Keine Lust zu nichts – unmotivierte Mitarbeiter

Gefangen im Durchhänger

Ich finde, Durchhänger ist ein toller Begriff. Einfach weil er ein plastisches Bild im Kopf entstehen lässt. Da hängt jemand saft- und kraftlos in den Seilen, wie ein restlos erschöpfter Boxkämpfer: erledigt und geschlagen. Wenn Sie sich ärgern über unmotivierte Mitarbeiter, oder wenn  Ihr Azubi durchhängt, sind Sie gefordert. Wobei es natürlich einen Unterschied macht, ob ihr Azubi einfach nur einen schlechten Tag hat, den Sie ihm wie jedem anderen Menschen auch zugestehen dürfen oder ob daraus schlechte Wochen, Monate oder ganz schlimm sogar eine grundsätzliche Haltung geworden ist.

Eine Frage der Haltung

Ich weiß, das klingt seltsam, aber grundsätzlich unmotiviert durchzuhängen, ist tatsächlich eine Haltung. Menschen, die grundsätzlich zu nichts Lust haben, die lieber sitzen als gehen, die Sie zum Jagen tragen müssen, die bis zur Untätigkeit entspannt wirken, haben nicht etwa keine Haltung, sie haben eine. Eine Null-Bock-Haltung eben.

Auf Trab bringen - aber wie?

Das ist anstrengend. Nicht so sehr für den Durchhänger, aber für Sie. Ihr Job ist es ja, den jungen Mann oder die junge Frau auf Trab zu bringen. Das erwartet Ihr Arbeitgeber von Ihnen. Und wissen Sie womit? Mit Recht. Sie bilden den jungen Menschen aus, nicht umgekehrt.

Herkömmliche Methode 1

Sie haben mehrere Möglichkeiten, dieser Anforderung nachzukommen. Drei davon sind weit verbreitet. Fangen wir sanft und harmlos an mit der gängigen Methode Nummer eins: Sie können Ihrem Null-Bock-Azubi gut zureden. Nicht lachen. Das kann funktionieren. In leichten Fällen dürfen Sie tatsächlich darauf hoffen, dass Sie mit dem sogenannten gesunden Menschenverstand sogar etwas erreichen. Sie nutzen gute Argumente, wie bessere Chancen übernommen zu werden, Freude am Erfolg und so weiter. Manchmal hilft das. Die schweren Fälle, überzeugte Durchhänger, die sich in ihrer tiefenentspannten Lässigkeit gefallen, erreichen Sie damit sicher nicht.

Unmotivierte Mitarbeiter sind nicht grundlos lustlos.
Unmotivierte Mitarbeiter und Azubis kosten Nerven und Geld.

 Herkömmliche Methode 2

Nächste Möglichkeit: Gängige Methode Nummer zwei. Sie probieren es mit Anreizen, Belohnungen, Vergünstigungen. Das funktioniert garantiert -  je nachdem, wie viel Sie bieten. Jeder Mensch hat seinen Preis. Die Frage ist nur, ob Sie jeden Preis bezahlen wollen, geschweige denn bezahlen können. Vermutlich können Sie nicht, und das ist gut so.

Warum? Weil Sie damit das Problem nicht im Kern lösen, und weil der Preis von Mal zu Mal steigen wird. Wenn Ihr Azubi bemerkt, dass Sie zahlungsbereit sind, kann es gut sein, dass er das ausnutzen wird. Meine Empfehlung: Seien Sie sehr, sehr vorsichtig, wenn Sie sich für diese Methode entscheiden.

Herkömmliche Methode 3

Nummer drei: Sie bauen Druck auf. Am wirkungsvollsten sind dabei konkrete Drohungen. Im Grunde ist das nichts anderes als die umgekehrte Variante von Methode Nummer 1.  Anstatt das in Aussicht zu stellen, was motivierte Azubis erreichen können, drohen Sie mit dem was, Leistungsverweigerern blüht: Ärger, keine Anerkennung, keine Vergünstigungen, keine Übernahme, keine Zukunft im Unternehmen, etc.

