören.

  • Ein 20-jähriger Bewerber, der im Vorstellungsgespräch erst einmal hören will, was das Unternehmen zu bieten habe.
  • Junge Talente, die deutlich mehr Gehalt fordern, einfach weil das der Marktpreis sei, über den sie via LinkedIn genau Bescheid wüssten.
  • Ein Mitarbeiter, der einen Stellplatz vor seiner Wohnung einfordert, weil er viel im Homeoffice arbeiten müsse. Ein Kollege, der aus demselben Grund verlangte, das Kantinenessen solle ihm per Kurier nach Hause geliefert werden.
  • Bewerber, die einfach nicht zum Vorstellungsgespräch erscheinen beziehungsweise eine Woche vor Arbeitsbeginn per E-Mail absagen. Tschüss.

Plankton will immer oben schwimmen

Der Personalberater Heiner Thorborg bemerkt dazu: „Man merkt, dass die heute 21-Jährigen in eine Welt geboren wurden, in denen es ihnen an nichts mangelt.“

So wie Plankton immer oben schwebt wollen viele neue Mitarbeiter gleich einen Platz in der ersten Reihe. Vor allem für ältere Mitarbeiter sei das entsetzlich, sagt der Soziologe Klaus Hurrlemann. Das scheinbar starke Selbstbewusstsein vieler junger Mitarbeiter sei eine Folge ihrer Prägung, sagt er: Viele Jüngere hätten Eltern, die alles interessant fänden, was ihre Kinder tun.

Wenn die Kompetenz fehlt, wird es kritisch

Generation Z will viel und ist schnell weg.
Selbstewusstsein entsteht aus Erfahrungen mit Herausforderungen. Foto: pixabay/Angelo Esslinger

Kritisch würde es, wenn das vermeintliche Selbstvertrauen eben nicht auf Kompetenz basiere, erklärt Hurrlemann: Dann fehle es vielen Jüngeren am Durchhaltewillen, an Biss. Einfach weil sie das nie lernen mussten. Ich finde, genau darin liegt der Unterschied zwischen tatsächlichem Selbstbewusstsein einerseits und hohen Ansprüchen andererseits: Wer wirklich selbstbewusst ist, kann Herausforderungen begegnen. Das lernen Menschen, indem sie Herausforderungen annehmen und daran wachsen. Wer das nie gelernt hat, entwickelt allenfalls hohe Ansprüche und überlässt die Herausforderungen lieber anderen.

Wie sich Haltung auf Verhalten auswirkt

Aus dieser Anspruchshaltung erklären sich folgende Verhaltensweisen:

  • Ein Anfang-20jähriger Angestellter einer großen Beratungsfirma, soll die Vorstandsunterlagen bis zum Abend fertigstellen. Er lehnt ab, weil er lieber zum Sport will.
  • Der junge Mitarbeiter eines großen Unternehmens wird zum Senior-Leader-Meeting in Paris eingeladen. Er lehnt ab, weil er dafür ja bereits am Sonntag anreisen müsste. Und Sonntag ist schließlich arbeitsfrei.

Was junge Arbeitnehmer dazu sagen

  • Lisa Eppel, Kundenbetreuerin in der Werbebranche: „Wenn sich junge Menschen meiner Generation mit ihrem Gehalt weniger Wohlstand aufbauen können, ist es doch klar, dass wir andere Gegenwerte fordern: Selbstverwirklichung, Sinn, Work-Life-Balance.“

Alles gut und richtig, aber die Frage bleibt: Wer macht die Arbeit, wer stellt sich Herausforderungen, die früher oder später unweigerlich kommen werden?

  • Sebastian Becker vom Venture-Capital-Investor Redalpine: „Bezahlung ist in unserer Generation, in der viele niemals Geldnot hatten, nicht ausschlaggebend.“

Generation Z will viel und ist schnell weg

Vielen jungen Menschen ist das Betriebsklima inzwischen wichtiger. Nochmal Lisa Eppel: „Ist das Klima toxisch, bin ich sofort weg.“ Das klingt gesund, denn niemand sollte sich einem giftigen, ungesunden Klima aussetzen. Und es ist gut, wenn Unternehmen auf ihr Betriebsklima achten.

Aber was bedeutet toxisch in diesem Zusammenhang? Ich glaube, gar nicht selten muss die Vokabel einfach für alles herhalten, was Mitarbeiter als unbequem empfinden: Kritik, Herausforderung, Konflikt und andere Dinge, die im Drehbuch des Lebens ihren Platz haben.

