Motivation entscheidet über den Erfolg
Mitarbeiter motivieren ist eine zentrale Unternehmensaufgabe. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung wird sie immer entscheidender für den wirtschaftlichen Erfolg. Erstaunlicherweise geht das sogar mit einem Cocktail. Allerdings nur mit einem ganz bestimmten Cocktail, der zudem eine Droge beinhaltet, die unverzichtbar ist. Genau darum geht es hier in Teil sechs der Miniserie über Beziehungskompetenz.
Wenig beachtete Fähigkeit
Dieser Teil ist zugleich der zweite und letzte Teil des Interviews mit Wolfgang Neumann (der erste Teil ist hier zu finden). Der langjährige Schulleiter der Selma-Rosenfeld-Realschule in Eppingen lebt als Ruheständler in Schwaigern bei Heilbronn. Er ist ein aufmerksamer Beobachter des Schulwesens. Als ausgebildeter Coach nimmt er vor allem die Bildungspolitik unter die Lupe. Neumann fragt sich, warum das Thema Beziehungsfähigkeit trotz aller wissenschaftlichen Erkenntnisse immer noch eher wenig beachtet wird. Er sagt: Beziehung ist alles. Das gilt sowohl für die Beziehung Lehrer-Schüler als auch für die Beziehung Ausbilder/Azubi in der Wirtschaft. Diese Episode lieber als Podcast hören? Bitteschön: Motivation per Cocktail Der ehemalige Schulleiter freut sich darüber, dass die Bereiche Schule und Wirtschaft deutlich besser vernetzt sind als noch zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn.
Was Mitarbeiter brauchen
Wolfgang Neumann: „Heute besteht ein ganz großes Interesse zwischen den beiden. Das habe ich gestern wieder erfahren. Ich war mit Leuten aus der Wirtschaft, also den Bildungspartnern meiner früheren Schule zusammengesessen, und habe ihnen die Schule erklärt. Sie haben aus ihrer Sichtweise geschildert, was für die jungen Leute wichtig ist, damit ein Unternehmen sie einstellt. Das Ergebnis: Die Mitarbeiter sollen Selbstständigkeit, Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit mitbringen.“
Was Schulen vermitteln müssen
Selbständigkeit, Teamfähigkeit, Verantwortlichkeit, Zuverlässigkeit. Nicht anderes höre ich, wenn ich Ausbildungsleiter oder Personaler frage, was sie sich von ihren Nachwuchskräften am dringendsten wünschen. Neumann leitet daraus ein klares Anforderungsprofil für die Schulen ab: Sie müssen, sagt er, über die herkömmlichen Lehrinhalte hinaus etwas vermitteln, was bislang viel zu kurz kommt: das Wissen und die Fertigkeit darüber, was Beziehung bedeutet, wie ich sie erschaffe und wie ich sie verantwortlich gestalte. Beziehungskompetenz eben. Das Wissen und die Fähigkeit, sich selbst und andere differenziert wahrnehmen zu können und diese Wahrnehmungen so einzusetzen, dass sie allen beteiligten von Nutzen sind. In Zusammenarbeit mit den Ausbildungsbetrieben in der Wirtschaft entspräche das genau dem, was ich Ganzheitliche Ausbildung nenne.
