Als Mann über das Thema Zickenkrieg im Team zu schreiben, erfordert Mut. Öffentlich über Zickenkrieg im Job oder auch nur über Unterschiede zwischen eher männlichen und eher weiblichen Verhaltensweisen zu schreiben, ist ein Risiko. Allein der Versuch, den Diskurs zu wagen, gilt vielen als rückständig, altmodisch oder gar reaktionär.
Unterschiede im Verhalten
Ich tue es trotzdem. Schon allein, weil es auch Wissenschaftlerinnen(!) gibt, die mich in meiner Wahrnehmung bestätigen. Und natürlich auch weil ich Unterschiede im Verhalten von Frauen und Männern in meinen Trainings immer wieder erlebe und darin nichts Schlechtes erkenne.
Diesen Beitrag lieber als Podcast hören. Bitteschön!
Zickenkrieg unterhält Leser
Zickenkrieg ist ein beliebtes Thema. Das zeigt allein die Verwendung des Begriffs in der einschlägigen Presse. Wenn eine Herzogin des britischen Königshauses (Kate) Streit hat mit ihrer Amtskollegin (Meghan), dann ist diese Situation ein gefundenes Fressen für die Autoren: Zickenkrieg bei den Royals. Es gibt auch Fernsehsendungen, die sich dem Klischee widmen: "Auf Streife" etwa zu sehen bei sat.1.
Bissige Stuten
Und dann gibt es noch Dr. Susanne Weyrauch-Wiegand. Die bietet im Netz tatsächlich Kräutermischungen für bissige Stuten an, die helfen sollen, den Zickenkrieg unter Pferden zu beenden. So viel zur Stutenbissigkeit.
Menschen wollen gut dastehen
Apropos Stutenbissigkeit: Menschen sind natürlich keine Pferde. Und es gibt natürlich auch jede Menge Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich nicht auf das eine oder andere Geschlecht festlegen lassen. Ein Beispiel: Egal, ob es sich um ein Team mit männlichen oder weiblichen Kollegen handelt, in beiden gibt es hin und wieder Streit um den Status. Menschen wollen eben gerne gut dastehen.
Wechselnde Bündnisse
Aber: Psychologen um Joyce Benenson vom Emmanuel College in Boston haben Bemerkenswertes herausgefunden: Wenn Frauen eine Situation erleben, in der sie ihren Status in einer Gruppe einbüßen könnten, schmieden sie rasch Allianzen, um andere auszuschließen. Laut Benenson greifen Frauen, wenn sie Konkurrenz erleben, eher auf dieses Mittel zurück als Männer. Stutenbissigkeit und Zickenkrieg unter Frauen sind offenbar nicht ohne Grund zum Klischee geworden.
Heute Freundin, morgen Feindin
Wenn Frauen Konkurrenz erleben, kämpfen sie offenbar mit anderen Mitteln als Männer. Sie wechseln ihre Verbündeten und bilden neue Allianzen. Die Freundin von heute kann morgen eine Feindin sein - freundschaftliche Beziehung beendet. Das hört man als Mama oder Papa schon von Kleinkindern, oft von Mädchen. Von Jungs hingegen eher weniger. Kleiner Trost: Die Trennung von der Freundin hält oft nicht lange an.
Selbstbild Frau
Ich höre in Trainings und Gesprächen oft Äußerungen von weiblichen Teilnehmern, die viel über ihr Selbstbild als Frau verraten:
- "Lieber einen Chef als eine Chefin."
- "Bloß keine weiblichen Kollegen mehr im Team."
- "Ihr Männer seid viel unkomplizierter."
- "Frauen sind eben Zicken."
Hartnäckiges Klischee

Ich will mich weder über das Thema Zickenkrieg lustig machen, noch behaupten, das Weibliche sei schlecht, das Männliche gut. Dazu kenne ich mich als Mann zu gut und die Frauen zu wenig. Eher schon fasziniert mich die Frage, wieso sich das Klischee vom typisch weiblichen Zickenkrieg so hartnäckig hält. Zumal ich der Meinung bin, dass doch gerade Frauen Beziehung gestalten. Mehr als wir Männer zumindest.
