Wie schaffe ich es als Führungskraft, Mitarbeiter bei Veränderungen nicht nur mitzunehmen, sondern sie beispielsweise für Fusionen oder für die Einführung neuer Strukturen und Produkte zu begeistern? Grundsätzlich gibt es zwei Wege, mit so einschneidenden Zäsuren, die große Veränderungen mit sich bringen, umzugehen. Beide zeigen, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt.
Einer davon ist sehr bequem, der andere führt zum Ziel. Ich will versuchen, beide vorzustellen. Karin Weinrich hat mir dazu schlaue Fragen gestellt und ich habe versucht, einigermaßen schlau darauf zu antworten.
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Fusionen machen Angst
Karin Weyrich: Viele Firmen tun sich zusammen, fusionieren. Hattest du so etwas auch schon, dass zwei verschiedene Firmen fusionieren, und es gibt dann ganz viele Ängste bei den Mitarbeitern. Wer fliegt raus? Welche Produktpalette bleibt? Welche wird abgesetzter? Oder welche Dienstleistung? Hattest du so was schon? Ist das ein richtig dynamischer Kram, so eine Fusionierung?
Matthias Stolla: Also eine heiße Fusionierung, wo es um sowas ging, hatte ich noch nicht. Aber ich arbeite mit einem Unternehmen zusammen, das aus einer Fusion entstanden ist. Und das sind Produktionsstandorte in Bayern und in den Niederlanden und in Belgien. Und da geht es schon darum, wie begegnet man sich? Wie begegnen sich die Belgier und die Holländer und die Deutschen? Die sind eher die Senior-Partner, die Belegschaften in den Benelux-Ländern begreifen sich eher als Juniorpartner.
Das sind sie auch, was die Personalstärke anbelangt. Die wollen natürlich nicht unter die Räder kommen. Da ist es besonders wichtig, zu wissen, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt
Mentalität macht den Unterschied
Und dann gibt es unterschiedliche Mentalitäten. Die Holländer gehen mit Hierarchie ganz anders um als wir Deutsche. Zu mir hat erst neulich an der Geschäftsführer vom Unternehmenssitz in den Niederlanden gesagt: Für uns Holländer ist Wahrheit wichtiger als Hierarchie.
Da sind wir Deutsche vielleicht noch nicht so weit, weil wir einfach eine andere Tradition, eine andere Geschichte haben. Ich erlebe das schon in Unternehmen, dass viele Menschen, wenn sie in der Hierarchie weiter unten angesiedelt sind, viel schlucken. Viel Ärger schlucken und keine Widerworte machen und ja. Wenn ich jetzt den Mund aufmache, krieg ich vielleicht noch mehr Ärger. Ich werde wirklich gebucht, um diesen Mitarbeitern den Mund zu öffnen. Weil Unternehmen wissen wollen, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt.
Umgang mit Hierarchie
Bei den den Holländern, den Belgiern und den Deutschen, da geht es einfach auch darum an, dass sie lernen, gegenseitig in ihren Ängsten mit ihren Ängsten zu begegnen. Aber auch darum, dass die Holländer ein bisschen begreifen, dass man einen deutschen CEO vielleicht nicht gleich mit der schlimmsten Frage zu Beginn konfrontiert.
Die Deutschen wiederum dürfen schon auch von den Holländern ein bisschen lernen, dass nicht alles immer so strikt nach Hackordnung gehen muss. Und es ist sehr spannend, so einen Prozess zu begleiten, Das macht schon sehr viel Spaß, und da lerne ich auch sehr viel.
Struktur und Veränderung
Karin Weyrich: Hattest du auch schon mal, dass eine Firma ein neues Produkt hinzunehmen will? Die Mitarbeiter fürchten sich vor dieser neuen Dienstleistung oder vor dem neuen Produkt. Hattest du so eine Situation schon?