Ganzheitliche Bildung tut Not
Wolfgang Neumann: „Aus meiner Sicht ist es ganz wichtig auf diesem Hintergrund eine werteorientierte, ganzheitliche Bildung in der Schule anzustreben. Den Schüler also ganzheitlich zu betrachten und ihn als selbstbewusste Person für das Leben vorzubereiten. Auf diese Art entsteht eine Win-Win-Situation für die Wirtschaft, für die Schulen aber ganz besonders auch für Kinder und Jugendliche.“
Umgang mit ungeliebten Emotionen
Great Growing Up trainiert genau das. Das Trainingsprogramm unterstützt Unternehmen darin, Auszubildenden und Mitarbeitern das zu vermitteln, was in Schulen und Familien zu kurz kommt: das Bewusstsein für die eigene Verantwortlichkeit im Umgang mit sich selbst, mit Menschen und Herausforderungen. Genau deshalb trainiert Great Growing Up Menschen darin, mit unpopulären emotionalen Regungen verantwortlich umzugehen: mit Ärger etwa, oder mit Trauer bzw. Angst. Sowohl mit den eigenen Gefühlen als auch mit denen ihres Gegenübers. Diese Fähigkeit ist nichts anderes als emotionale Intelligenz. Wer Mitarbeiter motivieren will, braucht sie. Manchmal fragen mich Unternehmer, wo denn da der Mehrwert fürs Unternehmen sei. Wolfgang Neumann weiß es:
Positive Arbeitsmoral schaffen
Wolfgang Neumann: „Die Beziehungskompetenz ist ja die Voraussetzung für Corporate Identity. Das brauchen die Unternehmen, um mit einer positiven Arbeitsmoral letztendlich auch erfolgreich zu sein. Das ist ganz wichtig, wenn man eine offene, transparente Kommunikationskultur mit den Arbeitnehmern aufbaut, sodass eine entspannte Arbeitsatmosphäre entsteht, in der man auch über Probleme sprechen kann.“
Gute und weniger gute Vorbilder
Da muss ich unweigerlich an die junge Frau denken, die mir erzählt hat, ihre Chefin habe ihr erklärt: „Sie sind nicht hier um zu denken.“ Ich will gar nicht wissen, wie viele Mitarbeiter solche und ähnliche Sätze Leute immer noch hören. Mitarbeiter motivieren sieht anders aus. Dafür gibt es gute Vorbilder nicht nur in der Gegenwart. Wolfgang Neumann: „Werner von Siemens beteiligte seine Mitarbeiter ganz früh am Erfolg seines Unternehmens. So schuf er die Basis für eine Beziehungskultur im Unternehmen, die jeden angespornt und motiviert hat, aus sich das Beste rauszuholen. Und dies führte letztendlich zum Erfolg des Unternehmens, so wie wir es heute kennen.“
Schlüsselfaktor Beziehungskompetenz
Es gibt gar nicht wenige Unternehmen, die erkannt haben, dass Beziehungskompetenz ein Schlüsselfaktor für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Sie entscheidet darüber, ob Führungskräfte ihre Mitarbeiter motivieren. Ob sie denkende und selbständig entscheidende Mitarbeiter wollen. Beziehungskompetenz entscheidet darüber, ob sich Mitarbeiter mit Mut und Freude neuen Herausforderungen stellen oder nicht. Und sie entscheidet darüber, ob Mitarbeiter Probleme ansprechen oder sie lieber aussitzen. Ob ein Unternehmen agil ist oder nicht, hängt im Wesentlichen von der Beziehungskompetenz seiner Mitarbeiter ab. Was genau bedeutet Beziehungskompetenz? Wolfgang Neumann beschreibt, wie beziehungskompetente Menschen agieren.