Und ich will eine Geschichte erzählen. Von einem Auftrag, der viel gefährlicher war, als das Schreiben eines Artikels über Männer und Frauen.
Allein unter Frauen
Meine Frau kennt sich aus mit Frauen. Sie ist selbst eine und weiß, wie Frauen ticken. Ich bin ihr Mann und in diesem Punkt im Nachteil. Deshalb hat sie mich davor gewarnt, ein Training nur mit Frauen zu leiten. Zickenkrieg im Team sei gefährlich, hat sie gesagt, vor allem für Männer. Aber erstens war genau das der Wunsch meines Kunden, und zweitens bin ich Manns genug, um die Warnungen meiner Frau hin und wieder in den Wind zu schlagen, um mich neuen Herausforderungen zu stellen.
Zickenkrieg im Team kostet Nerven
Außerdem war mein Kunde in Not. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens hatte die Nase voll. Eine rein weiblich besetzte Abteilung raubte ihm den letzten Nerv. „Da herrscht der totale Zickenkrieg“, erzählte er mir, „die Frauen haben jede Menge Konflikte untereinander, aber keine spricht sie offen an“. In der Folge sei die Atmosphäre vor allem von unterschwelliger Feindseligkeit geprägt, der Umgang untereinander sei boshaft und giftig, der Ruf der Abteilung innerhalb des Unternehmens katastrophal. Mobbing untereinander sei die Regel. Mein Auftrag: den Zickenkrieg im Team beenden.
Schlechtes Klima, hoher Krankenstand
Das alles könnte einem Unternehmer ja komplett egal sein, solange die Zahlen stimmen. Genau das taten sie aber nicht, der Krankenstand war so hoch, wie die Zuverlässigkeit der Damen niedrig war. Der Geschäftsführer hatte von der Situation die Nase voll und stellte den Frauen ein Ultimatum: Entweder sie lassen sich auf das Training mit mir ein oder er sehe sich gezwungen, Konsequenzen zu ergreifen. Denn Zickenkrieg im Team kostet nicht nur Nerven, sondern auch Geld.
Großartige Voraussetzungen für ein Training in entspannter und vertrauensvoller Atmosphäre also. *Ironie beendet*
Training mit schwierigem Start
Die erste von insgesamt fünf Trainingseinheiten à zwei Stunden begann dann auch just mit einer Gardinenpredigt des Geschäftsführers. Die Stimmung im Raum war entsprechend gedrückt. Von Vertrauen in den Trainer keine Spur. Woher auch? Schließlich hatte mich der Geschäftsführer gebucht, ich arbeitete in seinem Auftrag. Willkommen im Zickenkrieg im Team!
Der Trainingskontext

Und doch geschah in dieser ersten Trainingseinheit ein Wunder. Ich stelle mich vor, erzähle von mir und meinem verschlungenen Umweg zum Trainerberuf, von meinen bodenlosen Ängsten während der Ausbildung einerseits und von meiner Leidenschaft dafür, Menschen in ihrer Wahrhaftigkeit und Beziehungskomptenz zu trainieren andererseits.
Angeblich negative Gefühle
Ich präsentiere meinen Trainingskontext, der viel mit dem bewussten Wahrnehmen und Äußern von Emotionen zu tun hat und spreche von den vier Grundgefühlen Freude, Ärger, Trauer und Angst. Und natürlich sind die fünf Frauen vor mir überzeugt, dass es nur ein positives Grundgefühl gebe: die Freude. Ärger, Trauer und Angst seien Scheiße sagen sie in bemerkenswerter Einigkeit und meiden sie deshalb wie die Pest. Und genau das ist ihr Problem. Gudrun, die dienstälteste Mitarbeiterin in der Abteilung, gilt vielen schlicht als „böse“, Olga aus Griechenland sei hinterfotzig, heißt es, die Spätaussiedlerin Irene sei die schlimmste Zicke des ganzen Unternehmens, während Meike und Sonja als unauffällig und still wahrgenommen werden.