Erfolgsaussichten

Ich bin mir sicher, dass Sie damit Erfolg haben können, Sie müssen allerdings höllisch aufpassen, dass Sie die wichtigste Grundregel beim Androhen von Konsequenzen unbedingt beachten: Sie müssen konsequent sein. Wenn Sie nicht umsetzen, was Sie angedroht haben, ist Ihre Glaubwürdigkeit verloren. Dann können Sie drohen, soviel Sie wollen, Sie werden nichts und niemanden damit erreichen. Auch bei Methode Nummer drei rate ich zu großer Vorsicht.

Denn die Druck-Methode hat einen weiteren Nachteil. Sie mag zwar manchen Durchhänger in Bewegung bringen, aber auch sie löst das Problem nicht im Kern. Ihr Azubi hängt zwar nicht mehr in den Seilen, aber nur weil ihm sonst unangenehme Konsequenzen drohen. An seiner grundsätzlichen Haltung haben Sie damit nichts geändert. Ihr Azubi ist jetzt zwar auf Trab, aber gegen seinen eigenen inneren Widerstand. Sie haben ihn eher animiert als motiviert.

Was wirklich hilft: Empathie

Wie bringen Sie Ihren Azubi dazu, dass er seine chillige Ich-hab-auf-gar-nichts-Lust-und-hänge-lieber-herum-Haltung verändert? Ich empfehle Ihnen: Nutzen Sie ihre Empathie. Ihr Einfühlungsvermögen. Das bedeutet nicht, dass Sie jetzt ebenfalls durchhängen sollen. Empathie bedeutet etwas ganz anderes.  Einfühlungsvermögen trifft es ganz gut. Das funktioniert einfacher als Sie vielleicht glauben. Wenn Sie herausfinden wollen, was der Nullbock-Haltung Ihres Azubis zugrunde liegt, müssen Sie nur darauf achten, was Sie empfinden, wenn Sie mit ihm oder sogar nur über ihn sprechen. Probieren Sie es aus. Wenn Sie sich nicht sicher sind, was Sie empfinden, hilft ein kleiner Trick: die Negativ-Auswahl. Fragen Sie sich: Ist es Freude? Wohl kaum. Ist es Angst? Oder Trauer? Oder Ärger?

Wer ist hier ärgerlich?

In den meisten Fällen, in denen ich mit Durchhängern zu tun habe, empfinde ich vor allem Ärger. Sie bringen mich auf die Palme, selbst wenn ich nicht mit ihnen, sondern nur über sie rede. Wenn es Ihnen ähnlich geht, sollten Sie diese Erkenntnis nutzen. Ich erkläre Ihnen gerne, was Sie mit ihr anfangen können und sollen.

Fast jeder hat früher oder später mal einen Durchhänger.

Der Ärger, den sie spüren, wenn Sie Ihren Durchhänger-Azubi motivieren wollen, ist im Grunde gar nicht Ihrer. Sie spüren vielmehr genau das Gefühl, das sich ihr Azubi nicht erlaubt. Ich nenne dieses Phänomen emotionale Übertragung. Wir fühlen das, was unser gegenüber fühlen müsste, aber nicht fühlen will. Ich komme noch darauf, was Durchhängen mit Ärger zu tun hat. Keine Sorge.

Wer will schon fühlen?

Vorher aber müssen Sie sich darüber im Klaren sein, dass die allerwenigsten Menschen wirklich fühlen wollen. Zumindest wenn es um Ärger, Trauer und Angst, die sogenannten negativen Gefühle, geht. Ich kenne nur sehr wenige Menschen, die sich all ihre Gefühle wirklich erlauben und sie ungehemmt ausdrücken. Die meisten von ihnen sind unter fünf Jahre alt. Kleinkinder haben normalerweise kein Problem damit, ärgerlich, traurig oder ängstlich zu sein und darüber zu reden. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang und ihnen so vertraut wie ihre unbändige Art, Freude zu äußern.

Das bleibt auch so, bis wir Erwachsenen, diesen unschuldigen, natürlichen Umgang mit Gefühlen stören, nicht selten sogar zerstören. In der Regel, weil wir die Emotionalität des Kindes, seinen Schmerz, seine Tränen, seine Wut oder einfach nur die damit verbundene Lautstärke nicht aushalten wollen oder können. Wir trainieren unseren Kinder ab, ihre Gefühle zu äußern und erziehen sie zu Menschen, die Gefühle unterdrücken – vor allem die angeblich negativen.

