Keiner will Konflikte im Team
Ich beginne radikal ehrlich – radikal ehrlich. Im Grunde mag ich keine Konflikte. Und ich bin überzeugt, dass ich damit nicht alleine bin. Ob in Familien- oder Paarbeziehungen, ob in der Freizeit oder bei der Arbeit – im Grunde wollen wir doch vor allem eines: in Ruhe unsere Arbeit machen. Und am besten geht das ohne Konflikte. Dumm nur, dass wir nicht alleine sind, und unsere Mitmenschen immer wieder mit Konflikten stören. Und ebenfalls dumm, dass es unseren Mitmenschen genauso geht. Mit uns. Da hilft nur eines: gut trainierte Konfliktfähigkeit. Nur wer bereit ist, Konflikte im Team anzusprechen kann sie lösen.
Die Fähigkeit, verantwortungsvoll zu streiten, kann man tatsächlich üben. Sie ist gerade auch im Berufsleben von großer Relevanz, denn Mitarbeiter, die Konflikte verdrängen tun weder sich selbst noch ihren Kollegen einen Gefallen. Auf lange Sicht vergiften sie das Klima.
Alle wollen Harmonie
Eine der häufigsten Urachen für Konflikte im Team ist der Wunsch, Harmonie zu erleben. Daran ist nichts falsch. Harmonie ist schön. Wenn sie echt ist. Je mehr Konflikte wir verdrängen, desto falscher wird die angebliche Harmonie. Wir Menschen sind nur in begrenztem Umfang dazu in der Lage, unseren Mitmenschen etwas vorzumachen. Wenn wir nicht direkt ansprechen, was uns stört, tun wir's früher oder später indirekt: wir werden zickig, schnippisch, ablehenend oder schweigen vielsagend.
Schweigen ist nicht Silber
Viele von uns wünschen sich vor allem bei der Arbeit Harmonie. Denn die stört nicht und ist in der Regel leise. Tatsächlich glauben viele Menschen, dass Schweigen Konflikte im Team verhindert. Das ist ein Irrtum, denn es führt nur dazu, dass wir anderen Ausdrucksformen benutzen, um unsere Konflikte auszutragen:
Mit dem red‘ ich doch gar nicht! Warum schaut denn die schon wieder so komisch zu mir rüber? Der hat doch irgendwas, aber das beachte ich gar nicht. Die lade ich nicht zu meiner Geburtstagsfeier ein. Menschen, die so argumentieren, ziehen sich schnell in ihr Schneckenhaus zurück und bleiben dort.
Die harte Wahrheit ist: Wo Menschen zusammen sind, gibt es Konflikte. Ob sie laut oder leise ausgetragen werden, ist nicht so wichtig. Tatsache ist: Sie sind da. Wer das nicht anerkennen will, sollte sich nach einer einsamen Insel umschauen und wird dort möglicherweise lernen, dass es auch dort Konflikte gibt: mit dem Wetter, das nicht so ist, wie ich es gerne hätte. Mit dem Fisch, der sich partout nicht fangen lassen will, oder noch schlimmer mit dem inneren Schweinehund und den eigenen Glaubenssätzen.
Wenn Sie mich fragen, ich bleibe da lieber in der Gesellschaft von Menschen und trage meine Konflikte mit ihnen aus als mit meinem inneren Schweinehund oder den nicht so netten Glaubenssätzen über mich selbst. Deshalb trainiere ich Konfliktfähigkeit. Meine eigene sowie die meiner Klienten bzw. Trainingsteilnehmer. Konfliktfähigkeit ist ein wesentliches Element von Beziehungskompetenz, und die braucht jeder, der mit Menschen zusammenarbeitet. Vor allem jene, die andere Menschen führen.
Konflikte im Team folgen festen Regeln
Und da sind wir auch schon mitten drin im Thema. Ob Sie es glauben oder nicht: Fast jedes Mal, wenn Sie
Menschen im Konflikt beobachten, können Sie davon ausgehen, dass es nicht um das geht, worum es zu gehen scheint. Egal, wie heftig sich beide streiten oder vielmehr gerade wenn es heftig zugeht, ist das Thema an der Oberfläche nicht das, was für Heftigkeit sorgt. Es geht um Tieferes. Und auch wenn Sie es nicht gerne hören: Das ist auch so, wenn Sie sich selbst beim Streiten beobachten.
Ehe ich jetzt verrate, worum es tatsächlich geht, lassen Sie uns zunächst anschauen, wie wir uns im Konflikt verhalten.