Vermeidung führt in den Zickenkrieg
Es kostet mich einige Anstrengung, mein Frauenkränzchen im Zickenkrieg für mich und meinen Trainingskontext zu gewinnen. Dass gerade in den angeblich negativen Gefühlen Ärger, Trauer und Angst Qualitäten stecken sollen, das wollen sie nicht so einfach schlucken. Vor allem Irene macht dicht. Ihre Schale ist besonders hart und erstmal nicht zu knacken.
Uralte Verletzungen brechen auf
Bei Gudrun passiert genau das ganz automatisch. Je mehr wir über das Gefühl Trauer reden, über emotionale Verletzungen und den damit verbundenen Schmerz, desto unruhiger wird sie. Und ihre Augen beginnen zu glänzen. Nach einigen Minuten angestrengter Beherrschung gibt sie den Kampf gegen ihr Gefühl auf und sie beginnt, sich mitzuteilen. Gudrun ist seit fast 20 Jahren im Betrieb, und die Liste der Verletzungen, die sie erleiden musste, reicht zurück bis zu ihrem ersten Tag im Betrieb.
Wie Mitgefühl entsteht
Gudrun spricht über Spott und Ausgrenzung, die sie erlebt hat, weil sie nicht aus der Region stammt. Und sie erzählt nicht nur, sie teilt sich mit. Das heißt, sie drückt aus, was sie fühlt: Schmerz. Tränen fließen. Nicht nur bei Gudrun, sondern auch bei Sonja und Meike, auch Olga wirkt berührt, Irene scheint am liebsten aus dem Raum stürmen zu wollen.
Der erste mutige Schritt

Gudrun spricht über ihre Verspannungen im Genick, über schlaflose Nächte, darüber, dass sie Menschen aus dem Weg geht und dass Menschen ihr aus dem Weg gehen. Weil sie als übellaunige, böse Frau wahrgenommen wird. Gudrun weint. Das ist ihr peinlich, aber sie lässt sich dafür gewinnen, weiter zu sprechen. Zum ersten Mal seit fast 20 Jahren. Ihr Mut beeindruckt mich zutiefst. Hin und wieder schimpft sie mit mir – mit einer rührenden Mischung aus mütterlicher Autorität und aufrichtiger Dankbarkeit. Sie fühlt sich von einer tonnenschweren Last befreit.
Klimawandel im Team
Die Atmosphäre hat sich drastisch verändert, seit Gudrun begonnen hat, sich mitzuteilen. Das Misstrauen ist dem Mitgefühl gewichen. Die Box mit den Papiertaschentüchern ist nahezu leer. Ich frage die Frauen, wie sie ihre Gruppe jetzt im Unterschied zu vorher erleben. Ich muss nicht lange warten, bis die Antworten kommen: „Wir sind jetzt viel näher einander“, sagt Olga. „Jetzt ist es viel schöner hier“, sagt Meike, und Sonja pflichtet ihr bei. Kaum noch Zickenkrieg im Team. Irene sagt gar nichts, und Gudrun schnieft. „Ich mag dich gar nicht“, sagt sie zu mir, und ich weiß genau, dass sie das nicht ernst meint.
Nähe statt Distanz
Ich frage die Gruppe, welches Gefühl diese neue Atmosphäre im Raum erzeugt hat. Gudruns Traurigkeit, erkennen sie und sind um eine Erkenntnis reicher. Verdrängte Trauer erschafft Einsamkeit., Distanz und damit Zickenkrieg. Mitgeteilte Trauer erschafft Nähe und Verbundenheit.
Die erste Trainingseinheit endet damit, dass sich die Frauen ganz ohne Aufforderung zum Abschied umarmen. Und ihr Trainer auch. Ich hoffe, dass sie mein nassgeschwitztes Hemd unterm Sakko nicht bemerken. Meine Frau hatte mich gewarnt.