Matthias Stolla: Also nicht direkt ein neues Produkt, aber wenn es um strukturelle Veränderungen geht in Unternehmen. Das erlebe ich schon sehr oft, immer wieder. Wenn zwei Abteilungen zusammengelegt werden, da ist ja die Hölle los. Das ist ja fast noch schlimmer als ein EDV-Update, davor haben ja auch alle Angst. Mit Recht übrigens. Das geht ja auch meistens schief.
Wie ist die Hackordnung?
Das Zusammenlegen von Abteilungen zu begleiten. Das mache ich auch. Das ist auch ein sehr spannender Prozess, weil da natürlich Menschen aufeinander stoßen, die noch nicht als Abteilung miteinander mehr oder weniger gut funktioniert haben. Da scannt erst einmal jeder jeden ab: Wie ist denn bei denen die Hackordnung, und wo stell ich mich da dazwischen? Wo gehöre ich hin?
Das sind alles Prozesse, die laufen normalerweise eher unbewusst und im Verborgenen. Gerade auch, wenn man nicht weiß, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt. Mich bucht man, um diese Prozesse bewusst zu gestalten, damit keiner zu kurz kommt, aber damit auch keiner irgendwo landet in einer Hierarchie, wo er nichts zu suchen hat, wo er nicht hingehört, weil er da nicht hinpasst.
Wenn Arbeit krank macht
Karin Weyrich: Das hört sich gut an, denn da wissen manche Firmen wirklich nicht, wie sie damit umgehen sollen. Damit nicht alle krank werden, weil sie so viel Angst haben. Es gibt ja auch Firmen, in denen entweder eine hohe Fluktuation herrscht, oder es sind viele Leute krank. Hast du da auch Ansätze, wenn jetzt viele nie da sind, und die Geschäftsleitung oder die die Verantwortlichen wissen nicht, was sie da machen können? Hast du da Ideen?
Matthias Stolla: Es beginnt und endet immer mit dem Wort Verantwortung. Wenn ein Unternehmen feststellt, wir haben einen überdurchschnittlich hohen Krankenstand, dann gibt es im Prinzip zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Eine eher unbewusste oder unverantwortliche. Das wäre dann zu sagen: Naja, das ist halt eine faule Bande, die haben keinen Bock.
Wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt - mit Verantwortung
Oder ich frage mich als Unternehmensleitung: Was ist denn eigentlich mein Anteil an der Geschichte? Diese Frage ist immer unbequem. Die ist im privaten Kontext, wenn ich einen Konflikt mit der Ehefrau oder mit einem Freund oder mit der Verwandtschaft ist. Dann ist diese Frage genauso unbequem wie im Unternehmen. Blöd nur, im Unternehmen kostet sie deutlich mehr Geld in der Regel.
Wenn ich mir diese Frage stelle: Wie kann es denn sein, dass so viele Mitarbeiter krank machen? Überdurchschnittlich viel. Dann wäre es doch mal interessant, mit Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Wenn das aber schon der Fall ist, dieser hohe Krankenstand, dann kann ich nicht einfach davon ausgehen, dass so ein Mitarbeiter auf eine E-Mail offen und ehrlich antwortet. Oder der Chef fragt in der Betriebsversammlung: So Leute, jetzt möchte ich mal wissen, warum seid ihr hier so oft krank. Hallo?