Warum Leere wichtig ist
Wolfgang Neumann: „Ein beziehungskompetenter Mensch tut gut daran leer zu sein. Leer bedeutet für mich, dass er dem Gegenüber ohne Vorurteile begegnet, ohne vorgefertigte Bilder, sondern den anderen so annimmt, wie er ist. Für mich ist noch wichtig, dass ich den anderen Menschen mit einer positiven Grundhaltung begegne. Und dann ist es auch ganz entscheidend, wie ich mit meinem Gegenüber kommuniziere. Die bedeutendsten Aspekte sind dabei eine authentische Kommunikation und das Senden von Ich-Botschaften.“
Wichtige Ich-Botschaften
Ich-Botschaften haben übrigens nichts mit Egoismus zu tun. Im Gegenteil. Sie verhindern, dass Menschen in Schuldzuweisungen und Forderungen miteinander kommunizieren. Wer Mitarbeiter motivieren will, sollte darüber Bescheid wissen, wie man sie anwendet. Als ich ihn nach einem Beispiel für eine Ich-Botschaft frage, überrascht mich Wolfgang Neumann auf angenehme Weise. Wolfgang Neumann: „Ich fühle mich jetzt mit Ihnen im Gespräch sehr wohl.“
Emotionale Intelligenz
Das höre ich natürlich gerne. Ich bin überzeugt, dass Menschen grundsätzlich beziehungskompetent sind. So lange sie in der Lage sind, ihre eigenen emotionalen Regungen zu akzeptieren und zu äußern, fällt es ihnen auch nicht schwer, die Emotionalität ihres Gegenübers differenziert wahrzunehmen und empathisch darauf zu reagieren. Fast alle Kinder können das. Sie haben eine unglaublich feine Wahrnehmung. Aber nur den allerwenigsten ist es vergönnt, diese Fähigkeit über das Kleinkindalter hinaus in ihr Dasein als Jugendliche, geschweige denn als Erwachsene zu retten.
Das Fühlen abtrainiert
Wir sind leider sehr effektiv darin, Kindern (und Erwachsenen) klar zu machen, dass Gefühle nicht gut sind: Ärger stört die Harmonie, Trauer macht schwach, und Angst ist etwas für Weicheier. Sogar gegen Freude haben wir etwas: zu früh gefreut; den Vogel, der morgens pfeift, fängt abends die Katze etc. Wir trainieren Menschen das Fühlen ab, und dann wundern wir uns, weil sie die damit verbundenen Qualitäten in Berufswelt vermissen lassen: Verantwortlichkeit, Selbstdisziplin, Mut, Achtsamkeit, Entscheidungsfreude, Empathie, Begeisterungsfähigkeit, Zuverlässigkeit. Sie immer wieder einzufordern, ist ungefähr so erfolgversprechend wie ein Regentanz in der Sahara. Was nicht bedeutet, dass man Beziehungskompetenz nicht erwerben kann. Diese Arbeit allerdings hat wenig mit Theorie zu tun. Sie beginnt immer bei mir selbst.
Den eigenen Standpunkt finden
Wolfgang Neumann: „Ich denke wichtig ist, dass ich erstmal eine Beziehung zu mir selbst schaffe. Damit ich weiß, wie ich zu mir stehe, wie mein eigener Standpunkt aussieht. So, dass eine gewisse Sicherheit entsteht. Deswegen ist auch für mich die Kommunikation in der Beziehung enorm wichtig. Von diesem Standpunkt ausgesehen kommuniziere ich mit Ich-Botschaften und nicht mit Appellen. Der andere kann dann meine Ich-Botschaften aufnehmen und daraus seinen eigenen Standpunkt wählen.“
Den Cocktail zubereiten
Das ist – zugegebenermaßen – zunächst einmal anstrengend. Weil wir es gewohnt sind, eher mit dem Finger auf andere zu zeigen als über unsere eigene Befindlichkeit zu reden. Das erfordert Mut. Gerade auch von Lehrern oder Ausbildern oder Vorgesetzten, wenn Sie mit ihren Schützlingen bzw. Mitarbeitern reden. Ich-Botschaften vermitteln dem Gegenüber einen Eindruck von der emotionalen Befindlichkeit des anderen. Sie kleiden das in Worte, was ohnehin spürbar ist – bewusst oder unbewusst. Ein Abteilungsleiter, der seinen Ärger in eine Ich-Botschaft kleidet, sorgt für Klarheit. Das ist für den zuhörenden Mitarbeiter weit weniger unangenehm als mühsam unterdrückter, aber eben doch spürbarer Ärger. Diese Klarheit entsteht durch Beziehungskompetenz. Sie hat Einfluss auf die Leistungsbereitschaft der Belegschaft. Wolfgang Neumann spricht von einem Cocktail, mit dem Führungskräfte Mitarbeiter motivieren können: einem Motivationscocktail.
