Druck und Stress – eine Unterscheidung
Wenn es wie hier um den Umgang mit Stress und Druck im Job geht, vergessen wir oft eines: Stress und Druck sind nicht dasselbe. Druck ist ein reales Phänomen. Wir stehen beispielsweise unter Zeitdruck oder haben viele Aufgaben mit vergleichbar hoher Priorität auf dem Schreibtisch liegen. Oder der Chef hat uns auf dem Kieker und wartet nur darauf, dass wir einen Fehler machen. Dann stehen wir unter Druck. Stress ist etwas anderes. Der Begriff steht für die Art und weise wie wir mit Druck umgehen. Deshalb sagen wir auch: Etwas oder jemand macht uns Stress. Gar nicht selten sind wir es selbst.
Zum Beispiel in der Ausbildung
Ein Bereich, in dem es naturgemäß immer wieder zu Stress und Druck im Job kommt, ist die Ausbildung. Viele Ausbildungsbetriebe sind stolz auf sich. Und mit Recht. Eine hohe Ausbildungsquote vorweisen zu können, das steht für soziales Engagement, man kümmert sich darum, dass junge Menschen einen Job bekommen, etwas lernen und sich entwickeln können. Das ist eine Investition in die Jugend und das wiederum verstehen viele Unternehmen als Investition in die Zukunft.
Wenn der Job Zeit und Nerven kostet
Da kann man auch nicht widersprechen, das ist alles gut und richtig. Tatsächlich sind das Gründe für eine Region, ihren Unternehmen dankbar zu sein. Wer aber ganz praktisch mit jungen Menschen in der Ausbildung zu tun hat, muss sich mitunter beherrschen, um nicht auch ganz andere Sätze zu formulieren. Denn Azubis kosten Zeit, vor allem am Anfang sorgen sie für Stress und Druck im Job.
Was Ausbilden bedeutet
Früher hießen Auszubildende schlicht und ergreifend Lehrlinge, was zweierlei zum Ausdruck brachte. Erstens, sie sollten lernen, was sie, zweitens, noch nicht konnten. Damit ist klar, Lehrlinge und auch heute Auszubildende, sind zunächst einmal „Nicht-Könner“. Und das per Definition. Sie wissen nicht, was zu tun ist, und sie wissen nicht, wie es zu tun ist. Daraus folgt: Sie sollen es lernen. Und daraus folgt: Sie müssen angeleitet, sie müssen ausgebildet werden.
Ausbilden kostet Zeit und fordert Geduld
Und wer mit neuen Azubis oder auch Praktikanten arbeitet, der weiß, zunächst mal sind sie keine Hilfe, weil sie gerade deshalb Zeit kosten. Ich muss ihnen alles erklären, muss sie anleiten. Vor allem wenn sie ohne elementares Wissen im Betrieb anfangen. Joachim Baumann, Ausbilder bei der Kratschmayer Kälte-Klima-Lüftung GmbH im hohenlohischen Waldenburg weiß, wie viele seiner Kollegen auch, ein Lied davon zu singen.
Ganz banale Kenntnisse gefragt
Joachim Baumann: „Da wir ein Handwerksbetrieb sind, ist es für uns natürlich wichtig, dass die jungen Menschen mit handwerklichen Fähigkeiten zu uns kommen, sprich sie sollten wissen, z.B. was ein Akkuschrauber ist, also ganz banale Dinge, die die Jugend früher sich selbst beigebracht hat. Früher hat man auf dem Sperrmüll ein Fahrrad geholt, es zerlegt und was draus gebastelt, z.B. eine Seifenkiste oder etwas in der Richtung. Solche Dinge fehlen unseren Azubis. Wir nehmen uns natürlich die Zeit, ihnen das beizubringen, aber das ist für uns als Betrieb natürlich mühselig“
Wie Mühe selig machen kann
„Mühselig“, sagt Joachim Baumann. Mühselig ist ein interessantes Wort. Im Mühselig steckt „Mühe“ aber auch „Seligkeit“. Warum eigentlich, wird sich manch ein genervter Ausbilder fragen, weil er das zweifelhafte Vergnügen hat, mit jedem neuen Ausbildungsjahrgang wieder bei null anfangen zu dürfen. Was soll daran bitteschön selig machen?