Unmotivierte Mitarbeiter auf Trab bringen

Wenn Sie regelmäßig mit Ärger auf Ihren Durchhänger-Azubi reagieren, dürfen Sie davon ausgehen, dass ihr Azubi ein Problem mit dem Gefühl Ärger hat.  Damit ist er nicht alleine. In unserer Kultur ist der arme Ärger ein Paria. Niemand will ihn haben. Er gilt als aggressiv, laut, hässlich und verletzend. Das kann er auch tatsächlich sein. Viele Menschen wollen nichts von ihm wissen und glauben tatsächlich, dass sie nie oder nur sehr selten ärgerlich sind. Harmonie ist doch viel angenehmer, entspannter und cooler.

Wie Sie Ärger nutzen

Ich habe nichts gegen Harmonie, solange sie real und nicht geheuchelt ist. Ich habe aber auch nichts gegen Ärger, solange er verantwortlich genutzt wird. Wenn ich durchhänge, brauche ich meinen Ärger, um diesen Zustand zu beenden. Ärger ist das Gefühl, dass mir Klarheit ermöglicht. In welchem Zustand bin ich denn heute? Aha: Ich hänge durch. Ärger ermöglicht mir auch Entscheidungen zu treffen: Will ich weiter durchhängen? Ja, dann tue ich es. Aber ich tue es, weil ich mich bewusst dafür entschieden habe.  Damit kann ich mich auch jederzeit für das Gegenteil entscheiden. Zum Beispiel jetzt. Ich habe es in der Hand. Ich muss nicht warten, bis mich jemand animiert, ich kann mich selbst motivieren, einfach weil ich genug vom Durchhängen habe. Und Ärger ermöglicht mir, Grenzen zu setzen. Zum Beispiel dem Gedanken, dass es doch viel cooler ist, weiter durchzuhängen. Ärger ist das Gefühl, dass mich zur Selbstdisziplin führt. Schluss mit chillig, jetzt mache ich was!

Unmotivierte Mitarbeiter brauchen Entschlossenheit.
Im Umgang mit unmotivierten Mitarbeitern ist Entschlossenheit gefragt.

Das Satzzeichen, mit dem wir Entschlossenheit zum Ausdruck bringen, ist nicht ohne Grund das gleiche, mit dem wir Ärger signalisieren: das Ausrufungszeichen. Genau deshalb führt Ärger zu Veränderung.

Mutig sein und Fragen stellen

Was machen Sie jetzt damit? Fragen Sie doch mal Ihren tiefenentspannten Azubi, was ihn ärgert, was ihm nicht gefällt. Schon klar, das kostet Mut. Beide übrigens. Sie müssen sich darauf einstellen, kritisches Feedback zu hören; ihr Azubi braucht Mut, um seinem Vorgesetzten gegenüber Klartext zu reden. Möglicherweise erfahren Sie auf diese Weise, was Ihrem unmotivierten Azubi fehlt. Wenn er behauptet, dass ihn überhaupt nichts ärgert, können Sie getrost davon ausgehen, dass er zwar glaubt, was er sagt, sich aber dennoch selbst belügt. Niemand führt ein Leben, das frei ist von Ärgernissen. Das ist eine Illusion.

Beziehung erschaffen

Und weil das gleiche auch für Angst und Trauer gilt, kann es durchaus sein, dass ihr Azubi aus irgendeinem Grund Trauer oder Angst empfindet und partout nicht darüber sprechen will. Dann ist es Ihre Aufgabe, ihm einen Weg dahin zu öffnen. Denn solange er damit beschäftigt ist, seine Gefühle zu unterdrücken, kann er sich kaum öffnen, sich beteiligen, sich zeigen. Das wäre viel zu riskant, weil sein Unterbewusstsein sehr genau weiß, dass er dann gesehen wird. Sobald wir mitmachen, uns beteiligen und uns zeigen, sobald wir mit Menschen in Beziehung treten, werden wir empathisch wahrgenommen. Dann ist Schluss mit der Geheimhaltung.