Inhaltsstoffe, die Mitarbeiter motivieren
Wolfgang Neumann: „Der Freiburger Neurobiologe und Arzt Joachim Bauer betont immer wieder den Zusammenhang zwischen der Beziehungskompetenz des Lehrers und den Lernerfolgen der Schülerinnen und Schüler. In seinen Untersuchungen hat er festgestellt, dass der Körper ein eigenes Motivationssystem besitzt. Dieses ist ein Cocktail aus Botenstoffen Dopamin, Opioiden und Oxytozin. Und der sorgt bei Menschen für Antrieb, Vitalität und Freude an der Anstrengung.“
Die alles entscheidende Droge
Das bringt mich auf eine Idee. So ein Cocktail lässt sich ja vielleicht einfach zusammenmixen. Das wäre doch eine wunderbare Motivationsdroge für Mitarbeiter und Führungskräfte. Spaß beiseite. Ganz so einfach ist es nicht, erklärt Wolfgang Neumann. Wer Mitarbeiter motivieren will, sollte genau wissen, was diesen Cocktail ausmacht. Wolfgang Neumann: „Der Knackpunkt ist nur, dass dieser Cocktail sich nicht von alleine im Körper ausschüttet. Damit er aktiv wird, bedarf es einer Stimulation. Und die stärkste Stimulation, die wirksamste Motivationsdroge für den Menschen ist der andere Mensch. Dies bedeutet dann in der Konsequenz: Es gibt keine Motivation ohne menschliche Beziehung, weil der Mensch in seiner sozialen Motivation nach sozialer Akzeptanz strebt. Man spricht hier auch vom ,social brain‘.“
Mitarbeiter motivieren – die tägliche Dosis
Und darin sehe ich vielmehr eine Chance als ein Problem. Gerade in Unternehmen sind Menschen unter Menschen. Schlaue Unternehmer nutzen diesen Umstand um Mitarbeitern genau das zu geben, was alle Menschen wollen: ihre tägliche Dosis von dieser Motivationsdroge. Sie ist in keiner Weise gesundheitsschädigend, aber hochwirksam und braucht im Grunde nur eins: einen Kontext von Beziehungskompetenz, der die Kultur im Unternehmen prägt. In dem Zusammenhang hat Wolfgang Neumann, Schulleiter im Ruhestand, drei Wünsche:
Cocktails und andere Wünsche
Wolfgang Neumann: „Also ein Wunsch wäre, dass man die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Hirnforschung und von der Neurobiologie in die Schule einfließen lässt. Das bedeutet, dass die Cocktails, die in dem Menschen vorhanden sind, von Lehrern häufiger aktiviert werden. Die Lehrer sollten die Zusammenhänge kennen und wissen, wie sie bei ihren Schülern die höchste Motivation erreichen können. Der zweite Wunsch wäre, dass die Lehrer darin ausgebildet werden richtig zu kommunizieren. Sowohl mit Schülern, Eltern als auch mit seinen Kollegen. Denn eine gute Kommunikation – und das ist mein dritter Wunsch – ist eine Voraussetzung, um eine stabile Beziehung aufzubauen und diese Beziehung benötigen wir wiederum für erfolgreiches Lernen.“
Beziehungskompetenz im Lehrplan
Ich würde mich freuen, wenn die Schulpolitik das Thema Beziehungskompetenz und emotionale Intelligenz in den Lehrplänen verankern würde. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum irgendjemand glaubt, Mathematik oder Geographie seien wichtiger. Unternehmen, die begriffen haben, dass es beides braucht fachliche und Beziehungskompetenz, trainieren die emotionale Intelligenz ihrer Mitarbeiter. Und nichts anderes macht Great Growing Up. Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch. © Matthias Stolla 2018