Aller Anfang ist schwer
Tatsächlich ist der jährliche Turnus mit großer Gefahr verbunden. Ich kenne das aus eigener Erfahrung im Umgang mit Azubis. Ich habe viele Berufsanfänger von Anfang an geführt und begleitet, ihre Entwicklung mitgestaltet und verfolgt. Und am Anfang war es mitunter mühsam. Am Ende des ersten Jahres bestand dagegen immer wieder Grund zur Seligkeit. Weil die Lernschritte der Auszubildenden sichtbar wurden und weil dadurch klar wurde: Die Mühe hatte sich gelohnt!
Neuanfang ist noch schwerer
Danach kam in der Regel der schwierige Part. Der Neuanfang mit dem nächsten Jahrgang. Also wieder zurück auf Los und ganz von vorne anfangen. Nicht selten tatsächlich bei null. Joachim Baumann geht es da als Ausbilder bei der Kratschmayer Kälte-Klima-Lüftung GmbH im hohenlohischen Waldenburg mit seinen rund 30 Azubis nicht viel anders. Er erlebt hin und wieder Überraschungen – und mitunter auch Stress und Druck im Job.
Beispiel für ein No-Go
Joachim Baumann: „Also grundsätzlich muss ich sagen, es gibt da solche und solche Charaktere. Der krasseste Fall, den ich selbst erlebt habe, war, dass ein junger Mensch, der bei uns Praktikum gemacht hat, vor mir stand, und wir haben das Abschlussgespräch von der Praktikumswoche durchgeführt, und er hat dabei auf dem Handy rumgespielt. Das war für mich als geplanter, zukünftiger Ausbilder natürlich ein No-Go.“
Stress und Druck im Job
Die hohe Kunst im Ausbilderdasein ist vermutlich, jeden neuen Azubijahrgang für sich zu betrachten. Tatsächlich unterliegen gar nicht wenige Ausbilder der mechanischen Gewohnheit, vom vorausgehenden Jahrgang auf den Nachfolgenden, also auf die Anfänger zu schließen. Wer das tut, programmiert sich selbst auf Enttäuschung. Denn die Erwartung, der neue Jahrgang müsse dort beginnen, wo der vorhergehende gerade aufgehört hat, ist bei näherer Betrachtung eher unvorteilhaft. Wenn dem so wäre, wäre auch die Arbeit des Ausbilders wirkungslos und damit unnötig.
Jonglieren lernen – Prioritäten setzen
Was Ausbilder brauchen, um jedes Jahr nicht aufs Neue Opfer dieser programmierten Enttäuschung zu werden, ist ein Bewusstsein dafür, dass sie als Ausbilder eine besondere Aufgabe haben. In aller Regel ist es ja eine Doppelfunktion. Sie sind Ausbilder und zudem IT-Experte, Vertriebler, Mediengestalter, Handwerker oder was auch immer. Vor allem in Stresssituationen kommen sie in einen Konflikt, weil es schwierig ist, beide Aufgaben unter einen Hut zu bringen.
Entscheiden, was im Vordergrund steht
Für Menschen in Doppelfunktionen habe ich eine entspannende Nachricht. Zwei Aufgaben zu haben ist wie Jonglieren. Man kann nicht immer jeden Ball in der Hand haben. Manchmal steht die eine Aufgabe im Vordergrund, manchmal die andere. Manchmal ist es wichtiger, der fachlichen, betrieblichen Aufgabe, dem Sachzwang zu folgen, manchmal ist die Ausbildungsfunktion die, die im Vordergrund stehen sollte.
Mechanische Entscheidungen
Entscheidend für den langfristigen Erfolg ist, dass ich mir als Ausbilder immer darüber im Klaren bin, dass ich nicht nur ein fachliches Aufgabengebiet habe, sondern, dass ich eben auch Ausbilder bin. Sonst ist die Gefahr groß, dass ich, gerade wenn ich Stress und Druck im Job erlebe, dass ich immer mechanisch der fachlichen Aufgabe den Vorzug gebe.