Grenzen setzen
Die zweite Trainingseinheit – das war meine feste Absicht – brauchte ein anderes Thema. Die Frauen hatten an unserem ersten Nachmittag erlebt, wie Trauer Mitgefühl und Verbundenheit erschafft, aber sie mussten auch lernen, sich und ihre persönlichen Grenzen vor Verletzungen zu schützen. Es gibt eine simple körperliche Übung, die deutlich zeigt, wie gut jemand Grenzen setzen kann. Der Teilnehmer hat folgende Aufgabe: Er sieht einen anderen Teilnehmer auf sich zugehen und soll in so stoppen, dass der Abstand für ihn angenehm ist. Dabei gibt es immer wieder Interessantes zu beobachten. So auch in Trainingseinheit Nummer zwei.
Am Anfang scheitern alle

Meike schafft es überhaupt nicht, ihr Lächeln aus dem Gesicht zu verbannen. Sonja bittet ihr Gegenüber höflich stehen zu bleiben, Gudrun hebt mahnend den Zeigefinger und sagt gar nichts. Olga zeigt auf die Stelle auf dem Fußboden, wo ihre Grenze ist. Und Irene ist gar nicht im Raum; sie hat es vorgezogen krank zu werden. Keine der Frauen schafft es, eine klare Grenze zu setzen, denn ihr Sparringspartner hat den Auftrag, nur anzuhalten, wenn die Grenze zu 100 Prozent klar ist. Und natürlich argumentieren die Frauen, das sei ja nur eine Laborsituation, die nichts mit ihrer Realität zu tun habe. Wir beginnen zu argumentieren, wer denn nur Recht habe. Und wieder herrscht Zickenkrieg im Team. Ich muss aufpassen, dass ich nicht mitkämpfe.
Geschützte Umgebung nutzen
Ich lade sie ein, mir hier in der geschützten Umgebung des Trainings, wo sie niemanden verletzen können, zu zeigen, wie sie Grenzen setzen. Und sie scheitern. Wie alle Menschen, die sich nicht erlauben, ihren Ärger verantwortlich zu nutzen.
Hilfsmittel gegen Zickenkrieg im Team
Also sprechen wir an diesem Nachmittag über Ärger. Über seine Nachteile und über seine Vorteile. Ärger kann verletzen, wirkt oft aggressiv, ist laut und manchmal unhöflich. Aber Ärger schafft auch Klarheit, hilft Entscheidungen zu treffen und Grenzen zu setzen. Erstklassige Hilfsmittel, die helfen Zickenkrieg im Team zu vermeiden. Und in Ärger steckt eine Menge Energie. Nicht ohne Grund nehmen wir entschlossen handelnde, energische Menschen oft auch als ärgerlich wahr. Sie sind voller Energie und tun, was ansteht.
Hier gibt es die Checkliste, die zeigt, wofür es sich lohnt, Emotionalität mitzuteilen.
Krämpfe lösen sich
Das zeigt sich auch im Raum. Die vier Frauen sind wie elektrisiert. Sie üben Grenzen setzen, haben Spaß dabei und wirken deutlich selbstbewusster als zuvor. Gudrun geht ein Kronleuchter auf: Sie hat so viel Verletzungen kommentarlos in sich hinein gefressen, dass ihre Halsmuskulatur permanent verkrampft ist. Die Schmerzen verändern ihre Haltung, ihren Gesichtsausdruck und zusammen mit ihren schlaflosen Nächten auf Dauer ihre Stimmung: „Kein Wunder, dass die Menschen mich für böse halten“, erkennt sie.