Warum keiner den Mund aufmacht
Was werden denn die Mitarbeiter sagen? Weil du dich immer wie ein Arsch verhältst? Das wird kein Mensch sagen. Weil sie hier null Wertschätzung gibt, wird auch keiner sagen. Weil hier eine Mobbing-Kultur herrscht? Oder weil wir hier ausgebeutet werden? Weil es kein Miteinander gibt, sondern nur ein Gegeneinander? Das wird kaum einer sagen. Vielleicht extrem mutige Ausnahmen,
Das Gros der Mitarbeiter wird sich doch erst dann äußern, wenn es merkt, Hoppla, hier wird mir zugehört und ich kann auch mal sagen, was mir stinkt, ohne dass ich davon ausgehen muss, dass ich es büßen muss. Und dann kommen wir wieder an den Punkt, über den wir grad vorhin schon mal gesprochen haben. Dann sollte so eine Führungsperson erst mal lernen, wie geht dienendes Zuhören, erwachsenes Zuhören. Nämlich ohne Rechtfertigungen, ohne Erklärungen. Das braucht sie, wenn sie lernen will, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt
Wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt - mit schlauen Fragen
Wenn ich von meinen Mitarbeitern wirklich wissen will, was fehlt euch denn? Dann gibt es etwas viel schlaueres als zu fragen: Warum seid ihr so oft krank? Viel schlauer wäre es zu sagen: Leute, ich bin echt interessiert. Wie geht es euch? Lasst mich mal wissen, was euch gefällt. Aber vor allem auch, was euch nicht gefällt. Wenn dann der Mitarbeiter sagt Mir stinkt es, dass hier so viel gemobbt wird und das erste, was mir einfällt, ist, das kann ja gar nicht sein. Also da übertreibst du, das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Oder sag mir mal, wer das ist, dann gebe dem gleich mal eins auf die Mütze. Dann kann ich es mir schenken. Es geht tatsächlich darum, die Mitarbeiter quatschen zu lassen. Das ist wichtig, um zu lernen, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt
Mutige Azubis
Ich war mal bei einer Firma bei einem Logistikunternehmen in Nürnberg. Da war irre schlechte Stimmung unter den Azubis. Die Schulung fand statt im Firmengebäude. Das waren alles 15- bis 16-jährige angehende Berufskraftfahrer, Lagerleute, Logistikleute, die ja in der Regel nicht den höchsten Bildungsabschluss haben. Das müssen wir ganz ehrlich sagen, die auch oft nicht die Traute haben zu sagen, so jetzt rede ich hier mal darüber, wie es mir geht.
Es hat mich viel gekostet und es hat lange gedauert, sie dazu zu bringen, dass sie den Mund aufmachen. Und irgendwann habe ich ihn vorgeschlagen: Also, wir sind hier bei euch in ihren Unternehmen. Wir machen jetzt für eine Viertelstunde Pause. Ich latsche rüber zur Ausbildungsabteilung. Ich hole eure Ausbildungsleiterin. Die setzen wir sie in den Raum an die Stirnseite. Alles, was sie zu tun hat, ist zuzuhören. Und jeder von euch, der den Mut hat, dorthin zu stehen und zu sagen, was ihm stinkt, latscht vor und tut es.
Ängste, die Wachstum blockieren
Heillose Panik im Raum! Oh Gott, nein, das tun wir nicht, das machen wir nicht. Da fliege ich raus! Da verliere ich meinen Job! Ich habe Ihnen hoch und heilig versprochen, dass das nicht passieren wird. ich habe mir die Ausbildungsleiter Regel geholt und habe sie gefragt, ob sie mein Versprechen mit unterschreibt. Und das hat sie getan. Und dann saß die da vorne und du kannst dir nicht vorstellen, wie berührend es war, ich sage es jetzt mal einfach ungeschönt, so einem verschüchterten, schlaksigen, 16-jährigen jungen Kerl zu sehen, wie er heftig atmend da vormarschiert, sich auf diesen Stuhl setzt und sagt: "Ich möchte etwas sagen, das mir nicht gefällt." Seinen ganzen verdammten Mut zusammennimmt und das tut. Das war wirklich unglaublich. Das zeigt, wie man Mitarbeiter für Veränderung gewinnt.
Mut, der Wachstum ermöglicht
Ein Teil von diesen Azubis schreibt mir heute noch immer wieder mal. Die sagen: "Das hat so viel für mich verändert. Seither habe ich nicht mehr das Gefühl, ich bin der letzte Arsch, der alles machen muss und jeden Scheiß schlucken muss. Sondern ich bin es wert, für mich hinzustehen. Und ich darf auch sagen: Leute, jetzt es mal genug." Und das darf man.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
© Matthias Stolla, Great Growing Up, 2021