Bewusst entscheiden
Dabei sollte aber auch klar sein, es gibt durchaus Situationen, wo es gilt, dem Sachzwang zu folgen. Fristen müssen eingehalten werden, Aufgaben müssen korrekt erledigt werden. Gar keine Frage. Und dennoch macht es einen großen Unterschied, ob ich grundsätzlich dem Sachzwang folge, oder ob ich mich bewusst dafür oder dagegen entscheide.
Was ist das höhere Gut?
Meine Empfehlung ist: In Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen, ob wir dem Sachzwang folgen oder ihn zurückstellen, um unserem Azubi etwas beizubringen, uns selbst immer eine kleine Frage stellen. Sie lautet: Was ist gerade das höhere Gut? Das bedeutet im Grunde nichts anderes als: In welcher Funktion bin ich gerade vor allem gefragt? Als IT-ler, als Verkäufer, als Vertriebler, als Produktdesigner oder als Handwerker, oder eben als Ausbilder? Was steht im Vordergrund? Die Erfüllung der Aufgabe, das Einhalten der Frist oder der Lerneffekt bei meinem Azubi?
Von Fall zu Fall entscheiden
Und nochmal, keine Antwort ist per se falsch oder richtig. Die Entscheidung kann grundsätzlich in beide Richtungen gehen, und ich glaube, das ist die besondere Herausforderung, vor der Menschen in Doppelfunktionen stehen. Sie müssen permanent entscheiden: Bin ich jetzt Ausbilder oder bin ich jetzt IT-ler oder Vertriebler?
Nicht immer dem Sachzwang folgen
Ich glaube, dass Menschen in Druck- oder Stresssituationen grundsätzlich in den Funktionsmodus schalten, das heißt grundsätzlich erstmal dem Sachzwang folgen. Daran ist auch nichts falsch. Aber gerade weil das mehr oder weniger automatisch oder mechanisch geschieht, ist es wichtig, sich vor der Entscheidung eine bewusste Frage zu stellen. Was ist das höhere Gut?
Dem Lernenden die nötige Zeit geben
Ich mache das z.B. auch im Privatbereich, etwa wenn mir kleine Kinder im Haushalt oder bei der Gartenarbeit helfen. Sie machen das grundsätzlich gerne, wenn wir Erwachsene sie lassen und nicht entmutigen, indem wir ihnen erklären, was sie alles falsch oder zu langsam machen. Und natürlich wäre die Arbeit schneller erledigt, wenn ich sie alleine tun würde. Aber darum geht es nicht. Wenn ich mich dafür entscheide, dass der kleine Junge, oder das kleine Mädchen an meiner Seite etwas lernt und sei es nur, dass sein Beitrag, seine Hilfe wichtig ist, dann entscheide ich mich dafür, die Zeit Zeit sein zu lassen und gebe dem höheren Gut, nennen wir es mal dem pädagogischen Effekt, den Vorrang. Und genau so funktioniert es auch in der betrieblichen Ausbildung.
Erst bezahlen, dann profitieren
Ausbilder können sich in jeder Situation bewusst die Frage stellen: Was ist das höhere Gut? Dass die Aufgabe schnell und korrekt erledigt ist oder dass ihr Azubi etwas lernt? Oder auch beides? Aber dann werden sie sich dennoch Zeit nehmen müssen, um ihrem Azubi beizubringen, wie es geht. Wir erinnern uns: Ausbildung gilt als Investition in die Zukunft. Investieren wiederum bedeutet: zuerst bezahlen, dann profitieren. Je früher die Ausbilder damit anfangen, ihre Rolle bewusst wahrzunehmen und sich immer wieder daran erinnern, dass sie es sind, die investieren müssen, nämlich Zeit und Nerven, desto früher kommen sie in den Genuss des Profits und erleben wie ihre Azubis selbstständig arbeiten.
Umgang mit Stress und Druck im Job
Was aber, wenn ihr Azubi sie nicht nur Zeit, sondern inzwischen auch richtig Nerven kostet? Wenn er sie ärgert, wenn er partout nicht verstehen will, wie etwas zu erledigen ist, wenn er immer wieder die gleichen Fehler macht, wenn er nicht richtig zuhört, wenn er ihre Anweisungen nicht befolgt, etc. Wenn mich Ausbilder nach Rat für den Umgang mit solchen Situationen fragen, mache ich mich meistens unbeliebt.