Eine Folge: Bedeutung der Soft Skills nimmt zu

Generation Z will viel und ist schnell weg
Soft Skills werden immer wichtiger für Führungskräfte. Manche werden zu soft. Foto: pixabay/Gerd Altmann

Mir stellt sich dennoch immer wieder die eine Frage: Zielen die Maßnahmen in die gewünschte Richtung? In vielen Unternehmen beobachte ich, dass die sogenannten Soft Skills immer mehr an Bedeutung gewinnen. Das ist zunächst einmal großartig, denn soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz werden gerade im Umgang mit immer anspruchsvolleren Mitarbeitern immer wichtiger. Folglich tun Unternehmen gut daran, wenn sie gerade ihre Führungskräfte schulen und trainieren. Oft geht es dabei um Werte wie Respekt, Integrität, Zuverlässigkeit und andere, die viele Leitbilder schmücken.

Noch eine Folge: hilflose Führungskräfte

Mir begegnen immer mehr Führungskräfte und Mitarbeiter, die sich darin trainieren, empathisch zu sein, zuhören und motivieren zu können. Ich finde des großartig. Aber mindestens genauso oft begegnen mir verzweifelte Personaler und Führungskräfte, die sich nicht mehr erlauben, kritisches Feedback zu geben oder Klartext zu reden. Aus Angst davor, dass das Plankton sofort verschwindet.

Klimawandel in Unternehmen - Was es wirklich braucht

Es geht also tatsächlich nicht nur darum, ein angenehmes Betriebsklima zu erschaffen, in dem sich alle immer wohlfühlen. Das ist schlichtweg nicht möglich. Und es wäre auch nicht gut, weil es Mitarbeiter in einer Illusion gefangen hält: einem Leben ohne Herausforderungen. Das ist so nicht vorgesehen. Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, brauchen wetterfeste Mitarbeiter, denn auch im angenehmsten Klima gibt es hin und wieder Unwetter. Und kein Unternehmen kann auf Dauer bestehen, wenn sich seine ach so schwer erkämpften Mitarbeiter schon bei Nieselregen vom Acker machen.

Training macht Mitarbeiter wetterfest

Deshalb sind Trainings wie CARE so wichtig, in denen Mitarbeiter lernen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen ihrem Verhalten einerseits, und ihrer Akzeptanz gegenüber unbequemen Emotionen wie Angst, Ärger oder Trauer, die immer auftauchen,  wen wir Herausforderungen begegnen.

Warnung vor unbequemen Emotionen

Dazu fällt mir die Kolumne des von mir sehr geschätzten Harald Martenstein im Zeit Magazin vom 29. Dezember 2022 ein. Er beschreibt, dass britische Universitäten ihre Studenten inzwischen vor Werken der Weltliteratur warnen, wenn diese sie „emotional triggern“ könnten. Ein Roman über Sklavenhaltung in den Südstaaten der USA etwa sei gefährlich, weil darin Grausamkeiten gegenüber Sklaven geschildert würden. Genau die sind nun mal das Thema des Romans.

Die Studenten wollen nicht mit Gefühlen wie Angst, Ärger oder Traurigkeit konfrontiert werden. Sie machen ihnen Angst.

Herausforderung trainiert Lebensfähigkeit

Aber wie wollen sie dem Leben und seinen Herausforderungen begegnen, wenn Sie Angst, Ärger und Traurigkeit nicht aushalten wollen und können?

Wie wollen sie jemals wetterfest werden, wenn Sie immer nur im emotionalen Wellness-Klima verharren wollen?

Worauf es ankommt - Ambiguität aushalten

Harald Martenstein liegt richtig, wenn er folgert, vielen dieser Menschen werde es an Empathie fehlen. Wer selbst nichts fühlen will, wird sich auch nicht in die emotionale Befindlichkeit seines Gegenübers einfühlen wollen.

Wer nie gelernt hat Ambiguität – Meinungsverschiedenheiten, nicht erfüllte Bedürfnisse, ungelöste Konflikte – auszuhalten, wird immer wollen, dass andere ihm ein angenehmes Klima erschaffen, indem sie alles aus dem Weg schaffen, was stört: Herausforderung, Anstrengung, Verbindlichkeit, Klartext, Kritik, Widerspruch, Unbequemlichkeiten aller Art. Und wenn das nicht geschieht, ist das im Krieg um Talente so mühsam erkämpfte Plankton ganz schnell wieder weg.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2023