Grenzen schaffen Klarheit
Olga hat einen Heidenspaß am Grenzen setzen und will gar nicht mehr aufhören. Meike muss immer noch lächeln, wenn Sie eine Grenze setzt, aber Sonja beginnt ihre Ärger-Energie zu lieben. Ihre Grenze ist so klar, dass jeder Sparringspartner steht wie angewurzelt. Trainingseinheit Nummer zwei endet mit der Erkenntnis, dass Ärger verdammt wichtig ist, wenn es darum geht Klartext zu reden und Grenzen zu setzen. Und mit herzlichen Umarmungen für alle. Und Gudrun stellt nochmal klar, dass sie mich gar nicht mag. Ist klar…
Veränderungen werden bemerkt

Zur dritten Trainingseinheit erscheinen die Frauen wieder vollzählig. Olga, Gudrun, Meike und Sonja haben viel zu erzählen. Sie hatten die Übung, jeden Tag mindestens einmal eine Grenze zu setzen. Das war – natürlich – mit viel Angst verbunden. Angst davor, als unhöflich oder „komisch“ wahrgenommen zu werden, etwas falsch zu machen. Wie immer, wenn wir Neues wagen. Die vier Frauen haben aber auch bemerkt, dass die Angst eine positive Qualität hat: „Es war unglaublich aufregend, das zu tun“, erzählt Sonja. „Ich war sehr stolz auf mich, dass ich das getan habe“, sagt Olga. „Am dritten Tag habe ich mich schon darauf gefreut, wann die erste Gelegenheit auftauchen würde“, sagt Meike und lächelt natürlich. Egal, sie hat es getan, und das zählt. Gudrun ist hin und weg. Ihre gesamte Verwandtschaft bemerke eine Veränderung an ihr: Sie wirke viel freundlicher und offener, außerdem habe sich ihr Genick deutlich entspannt.
Irene im Widerstand
Die vier Frauen, die so fleißig das Grenzen setzen geübt haben, versuchen ihre Kollegin, die in der vorigen Trainingseinheit gefehlt hat, für das Thema zu begeistern. Aber Irene blockt ab. Sie kommuniziert auf allen Ebenen: Arme und Beine verschränkt sitzt sie auf ihrem Stuhl, bleibt scheinbar sachlich und weicht allen Fragen nach ihrem Befinden aus. Und sie weiß es besser, erklärt sie: All das Grenzen setzen funktioniere nur in der Theorie. In der Praxis, etwa gegenüber Samantha, bringe das alles gar nichts.
Von der Theorie zur Praxis
Samantha ist eine Kollegin aus einen anderen Bereich, die sich, so erfahre ich, gerne als Vorgesetzte aufspielt und kommandiert. An der pralle das alles ab, sagt Irene, deshalb versuche sie es erst gar nicht. Ich frage Irene, ob Sie Grenzen setzen üben will. Sie will es natürlich nicht, das ist deutlich zu sehen. Aber sie ist auch nicht in der Lage, ein klares Nein auszusprechen. Ich lasse nicht locker. Entweder sie setzt mir und meinem Drängen eine klare Grenze oder sie macht die Übung.
Irene macht die Übung, aber natürlich widerwillig. Und sie setzt der Frau, die auf sie zugeht keine Grenze. Irene weicht aus. Früher, in ihrer alten Heimat habe sie ihre Grenzen mit Schlägen gesetzt. Hier in Deutschland wolle sie das nicht. Ich will das auch nicht. Aber ich will auch, dass sich Irene Konflikten stellt und Position bezieht. Zwischen Ausweichen und Zuschlagen gibt es Spielraum für weitere Möglichkeiten.
Zwischen Ausweichen und Zuschlagen

Die anderen Frauen, inzwischen begeisterte Grenzen-Setzerinnen, feuern Eine an. Und siehe da: nach einigen Fehlversuchen gelingt ihr das Kunststück: Mit fester, lauter Stimme, mit deutlicher Gestik und Körperspannung und vor allem mit einem klaren, entschlossenen Blick stoppt sie die Frau, die ihre Grenze verletzen will. Wie eine wahrhaftige Kriegerin. Und Kriegerinnen führen keinen Zickenkrieg im Team. Sie beenden ihn. Irene ist an Bord. Vorerst. Auch die dritte Trainingseinheit endet mit herzlichen Umarmungen du dem Wunsch, das Training fortzusetzen.
