Beziehung ist alles - Warum eigentlich?
Teil 5 der Serie über Beziehungskompetenz ist ein Interview. Der langjährige Schulleiter Wolfgang Neumann kommt darin zu Wort und sagt Überraschendes: Für ist nicht die fachliche Kompetenz eines Lehrers der entscheidende Faktor, sondern etwas anderes: Beziehung ist alles.
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Mangel und Überfluss
Wenn ich mit Ausbildern oder Personalern spreche und die Rede auf die jungen Menschen, auf das Berufsnachwuchs kommt, gibt es zwei interessante Äußerungen. Die eine beklagt Mangel, nämlich den Mangel an Schlüsselqualifikationen wie
- Verantwortlichkeit
- Zuverlässigkeit
- Verbindlichkeit
- die Fähigkeit sich selbst Ziele zu setzen und diese zu verfolgen.
Die andere Klage bezieht sich auf einen Überfluss. Nämlich die viele Zeit und die viele Aufmerksamkeit, die junge Menschen digitalen Medien schenken. Oder wie ich das kurz zusammengefasst öfters höre: Die schauen nur auf ihr Handy!
Munter digital unterwegs
Dabei fällt auf, dass etwas nicht so recht funktioniert: die gewünschten Schlüsselfunktionen. Und es gibt etwas, das zu gut funktioniert, nämlich die, nennen wir es mal vorsichtig, die Medienkompetenz der Digital Natives, also unserer jungen Leute, die im digitalen Zeitalter geboren sind und sich dort so munter bewegen, wie der Fisch im Wasser.
Beziehung in der Schule
Einer der diese Entwicklung aus nächster Nähe beobachtet hat und immer noch beobachtet ist Wolfgang Neumann. Neumann ist 64 Jahre alt, lebt in Schwaigern, bei Heilbronn und war 13 Jahre lang Leiter der Selma-Rosenfeld-Realschule in Eppingen. Er sagt: Beziehung ist alles! Das klingt vielleicht ein bisschen ungewöhnlich für einen Lehrer, wenn auch für einen ehemaligen Lehrer. Neumann ist zudem ausgebildeter Coach und interessiert sich schon allein deshalb für das Thema Beziehungskompetenz.
Schlecht abgeschnitten
Natürlich interessiert sich ein ehemaliger Lehrer auch für den bundesweiten Vergleich der Grundschulen. Bei dem hat Baden-Württemberg 2017 sehr schlecht abgeschnitten. Das hat Wolfgang Neumann, wie er mir bei einem Gespräch erzählt hat, erstens nicht überrascht und zweitens, ist er sich ziemlich sicher, dass es viel mit dem Thema Beziehung zu tun hat. Doch der Reihe nach.
Keine Überraschung
Wolfgang Neumann: "Überrascht hat mich es mich deswegen nicht, weil in vielen Elternhäusern grundlegende Fähigkeiten wie, das Geben von Strukturen, ordentliches Sprechen oder Schnürsenkel Binden nicht mehr vermittelt werden. Diese Fähigkeiten bringen sie in der Form für die Grundschule nicht mehr mit, so wie sie das früher gemacht haben. Das hat mich auch nicht überrascht, wegen der wachsenden Heterogenität in Grundschulen. Außerdem ist noch die Inklusion in den Grundschulen dazugekommen. Und durch diese zusätzliche Belastung haben die Lehrer aber keine Entlastung bekommen. Das wäre also die Aufgabe des Landes gewesen hier für entsprechende Ressourcen zu sorgen um den Lehrern Fördermöglichkeiten zu geben. Hinzu kommt, dass Grundschulen einen hohen Mangel an Lehrers haben und zum Teil auch Ruheständler in Grundschulen eingesetzt werden."
Unerfüllte Erwartungen
Damit sind gleich zwei Parteien angesprochen, einmal die Eltern, die nicht mehr das leisten, was die Schule und später auch die Wirtschaft von ihnen erwartet, in erziehungstechnischer Hinsicht und zum anderen und vor allem die Schulpolitik.
Verheerende Bildungspolitik
Wolfgang Neumann: "Ich halte die gegenwärtige bildungspolitische Situation, auch auf weiterführenden Schulen, für sehr verheerend. Wenn wir betrachten, wir haben viele Unterrichtsausfälle, wir haben viel Verunsicherung durch die ständigen Reformen in der Schule, die führten zu Verunsicherung unter den Lehrern und zu einer hohen Belastung. Ich halte das für unverantwortlich im Hinblick auf den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Hier ist dringend Handlungsbedarf geboten."