Nahezu jeder Konflikt folgt bestimmten Regeln.
Zum Beispiel so:
Jan, Ihr Azubi, kommt zu spät zur Arbeit.
Sein Ausbilder Bernd stellt ihn zur Rede:
„Du bist schon wieder zu spät. So geht das nicht weiter.“
Jan entgegnet:
„Ich kann doch nichts dafür, mein Wecker hat nicht geklingelt und der Bus kam zu spät.“
Bernd grummelt, „Dir fällt auch immer eine Ausrede ein“, und wendet sich ab. Den restlichen Tag über sprechen die beiden kein Wort mehr miteinander.
Schön, könnte man sagen. Endlich Ruhe, und die beiden machen ihren Job. Aber ist diese Ruhe Harmonie?
Eben.
Möglicherweise bemerken Jans Azubikollegen, dass irgendetwas nicht stimmt und versuchen, Jan aufzuheitern.
Willkommen im Drama
So weit so gut. In diesem rein fiktiven, aber sicher sehr realistischen Konfliktbeispiel gibt es drei Rollen, die der amerikanische Psychoanalytiker Steven Karpman beschrieben hat einen Verfolger, ein Opfer, einen Retter. Alle drei bilden ein Dreieck, das Drama-Dreieck frei nach Steven Karpman.
Dieses psychologische Modell lässt sich auf Konflikte im Team anwenden. Jede der drei Rollen erfüllt einen bestimmten Zweck.
Der Verfolger
Bernd ist der Verfolger. Was waren seine Worte:
„Du bist schon wieder zu spät. So geht das nicht weiter.“
Das ist eine klassische Verfolger-Aussage. Ihre wichtigsten Bestandteile sind die Worte „Du“ und „schon wieder“. Im Kern drückt sie folgendes aus: Du hast etwas falsch gemacht. Du bist nicht okay.“
Bernd sagt das nicht in Worten, aber wir können sicher sein, das die Botschaft bei Jan ankommt. Zumindest sein Unterbewusstsein hat beide Lauscher aufgestellt und hört alles.
Das Opfer
Was entgegnet Jan?
„Ich kann doch nichts dafür, mein Wecker hat nicht geklingelt und der Bus kam zu spät.“
Daran ist nichts falsch, wir könne sogar davon ausgehen, dass Jan die Wahrheit sagt. Für den tatsächlichen Konflikt ist das aber unerheblich.
Interessant ist, was Jan zwischen den Zeilen zum Ausdruck bringt. Zunächst mal begründet er sein Zuspätkommen. Das haben wir alle gelernt. Jeder, der die Schule besucht hat, weiß, dass ein guter Grund die Chance erhöhte, ungeschoren davon zu kommen. Wer beispielsweise eine behinderte Mutter hat, darf sich über ein kaum schlagbares Ausreden-Abo freuen. Je besser und einleuchtender unser Grund, desto größer die Chance auf Freispruch.
Jan weiß das und begründet sein Zuspätkommen. Die wichtigsten und entlarvenden Worte seiner Entgegnung sind: „Ich kann doch gar nichts dafür.“ Das ist klassische Opferkommunikation. Jan verfolgt ein Ziel: Er will das, was wir alle wollen: okay sein.
Wie das Opfer Verantwortung meidet
Daran ist nichts falsch. Jan will nicht bestraft werden, auch nicht mit Gegrummel, mit bösen Blicken. Er will auch nicht, dass sein Ausbilder schlecht über ihn denkt. Niemand will das.
Also macht Jan, was er, was wir alle, gelernt haben: Er gibt die Verantwortung für sein Handeln ab: an den defekten Wecker, an den Busfahrer, an den Straßenverkehr.
Zumindest teilweise kommt er damit durch. Bernd, sein Ausbilder, gibt auf. Er grummelt zwar etwas in seinen Bart, aber zumindest vordergründig ist Jan aus der Nummer raus.