Was hinter Überheblichkeit steckt
Der vierte Trainingsnachmittag verläuft sehr einvernehmlich, fast schon harmonisch. Es geht noch ein paar Mal um Samantha, die sich zum Running Gag entwickelt hat. Irgendwie scheint sie einen Großteil ihres Schreckens verloren zu haben. Die fünf Frauen nehmen die überhebliche Art ihrer Kollegin nicht mehr persönlich. Sie haben erkannt, dass Arroganz mehr über den aussagt, der sie zur Schau trägt, als über die, die darunter leiden: Arroganz ist nur eine Tarnung für die eigene, angenommene Unzulänglichkeit.
Der vierte Nachmittag endet mit den inzwischen üblichen, herzlichen Umarmungen und dem Versprechen Gudruns, für die Abschlussrunde in 14 Tagen einen Kuchen zu backen.
Heftiger Schlussakkord
Für den fünften und letzten Nachmittag hatte ich zwei Absichten. Erstens war mir wichtig, die Frauen darin zu unterstützen, ihren neuen Umgang nachhaltig zu pflegen. Zweitens wollte ich auf alle Fälle einen sehr wertschätzenden Abschluss bieten. Lange sah es so aus, als würde vor allem die zweite Absicht nicht mehr bleiben als ein frommer Wunsch.
Alte Muster, neue Muster
Trainingseinheit Nummer fünf beginnt harmlos. Es geht zunächst um den Umgang mit Trauer und Angst, ums Wahrnehmen und Benennen von Gefühlen. Wiederholung. Durchaus sinnvoll zum Abschluss. Wir reden über Verhaltensmuster und darüber, dass es neue Muster immer schwer haben, sich gegen alte Muster durchzusetzen. Auch das ist sinnvoll am Ende unserer Trainingseinheit. Mir ist es aber viel wichtiger, nochmals emotionale Tiefe zu erreichen, damit die Frauen zum Abschluss nochmal erleben, wie sie verantwortlich und bewusst durch Konflikte gehen können. Dabei lerne ich etwas, dass mir so bislang nicht bewusst war. Und ich torpediere um ein Haar meine Absicht, einen wertschätzenden Schlusspunkt zu setzen.
Angst vor der Tiefe
Aber der Reihe nach: Nach der ersten Stunde fordere ich die Frauen auf, sich gegenseitig mitzuteilen: Jede sagt, was sie freut, was sie traurig macht, was sie ärgert und was ihr Angst macht. Einmal zu jeder Frau. Das hätte ich auch gleich zu Beginn der letzten Einheit machen können, aber ich hatte ein wenig Angst vor diesem Schritt. Wenig später wusste ich auch warum.
Vorwürfe und Rechtfertigungen
Olga macht den Anfang. Sie entscheidet sich dafür, mit dem Gefühl Ärger zu beginnen. Schon nach wenigen Sekunden geht uns die Gesprächsdisziplin über Bord. Alle reden durcheinander, es hagelt Vorwürfe und Rechtfertigungen. Und immer wieder dieselbe Frage: „Warum hast du das getan?“
Überraschende Vehemenz
Die Vehemenz überrascht mich. Ich hatte zuvor erlebt, wie Gudrun, Olga, Irene, Meike und Sonja Ärger, Trauer und Angst ausdrückten. Ich hatte erlebt, wie sie sich beschuldigten, auf ihr recht beharrten, sich rechtfertigten und wie sie grollten. Und ich hatte erlebt, welchen Unterschied sie erschaffen, wenn sie aus dem Drama ausstiegen und verantwortlich sagten, was sie brauchen, Grenzen setzten, Ja bzw. Nein sagten und ihre Gefühle ausdrückten.