Beziehung ist alles - aber nicht überall
Neumann stört sich daran, dass sich die Schulpolitik gerne mit Aufwendungen und Ausgaben in Sachen Digitalisierung in den Vordergrund stellt, während sie gleichzeitig den Bereich Beziehungskompetenz vernachlässigen. Dabei ist Wolfgang Neumann alles andere als ein Technik-Feind. Und doch hält er daran fest: Beziehung ist alles.
Den Umgang lernen
Wolfgang Neumann: "Von Haus aus bin ich sehr an Technik interessiert, mich hat die moderne Technik auch sehr fasziniert. Doch wie jede Medaille hat auch die Technik zwei Seiten. Eine positive Seite und auch eine negative Seite, auf die man besonderes Augenmerk richten muss. Und vor allem mit moderner Technik, mit Digitalisierung muss man auch lernen richtig umzugehen."
Digitalisierung allein reicht nicht
Dahinter verbirgt sich eine Erkenntnis, die heute nicht immer auf offene Ohren stößt. Digitalisierung allein macht eben nicht zukunftsfähig. Tatsächlich ist es nicht einmal die halbe Miete, wenn junge Leute in Schulen lernen, wie sie mit digitalen Medien umgehen. Zu Medienkompetenz gehört auch, dass ich weiß was ich mit digitalen Medien nicht tue und - das wird oft vergessen - was ich alles ohne sie tun kann.
Beziehung erschaffen
Anstatt mich hinter meinem Smartphone zu verstecken, kann ich zum Beispiel mit meinem Mitschüler oder mit meinem Kollegen ein Gespräch anfangen. Mit ihm in Beziehung treten. Ihn fragen, wie es ihm geht, ob er Hilfe braucht, ob ich irgendwas tun kann. Ich kann aber auch einfach mal Leute beobachten, oder die Welt beobachten und schauen, ob mich das in irgendeiner Form inspiriert.
Langeweile aushalten und nutzen
Ich kann mich sogar langweilen. Ich kann mich langweilen und meinen Gedanken erlauben ihre eigenen Wege zu gehen. Auf diese Weise entstehen neue Ideen. In der Langeweile steckt das Potenzial zur Kreativität. Aber wer ist heute willens und fähig, sich zwei Minuten lang zu langweilen, ohne das eigene Smartphone aus der Tasche zu ziehen und drauf zu schauen?
Effizienter arbeiten
Inzwischen gibt es sogar wissenschaftliche Studien, die belegen, dass Menschen, die ihr Smartphone nicht bei sich haben, sich deutlich besser auf ihre Arbeit konzentrieren können als Menschen, die ihr Smartphone in der Hosentasche mit sich herumtragen. Selbst wenn es ausgeschaltet ist.
Den Nicht-Umgang trainieren
Zur tatsächlichen Medienkompetenz gehört auch das Wissen darum, was ich ohne digitalen Medien alles tun kann. Genau das kommt aber auch, laut Wolfgang Neumann in den Bildungsplänen zu kurz.
Wolfgang Neumann: "Was wir in den Schulen benötigen, ist Medienbildung als Kulturtechnik, so dass die Schüler Medienkompetenz erlangen mit diesen modernen Medien umzugehen. Leider ist der Bildungsplan verabschiedet worden, und es ist kein Medienunterricht geplant worden. Ich habe kürzlich gehört, dass die neue Bundesregierung daran denkt, und das ist dringend geboten, die Medienerziehung in der Schule fest zu installieren."
Beziehungskompetente Lehrer
Fehlender Medienunterricht ist ein Manko. Keine Frage. Aber selbst wenn es ihn gäbe, könnte er nie beheben, was Wolfgang Neumann, und übrigens auch mir, noch viel mehr am Herzen liegt: den Mangel an einer konsequenten Ausbildung zur Beziehungskompetenz. Denn wichtiger als der Umgang mit digitaler Technik scheint mir die Fähigkeit, mit Menschen zielführend und verantwortlich umzugehen. Übrigens mit den Menschen um mich herum genauso, wie mit mir selbst. Und dazu braucht es beziehungskompetent ausgebildete Lehrer. Für Wolfgang Neumann wäre das der Faktor, der über Erfolg oder Nicht-Erfolg von Schulbildung entscheidet. Denn: Beziehung ist alles.
