Viele Unternehmer schauen neidvoll nach Osten. Die Volkswirtschaften dort erscheinen ihnen schlagkräftiger. Weil das Menschenbild ein anderes ist: Vor allem in Fernost hat das Kollektiv mehr Stellenwert als das Individuum. Mitarbeiter dort, sind eher bereit, sich als Teil eines großen Ganzen zu betrachten, verzichten eher auf Rechte, Freiheiten und Freizeit als ihre Kollegen im Westen. Dagegen erscheinen wir im Westen oft weniger leistungsbereit. Aber ist das wirklich so? Der Westen tut gut daran, sich auf seine Stärken zu besinnen: auf unser Menschenbild, das mehr auf Individualität und auf die speziellen Stärken des Einzelnen setzt. Das Potenzial steckt in der Vielfalt der Mitarbeiter. Das gilt es zu entfalten und zu nutzen.
Diesen Beitrag lieber als Podcast hören? Bitteschön!
Das Potenzial in der Vielfalt erkennen
Nach einem Training hat mir ein Teilnehmer eine interessante Frage gestellt: „Funktioniert dein Training eigentlich in allen Kulturen?“ Ich hätte nur zu gerne mit einem klaren Ja geantwortet, aber ich bin überzeugt davon, dass das nicht stimmen würde.
Das CARE Training bietet Menschen grandiose Möglichkeiten, ihr individuelles Potenzial zu entfalten. Das funktioniert in Trainings mit Teams ebenso wie in Trainings mit vermischten Teilnehmern. Der Kontext basiert darauf, dass Menschen lernen, sich selbst in ihrer ureigenen Individualität zu akzeptieren. Und nichts ist individueller als Emotionalität. In simplen Worten: CARE trainiert Menschen darin, ihre Emotionalität bewusst wahrzunehmen, sie klar und verantwortlich auszudrücken und – das Wichtigste – die damit verbundenen Qualitäten zu nutzen. Das Potenzial steckt in der Vielfalt.
Wo Gesichtswahrung unverzichtbar ist
Können Sie sich einen Chinesen, Japaner oder Koreaner vorstellen, der daran interessiert ist, seine Emotionen gegenüber Mitarbeitern und Kollegen klar
auszudrücken? Ich auch nicht. Die Kultur in Ostasien ist eine andere. Die Menschen dort achten darauf, „ihr Gesicht nicht zu verlieren“. Und sie verstehen sich als Teil eines Kollektivs. Individualität hat in Fernost einen deutlich geringeren Stellenwert als hier bei uns.
Das Menschenbild im Westen ist deutlich mehr von Individualität geprägt. Wir wollen uns nicht einem gleichmacherischen Kollektiv unterordnen. Wir schätzen unsere Individualität als Wert an sich. Wir betonen gerne, dass wir ganz individuelle persönliche Charakterzüge und Vorlieben haben. Und das ist unser Vorteil: Das Potenzial steckt in der Vielfalt der Mitarbeiter.
Weniger Freiheit, mehr Unterordnung
In Ostasien ist vieles anders. Die Bereitschaft, sich im Kollektiv ein-, nötigenfalls sogar unterzuzuordnen ist generell größer. Der Wunsch nach persönlicher Freiheit ist dagegen weniger stark ausgeprägt, die Zahl der Urlaubstage oft deutlich geringer als hier im Westen.
Nicht wenige Menschen haben daher Angst um unseren dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg auf dem globalen Markt. Laufen uns die Ostasiaten mit ihrer Disziplin, ihrem Korpsgeist und ihrer mitunter emotionsfreien Funktionalität am Ende den Rang ab?
Der Unterschied liegt im Menschenbild
Ich denke, genau das werden sie tun, wenn wir uns nicht auf den Kern unserer Kultur besinnen. Das Menschenbild im Westen ist stark geprägt vom Humanismus, also vom Menschenbild der griechisch-römischen Antike. Das Denken und Handeln legt Wert auf die Würde des Einzelnen, auf Menschlichkeit und auf individuelle Potenziale. Und genau darin liegt unsere Stärke. Das Potenzial steckt in der Vielfalt der Mitarbeiter.
Ungenutzte Stärken nutzen
Diese Stärke nutzen wir leider viel zu selten. Tatsächlich verstehen wir sie oft als Schwäche gegenüber den vermeintlich leistungsstärkeren Kollektiven im Osten.
Das ist ein Fehler.