Irrtum erkannt
Ich hatte mich darauf verlassen, die Tiefe unterhalb ihrer oberflächlichen Pseudo-harmonie zu kennen. Das war ein Irrtum. Nach meiner Erfahrung gibt es da einen Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Bewusstsein. Viele Männer, die ich erlebe, kennen zwei Stockwerke: das oberflächliche Erdgeschoss und das Untergeschoss mit all ihren emotionalen Befindlichkeiten.
Verborgene Kellergeschosse
Mein Fehler war, dass ich glaubte, die tiefe meiner fünf Teilnehmerinnen bereits zu kennen. Schließlich hatte ich sie bereits dort unten erlebt. Dass es dort mehrere Kellergeschosse gab, hatte ich nicht erwartet. Das war es, wovor mich meine Frau gewarnt hatte.
Raus aus dem Zickenkrieg im Team
Im Trainingsraum rast die Zeit, und die Frauen hauen sich Vorwürfe und Beschuldigungen um die Ohren. Immer wieder muss ich eingreifen und sie daran erinnern, aus dem Zickenkrieg im Team auszusteigen und ihre Aufgabe zu erledigen: Drücke aus, was du fühlst. Ein ums andere Mal muss ich laut werden, um sie zu stoppen. Richtig laut. Mehrfach habe ich Angst, dass mir die Runde um die Ohren fliegt.
Irenes Rückfall
Irene hat einen Rückfall. Sie verschließt sich wieder und erklärt, sie werde Konflikte nicht ansprechen. Sie habe so viel Verletzungen erlebt, dass sie darauf keine Lust mehr habe. Irene macht zu. Die anderen kennen das und erkennen ihre Kommunikation als das, was es ist: ein „Fuck you!“. Sonja und Olga sind in der Zwischenzeit offensichtlich die gegenseitigen Vorwürfe ausgegangen, sie beginnen tatsächlich, über ihre gegenseitigen Verletzungen zu sprechen. Tränen fließen. Es wird leiser.
Chaos ohne Ausweg
Etwa zehn Minuten vor Trainingsende kratzen wir die Kurve. Olga und Sonja schauen sich an. Ich frage Sonja, ob sie einen Impuls spürt. Ja, sagt sie und ich bitte sie, ihm zu folgen. „Ich mag dich“, sagt sie zu Olga und umarmt sie. Der Raum schmilzt, ich atme auf – ganz leise und innerlich. Ich habe das schon so oft erlebt: Der Zickenkrieg im Team wird so heftig und chaotisch, dass es alles zu verschlucken scheint, keine Lösung, kein Ausweg in Sicht. Und dann geschieht, was geschehen soll. Ein bisschen wie ein Wunder. Aber eines, auf das ich mich verlassen kann.
Gegenseitige Verpflichtung
Der Rest ist nur noch schön. Die Frauen geben sich gegenseitig wertschätzende Rückmeldung und verpflichten sich dazu, Konflikte künftig zeitnah anzusprechen, ehe sie wieder zickige Distanz zueinander aufbauen.
Der Wunsch nach mehr
Danach genießen wir Gudruns leckeren Kuchen. Und ausgerechnet Irene fragt, ob wir mit dieser Trainingseinheit weitermachen können. Ich bin sehr berührt. Das ist Chefsache, sage ich, aber ihr könnt etwas tun, um ihm die Entscheidung dafür leicht zu machen: Löst eure Konflikte bewusst und verantwortlich. Zeigt ihm, dass diese Arbeit gute Wirkung zeigt!
In Verantwortung genommen
Am Tag danach ruft mich der Chef an. Das Training sei wohl sehr heftig, aber eben auch wirkungsvoll gewesen, habe er gehört bzw. bemerkt. Ihm gefällt, dass ich die Frauen in die Verantwortung genommen habe. Im Unternehmen gebe es andere Abteilungen, denen das auch gut täte, sagt er. Und: „Im Herbst machen wir mit dem Training weiter.“
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
© Matthias Stolla 2019