Grundlage des Erfolgs
Wolfgang Neumann: "Die maßgebliche Größe für mich in diesem Zusammenhang ist und bleibt die Lehrerpersönlichkeit und die Fähigkeit Beziehung zu gestalten. Und die Beziehungsgestaltung in der Schule und wahrscheinlich auch außerhalb der Schule der Humus für erfolgreiches Lernen."
Zum Beispiel auch im Sport
Die Persönlichkeit des Lehrers und seine Beziehungskompetenz für Wolfgang Neumann sogar noch entscheidender als die Frage der Schulform oder der Lernform. Für den Schulleiter im Ruhestand ist Beziehungskompetenz sowas wie Schlüssel für Erfolg. Und das übrigens nicht nur in der Schule, sondern auch im Sport.
Was Beziehung bewirkt
Wolfgang Neumann: "Ganz interessant fand ich in diesem Zusammenhang, und es zeigt auch, dass die Beziehung wirklich auch alles ist, ein Interview, dass ich am Wochenende gelesen habe, von Jerome Boateng, von Bayern München. Es steht in der Süddeutschen Zeitung. Er hat auf die Frage, warum unter Heynckes der Erfolg zurückgekommen ist, geantwortet: Heynckes Menschliche Art ist ein großer Faktor unseres gegenseitigen Erfolges. Jeder Spieler fühlt sich wichtig, jeder wird ins Boot genommen. Das gibt uns Spielern das Gefühl, dass man diesem Mann was zurückgeben muss."
Beziehung ist alles - auch im Fußball
Fußball ist weder mein Steckenpferd noch meine Kernkompetenz, aber es freut mich zu hören, dass ein berühmter Fußballspieler, wie Jerome Boateng, darüber philosophieren kann, dass die persönliche Beziehungskompetenz des Trainers entscheidend ist für den Erfolg der ganzen Mannschaft. Und ich glaube, es ist nicht allzu viel verlangt, den Transfer zu wagen, von der Fußballmannschaft zur Schulklasse oder gar zum Ausbildungsjahrgang. Der Lehrer bzw. der Ausbilder trägt die Hauptverantwortung dafür, ob dem Unternehmen Bildung, Schulbildung oder Ausbildung gelingt. Und die Erkenntnis, die dahintersteckt, ist gar nicht mal so kompliziert.
Beziehung schafft Motivation
Wolfgang Neumann: "Er (Boateng) hat erkannt, Beziehung schafft Motivation. Und über die Motivation kommt der Erfolg. Das gilt für Bayern München, das gilt für die Schule und es gilt auch für fast alle Bereiche."
Beziehung schafft Motivation, sagt Wolfgang Neumann. Das ist so schön, dass ich das glatt nochmal sagen muss. Beziehung schafft Motivation! Jetzt müsste man nur noch wissen, wie man Beziehung erschafft. Für Wolfgang Neumann steht außer Frage, dass es genau darum gehen muss, wenn Lehrer ausgebildet werden.
Alles hängt vom Lehrer ab
Wolfgang Neumann: "Ein Lehrer muss die Fähigkeit haben, Beziehung zu seinen Kindern aufzubauen. Ich habe vorhin gesagt, für mich ist die Beziehung der Humus für erfolgreiches Lernen und der ganz entscheidende Faktor. Wenn sie Kinder oder Erwachsene, die aus der Schule gekommen sind, fragen, was sie von der Schule behalten haben, dann werden die alle über die Beziehung zu ihren Lehrern sprechen.
Da fühle ich mich doch gleich an mein, gar nicht so lange zurückliegendes Abiturjahrgangstreffen, erinnert. Da wurde viel geredet, natürlich, aber erstaunlich wenig über Lerninhalte. Am meisten ging es über unsere alten Lehrer.
Über Cocktails und andere Drogen
Was das alles, was Beziehungskompetenz mit Wirtschaft und Ausbildung und mit dem Umgang mit Personal zu tun hat, darüber spreche ich mit Wolfgang Neumann in Teil 6 dieser Serie. Da wird’s dann auch darum gehen, warum Cocktails wichtig sind, bei Motivation, also zumindest ein ganz bestimmter Cocktail. Und wenn wir schon dabei sind, es wird auch die wichtigste Motivationsdroge überhaupt gehen – den Menschen.
Unternehmen wollen wachsen. Menschen auch.
Matthias Stolla © 2018