Wenn Potenziale zusammenwirken
Die Stärke des Ostens speist sich aus der Effizienz der Masse. Die Stärke des Westens liegt in der Vielfalt der individuellen Potenziale und in der Synergie ihres Zusammenwirkens begründet. In einem wahrhaftigen Team trägt jeder Einzelne trägt mit seiner individuellen Kreativität, seinen Impulsen und seiner Persönlichkeit dazu bei, Herausforderungen zu meistern. Das Potenzial steckt in der Vielfalt der Mitarbeiter.
CARE entfaltet individuelle Potenziale
Das funktioniert allerdings nur, wenn wir es uns erlauben, diese Potenziale wahrzunehmen und zu nutzen. Und genau da kommt das CARE Training ins Spiel. Und das funktioniert so:
Susanne hat CARE for Teams gebucht. Das Training dauert zweieinhalb Tage und hilft Teilnehmern dabei, ihr individuelles Potenzial als unverzichtbare Komponente eines Teams zu erkennen und zu entfalten. Sie lernen, sich selbst und gegenseitig mit Akzeptanz zu begegnen. In Susannes Team war genau das zuvor nicht der Fall: „Wir haben so viele unterschwellige Konflikte, die behindern unsere Zusammenarbeit“, hatte sie vor dem Training erklärt, „keiner spricht an, was wirklich Sache ist“.
Emotionen, die keiner ansprechen will
Im Training zeigt sich, dass viel emotionaler Druck im Raum ist. Nur will den niemand ansprechen. Susanne erwartet Leistung, wirkt ungeduldig und ärgerlich, Ute zieht sich zurück, Vanessa ist erkennbar den Tränen nahe, Werner wirkt zunächst unbeteiligt, Maximilian bleibt zynisch und überheblich, und Sven will von Gefühlen gar nichts wissen.
Jeder macht sein Ding, keiner ist begeistert oder mit Leidenschaft bei der Sache, und keiner fühlt sich wirklich wohl in diesem Team, das allenfalls ein Pseudo-Team ist. Im Training erkennen das alle, denn jeder weiß, dass sich keiner zu tun traut, was nötig wäre: aussprechen, was in einem vorgeht. „Wir sind vorne herum freundlich, aber hintenrum zeigen wir uns den Finger“, sagt Susanne.
Wenn Menschen gar nichts fühlen wollen
Sven stellt klar: „Ich will bei der Arbeit gar nichts fühlen, weil ich diese Gefühle sonst mit nach Hause nehme. Deshalb ist es mir lieber, wenn mir die Leute hier… egal sind.“ Svens letzter Satz hallt im Trainingsraum nach und sorgt für einen kleinen Schock. Vanessa kommt ihren Tränen noch ein Stück näher, aber noch keiner will mitteilen, was er fühlt.
Klar, von uns wird nicht erwartet, dass wir unsere Kollegen heiraten oder lieben. Darum geht es auch nicht. Aber ist es gut für ein Team, wenn wir uns gegenseitig egal sind? Immerhin verbringen wir im Laufe einer Arbeitswoche oft mehr Zeit mit unseren Kollegen als mit unseren Familien.
Sven wirkt nachdenklich.
Werner ist der erste, der sich traut: „Das hier ist genau das, was wir als Team brauchen.“ Das überrascht alle, denn Werner hatte zuvor fast gar nichts gesagt. Sven folgt nach und lässt sich auf eine Übung ein: Susanne stellt sich einen Timer und wird ihn alle 30 Minuten fragen, was er fühlt. Sven wird dabei zwischen den vier Grundgefühlen Ärger, Trauer, Angst und Freude unterscheiden.
Was ein Team bremst und was es in Bewegung bringt
Im weiteren Verlauf des Trainings zeigt sich, welche Dynamik dafür sorgt, dass Susannes Team bislang nur ein Pseudo-Team ist. Aber zuerst kann Vanessa ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Alle kommen zu mir, heulen sich aus und schimpfen über die anderen“, schluchzt sie. Vanessa ist der Seelenmülleimer des Teams. Sie hört sich alles an, tröstet alle, die zu ihr kommen, und bleibt doch mit deren unerlösten Emotionen allein.
Warum Retter keine Konflikte lösen
Vanessa hat zunächst kein Interesse daran, ihre Verantwortlichkeit in diesem Drama anzuerkennen. Es dauert ein wenig, bis sie bereit ist. Vanessa ist die
Retterin im Team. Sie formuliert es drastischer: „Ich bin der Eimer, in den sich alle auskotzen.“ Aber sie hat auch einen Gewinn daraus: Vanessa wird als „die gute Zuhörerin“ wahrgenommen. Nur trägt sie eben auch dazu bei, dass das Team nicht zusammenwächst: Sie nimmt ihren Kollegen emotionalen Druck und verhindert so, dass sie ihre Konfliktpartner direkt ansprechen.