Umgang mit alten Entscheidungen

Viele professionelle Durchhänger haben irgendwann in ihrem Leben etwas über sich und die Welt entschieden. Das bringt doch alles nichts. Es ist eh nie gut genug, was ich tue. Ihnen fehlt die Erfahrung, dass Anstrengung mit Wertschätzung belohnt wird.

Solche und ähnliche Sätze sind Entscheidungen, die ihre Wurzel meist in der Kindheit haben. Beobachten Sie mal Eltern mit kleinen Kindern etwa an der Supermarktkasse. Ich erlebe immer wieder die gleiche Szene. Kaum beginnt Mama oder Papa damit, die Einkäufe aufs Band zu legen, will der Nachwuchs helfen. Kinder wollen ihren Beitrag leisten, das ist natürlich und großartig. Dumm nur, dass irgendjemand entschieden hat, dass es im Supermarkt schnell gehen muss. Mama und Papa wollen schnell bezahlen, damit niemand warten muss. Da bleibt keine Zeit für kleine Hände, die sich auch mal ungeschickt anstellen. „Lass das mal, ich mach das besser selbst“, heißt es dann, und der Nachwuchs lernt: Mein Beitrag ist nicht gut genug. Wer das oft genug erlebt, entscheidet früher oder später: „Es bringt nichts, wenn ich mich engagiere.“ Und macht sich das zur Haltung.

Anerkennung wirkt Wunder

Draus folgt, dass sie Ihrem durchhängenden Azubi genau das geben sollten, was er aus Ihrer Sicht am wenigsten verdient: Aussicht auf Anerkennung und Wertschätzung. Damit geben Sie ihm eine Chance, seine Haltung zu ändern. Er kann lernen, dass eben doch etwas bringt, sich anzustrengen, dass Leistung mit Wertschätzung und Anerkennung belohnt wird. Sie können ihm vermitteln, dass sein Beitrag wichtig ist, dass er wichtig ist.

Sehnsucht wecken

Wenn Sie das tun, wecken Sie eine Sehnsucht in ihm: die Sehnsucht nach Anerkennung. Machen wir uns nichts vor: Nach der sehnen wir uns alle. Wenn es Ihnen gelingt, diese Sehnsucht nach Wertschätzung wieder zu wecken, können Sie aufhören, darüber nachzudenken, wie Sie Druck auf Ihren Durchhänger ausüben.

Sie arbeiten stattdessen mit Sog. Das ist nicht nur eleganter, sondern auch wirkungsvoller. Man könnte den Unterschied so beschreiben: Druck ist von außen erzwungene Animation, Sog ist ureigene, innere Motivation. Zugegeben: Der Weg zum Sog ist oft länger und gewundener als der zum Druck. Dafür aber, müssen Sie ihn nicht ständig gehen, denn im Unterschied zum Druck erhält sich der Sog von selbst.

Dazu passt nichts so gut wie ein Zitat von Antoine de Saint-Exupéry, dem Autoren des Kleinen Prinzen.

„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“

Die eigene Warnehmung nutzen

Dabei geht es um nichts anderes als Sog = Sehnsucht. Aber auch der Anfang des Zitats hat es in sich. Wenn ich will, dass mein Azubi motiviert ist, muss ich erst einmal erkennen, dass ich etwas will (etwa ein Schiff bauen) und nicht mein Azubi. Wie bringen Sie ihn dazu, dass er es will? Entscheiden Sie sich dafür, Ihrem Azubi helfen zu wollen und gehen Sie mit ihm in Beziehung. Sprich: Interessieren Sie sich für ihn. Stellen Sie Fragen: Wie geht es dir? Warum siehst Du so niedergeschlagen aus? Was stört dich? Verlassen Sie sich auf Ihre Wahrnehmung und seien Sie offen für Antworten, die Ihnen nicht gefallen. Vor allem diese Antworten weisen Ihnen den Weg zu dem, was Ihrem Azubi fehlt. Vielleicht ist es Anerkennung, vielleicht Herausforderung, vielleicht Erfolg. Was es auch ist, Sie erkennen, was Ihrem Azubi fehlt. Wenn Sie seine Aufgaben mit dieser Sehnsucht verknüpfen, sind Sie auf dem richtigen Weg. Und Ihr Azubi auch.

Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.

© Matthias Stolla 2017