Warum im Drama keiner glücklich wird
Tatsächlich aber ist keiner so richtig glücklich damit, wie die Sache gelaufen ist. Bernd ist genervt, weil er bei Jan nichts erreicht. Jan fühlt sich unwohl, weil irgendetwas nicht okay ist. Etwas ganz Wichtiges nämlich: er selbst. Denn seine Opferkommunikation hat eine zwischen den Zeilen versteckte Geheimbotschaft transportiert:
„Ich kann doch gar nichts dafür“ bedeutet „Ich bin nicht verantwortlich für mein Handeln.“ Und „Ich bin nicht verantwortlich für mein Handeln“ bedeutet nichts anderes als „Ich bin nicht okay.“ Möglicherweise wälzt Jan gerade einen gar nicht so abwegigen Gedanken: „Immer hackt der Bernd auf mir herum.“ Solche und ähnliche „Immer-krieg-ich-auf-die-Mütze“-Aussagen sind Hochleistungsopfer-Sprüche. Die anderen sind verantwortlich. Ich kann nichts dafür. Da scheint ein Vorwurf an „die anderen“, also beispielsweise an unseren Ausbilder Bernd mitzuklingen: Der hackt auf mir herum – ist gleich - der ist nicht okay. Unser Unterbewusstsein hört aber auch den Vorwurf an uns selbst: Ich bin nicht okay, weil ich keine Verantwortung übernehme. Und weil ich dauernd Vorwürfe bekomme.
In diesem Teufelskreis können gute Opfer ganze Leben verbringen. Das Schöne daran ist: Es gibt keine unliebsamen Überraschungen mehr. Jeder Konflikt endet unweigerlich im Drama. Und Opfer kontrollieren das Drama. Ohne sie gibt es gar kein Drama. Richtig geübte Opfer suchen geradezu nach Verfolgern, mit denen sie ein Drama beginnen können. Und wenn gerade keine Menschen zur Verfügung stehen? Egal! Profi-Opfer fühlen sich von allem verfolgt: vom Wetter, der Politik, dem eigenen Unvermögen, dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest. Wer jammern will, findet bejammernswerte Umstände.
Der Retter
Welche Rolle spielen eigentlich Jans Azubikollegen in unserem Drama? Die, von der viele glauben, sie sei die gute: den Retter. Retter sind beliebt. Sie stehen für den Ritter in schimmernder Rüstung, der auf seinem edlen Ross herangaloppiert, sein klingendes Schwert aus der Scheide zieht und uns von allem Übel erlöst. Was bitte soll daran schlecht sein?
Ehrliche Antwort?
Gerne: nichts.
Jans Ausbildungskollegen wollten ihn aufheitern, vielleicht indem sie ihn ablenken. Das ist lieb gemeint und kann auch funktionieren, aber die Rettungsaktion hat eine unschöne Nebenwirkung: der Retter stellt sich immer über das Opfer. Denn seine unterschwellige Kommunikation ist: „Ich rette dich, denn du alleine kannst es nicht.“ Sprich: „Ich bin okay, aber du nicht.“ Und Opfer-Ohren hören das. Das kann ich Ihnen versichern.
Warum Retten nicht besser ist
Es macht übrigens einen großen Unterschied, ob Jan danach fragt, aufgeheitert zu werden oder nicht. Wenn er fragt, übernimmt er Verantwortung für sich selbst. Ein Profi-Retter wird darauf nicht warten. Er rettet, nicht weil er Jan etwas Gutes tun will, sondern sich selbst: Als toller Retter dazustehen, oder vielleicht auch nur, weil er Jans Traurigkeit nicht aushalten kann. Retter retten ungefragt.
Am Retter ist nichts schlecht. Genauso wenig wie am Verfolger und am Opfer. Es sind nur Rollen, die eine ganz bestimmte Entwicklung beschleunigen: Wir werden älter.
Im Drama gibt es keine Lösung
Wirklich: Im Drama passiert sonst gar nichts. Kein Drama löst sich von selbst auf, keiner wird glücklicher oder unglücklicher als er es ohnehin schon ist und keiner wird schlauer oder weiser als er es ohnehin schon war. Im Drama gibt es weder Erlösung noch Wachstum und folglich auch nie eine Lösung für Konflikte im Team.
Wenn Sie daran zweifeln, beobachten Sie mal, wie oft sie Konflikte im Team austragen, die immer dem gleichen Muster folgen. Einer weint, der andere verlässt verärgert den Raum. Oder einer schweigt, und der andere fühlt die schale Freude darüber, das letzte Wort zu haben. In der Regel sind das Konflikte, nach denen später keiner mehr weiß, was eigentlich der Auslöser war. Wissen Sie warum? Weil das Thema an der Oberfläche komplett irrelevant ist.
Und nur um nochmal an den Konflikt zwischen Jan und seinem Ausbilder Bernd zu erinnern: Der bleibt ungelöst.