Üblich: mich und andere stressen
Menschen reagieren unter Stress und Druck im Job in der Regel gleich, nämlich gestresst. Wir sind dann leicht reizbar, wir sind vor allem schrecklich ungeduldig und wir wollen, dass alles so schnell wie möglich funktioniert. Wir sind, weil wir so ungeduldig sind, in der Regel nicht in der Lage, das zu tun, was ansteht, z.B. klare und verständliche Anleitungen zu geben. Für all das können unsere Auszubildenden in der Regel gar nichts. Unser Stress und Druck im Job haben nur ganz, ganz selten etwas mit den Auszubildenden zu tun.
Besser: den Druck beim Namen nennen
Den Stress machen wir uns in der Regel selbst im Kopf, der Druck kommt von außen. Wie wir damit umgehen entscheiden nicht unsere Auszubildenden, sondern wir selbst. Je bewusster ich als Ausbilder mit meinem Stress oder mit dem Druck von außen umgehe, desto eher bin ich in der Lage, ihn zu benennen, das heißt, meinem Auszubildenden auch mal zu sagen: „Du, hör zu, ich stehe gerade brutal unter Druck, oder ich habe einen riesen Stress wegen der neuen Aufträge, ich bin gerade nicht in der Lage, so geduldig wie sonst mit dir umzugehen.“ Wenn das ausgesprochen ist, weiß zum einen mein Auszubildender, dass mein Unmut und meine ungeduldige Zickigkeit überhaupt nichts persönlich mit ihm zu tun haben. Und ich selbst habe mir etwas bewusst gemacht und kann somit darauf achten.
Willkommen im Teufelskreis
Wenn ich meiner zickigen Ungeduld unter Stress und Druck im Job nur unbewusst folge, dann habe ich keine Chance, mein Verhalten bewusst zu kontrollieren. Wenn ich’s benenne, kann ich das. Und nur dann bin ich in der Lage, ganz bewusst aus diesem seltsamen, irrationalen Kreis auszusteigen, in dem Menschen in Stress- und Drucksituationen oft sind. Ich spreche von dieser seltsamen Situation, in der wir uns unglaublich unter Stress erleben und gleichzeitig und eben auch unbewusst alles dafür tun, um diesen Druck, um diesen Stress aufrecht zu erhalten.
Schnell bedeutet nicht immer gut
Ein Beispiel: Ich stehe unter Zeitdruck und ich muss unglaublich schnell mit meiner Aufgabe fertig werden. Ich möchte, dass mein Azubi mir dabei hilft. Ich erkläre ihm mal schnell, was er zu tun hat und muss dann prompt erleben, dass meine Erklärung zu schnell und vor allem zu ungenau war und dass ich nicht klar gesagt habe, was ich von meinem Azubi brauche, nämlich seine volle Aufmerksamkeit, einen Stift in seiner Hand und einen Block, auf den er sich auch aufschreibt, was Punkt für Punkt zu erledigen ist.
Klarheit ist gefragt
Sie werden nicht glauben, wie vielen Ausbildern ich klar machen muss, dass sie sagen müssen, was sie brauchen, weil sie sonst das erleben, was sie tagtäglich mitmachen: Enttäuschung. Ausbilder müssen ihren Auszubildenden sagen, was sie von ihnen erwarten. Klipp und klar. Aber gerade das geht nicht zwischen Tür und Angel, hoppla-hopp zwischendurch. Das erfordert einen Ausbilder, der in der Lage ist, aus dem Teufelskreis des Stress‘ und Drucks auszusteigen, Stopp zu sagen und eine klare Ansage in Ruhe zu machen, der ein Azubi mit einer vollen Aufmerksamkeit folgen kann.
Vorbild unter Stress und Druck im Job
Von einem Ausbilder, der unter Stress und Druck im Job nur auf Auszubildenden herumhackt, lernt ein Azubi nichts Gutes. Von einem Ausbilder, der sich aber selbst in Frage stellen kann, der sich seiner Befindlichkeiten bewusst ist, sie benennen kann und Verantwortung dafür übernimmt, lernt ein Auszubildender, was es bedeutet verantwortlich und erwachsen zu sein. Und ich glaube, das ist grundsätzlich das höchste Gut, auch in einem Unternehmen.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
© Matthias Stolla 2017