Als das klar ist, kommt Bewegung in die Sache.
Positiv denken allein hilft nicht
Vanessa ist ein sehr empathischer Mensch. Sie nimmt Anteil am Seelenschmerz ihrer Kollegen. Und sie macht sich Sorgen um die Zukunft ihres Teams. Im Kontext des CARE Trainings bedeutet das: Vanessa fühlt Angst. Ihre Freude am Job hat sie zuletzt kaum noch gespürt. Positiv denken allein hilft da nichts, Vanessa braucht etwas anderes: ihren Ärger. Allerdings weiß sie zunächst noch nicht wozu.
Abgrenzung ist gefragt
Ihren Ärger will Vanessa gar nicht spüren. Und doch ist es genau dieses Gefühl, das ihr Entscheidendes ermöglicht: Abgrenzung – vom Seelenschmerz ihrer
Kollegen und vor allem von ihrer Rolle als Seelenmülleimer. Sie wird eine gute Zuhörerin bleiben, aber sie wird künftig auch Grenzen setzen.
Werner ist begeistert: „Das brauchen wir alle.“ Der Senior des Teams wünscht sich ein Team ohne unterschwellige Konflikte: eines, in dem Offenheit und Verbundenheit mehr als nur Worte sind; ein vertrauensvolles und krisenfestes Team.
Aus dem Pseudo-Team wird ein Team
Seine Mitteilung bewirkt etwas bei Sven. Zunächst kann er nicht klar beantworten, was ihn Susanne wieder einmal fragt: „Was fühlst Du, Sven?“ Er weiß es nicht. Angst und Ärger schließt er diesmal aus, Freude vielleicht oder doch eher Trauer. Es ist eine Mischung: Sven ist berührt. Er erkennt, welche Veränderung emotionale Bewusstheit und Offenheit mit sich bringen. Das Pseudo-Team bewegt sich in Richtung Team. Sven erkennt, dass es seine alte Entscheidung, auf emotionaler Distanz zu bleiben, ihren Preis hatte: fehlender Zusammenhalt.
Coole Checker bleiben lieber auf Abstand
Sein Kollege Maximilian ist zurückhaltender. Er tarnt seine Angst vor der Nähe mit trockenen Sprüchen und theoretischen Erklärungen. Aber lässt es auch zu, sich dabei ertappen zu lassen. „Du bist mir ein paar Mal richtig auf den Sack gegangen“, wird er am Ende des zweiten Tages zum Trainer sagen, „aber du hast in allem Recht gehabt“. Maximilian hat verstanden, dass er sich nur entwickeln kann, wenn er nicht laufend den coolen Checker markiert.
Warum Nein sagen entscheidend ist
Ute ist eine ganz Liebe. Sie spielte im größten unterschwelligen Konflikt des Teams eine Schlüsselrolle: das Opfer. Abgrenzung und Nein sagen sind nicht ihre Stärken. Sie will auch die praktische Übung dazu nicht machen. Um ein Haar hätte sie gar nicht bemerkt, dass ihr Nein dazu klar und deutlich war: eine eindeutige Grenze. So eine hatte sie zuvor noch nie gezogen.
Warum Führungskräfte Angst haben müssen
Susanne, die Teamleiterin hat kein Problem damit, ihren Ärger zu äußern und zu nutzen. Die Frau spricht Klartext. Manchmal aber fehlt ihr die Angst davor, zu
hart zu sein. Angst ist das Gefühl, das sie am wenigsten mag. Im Training erfährt sie, dass Angst, wie alle Grundgefühle, zwei Seiten hat: eine destruktive, die uns lähmen und schwächen kann. Aber auch eine konstruktive, die uns achtsam und tatsächlich auch mutig machen kann.
Bewusst handelnde Menschen entfalten ihr Potenzial
Die Teamleiterin erkennt ihr Team am Ende des Trainings kaum wieder. Alle wollen eine Fortsetzung des Trainings. Susannes Resümee: „Ich sehe aktuell schon, wie die Kollegen die Inhalte umsetzen und ich hoffe, dass es auch langfristig den gewünschten Effekt bringt und wir alle wieder ein bisschen näher zusammenrücken 😊“. Das Potenzial steckt in der Vielfalt der Mitarbeiter. CARE wirkt, weil wahre Teams emotional bewusste Menschen brauchen, die ihr individuelles Potenzial entfalten. Für alles andere reichen funktionale Kollektive.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
© Matthias Stolla, Great Growing Up 2022