Der Blick auf die eigene Konfliktfähigkeit
Wenn Sie diesen Podcast optimal nutzen wollen, gönnen Sie sich den Spaß und überlegen Sie sich, welche der drei Rollen im Drama Ihr Favorit ist. Sind Sie am liebsten Verfolger, Opfer oder Retter? Wir haben alle unsere Lieblingsrolle. Das bedeutet nicht, dass wir nicht auch in die anderen beiden schlüpfen können. Das tun wir mitunter auch mehrmals in ein und demselben Drama und hüpfen munter im Dreieck umher. Das macht ja den Reiz der Sache aus, den Dramen fühlen sich lebendig an. Wir fühlen etwas, können andere oder uns selbst beschuldigen oder retten. Genau deshalb lästern wir gerne über andere, jammern wir gerne über das Wetter oder die Politik oder fordern andere auf, jetzt wieder lieb zueinander zu sein.
Und am folgenden Tag geht alles wieder von vorne los: In der Paarbeziehung, in der Familie, mit den Freunden, im Unternehmen.
Schönes Leben noch.
Das Modell des Drama-Dreiecks kann uns helfen, uns besser kennenzulernen. Aber nur, wenn wir achtsam sind und nicht Opfer des Modells werden. Das passiert schneller als manchem lieb sein dürfte. Wenn wir erkennen, dass wir uns gerade mitten in einem Drama befinden, kann die Versuchung, uns selbst dafür zu verurteilen, übermächtig werden. „Ich bin im Drama, also bin ich nicht o.k.“, sagen wir dann und erkennen erst einmal nicht, dass wir uns selbst zum Opfer machen. Willkommen im nächsten Drama.
Wie Sie Dramen verhindern
Wenn Sie das nicht wollen, wird Sie die Frage interessieren, wie Sie Drama verhindern.
Dazu müssen Sie Schritt für Schritt vorgehen.
- Schritt eins - Erkennen, ich bin im Drama.
- Schritt zwei - Fragen Sie sich: Welche Rolle spiele ich gerade?
- Schritt drei - Akzeptieren Sie, dass Sie im Drama sind.
Kurze Zwischenfrage: Akzeptieren, wie macht man das?
Indem Sie darauf verzichten, sich zu verurteilen.
- Für Schritt vier haben Sie sechs Möglichkeiten zur Auswahl:
- Hören Sie zu.
- Verzeihen Sie.
- Teilen Sie sich mit.
- Setzen Sie Grenzen.
- Schenken Sie Anerkennung.
- Nehmen Sie an, was ist.
Je nach Situation ist mal das eine, mal das andere angemessen. Der Fachbegriff für diese Aktionen lautet Verantwortliches Handeln. Für welche Sie sich auch entscheiden, Sie belassen die Verantwortung für ihr Handeln dort, wo sie hingehört: bei Ihnen.
Konflikte im Team in der Praxis
Auf unser Beispiel mit Jan angewandt kann das so aussehen. Vor ein paar Wochen kam ein realer Azubi zu spät zum zweiten Tag meines Trainings. Er hieß nicht Jan, aber belassen wir es bei unserem Beispielnamen.
Jan stürzt in den Seminarraum und erklärt: „‘Tschuldigung, dass ich zu spät komm‘, der Bus hatte Verspätung.“
Ich bitte ihn, den Raum wieder zu verlassen, die Türe zu schließen, sie wieder zu öffnen und wieder einzutreten mit den Worten: „Hallo, tut mir leid, dass ich zu spät komme.“
Sonst nichts.
Verantwortung fühlt sich erwachsen an
Ich frage Jan, ob er sich in dieser Situation kleiner oder größer fühle als zuvor. Er stutzt und meint: „Größer, irgendwie erwachsener.“
Und darum geht es. Jan hat mitgeteilt, wie es ihm geht: Es tut mir leid. Und hat damit Verantwortung für sein Zuspätkommen übernommen.
Hätte ich wissen wollen, wie es dazu gekommen war, hätte ich ihn gefragt.
Seine ungefragt hervorgebrachten Begründungen hatten nur einen Zweck: Verantwortung abgeben, okay sein wollen. Ein Schuss, der immer nach hinten losgeht.
Also: Wann immer sie etwas verbockt haben, beantworten sie keine ungestellten Fragen. Die stärken Ihre Position nicht. Wer Gründe braucht, ist nicht erwachsen. Das ist nur der, der Verantwortung übernimmt. Tun Sie’s auch und leben Sie es vor in Ihrem Betrieb.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
© Matthias Stolla 2016